Am Sturmvogel- und Rohrdommelweg ist ein Sicherheitsdienst unterwegs. Nach massiven Protesten übernimmt der Vermieter die Kosten dafür nun erst einmal selbst. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Seit Februar 2016 patrouilliert ein Sicherheitsdienst in einer Wohnanlage in Neugereut. Die Maßnahme gilt als außergewöhnlich und war von Beginn an umstritten. Jetzt schlagen die Wellen richtig hoch, denn die Mieter haben die erste Rechnung bekommen.

Stuttgart - Der Bewohner einer Drei-Zimmer-Wohnung in Neugereut traut seinen Augen nicht. Denn die aktuelle Betriebskostenabrechnung unterscheidet sich erheblich von denen zuvor. Der Vermieter, dem die ganze Anlage mit 137 Wohnungen zwischen Sturmvogel- und Rohrdommelweg gehört, hat nämlich einen neuen Punkt hinzugefügt. Für „Bewachung“, teilt die Stuttgarter GWG-Gruppe mit, seien 2016 insgesamt 73 629,78 Euro angefallen. Das bedeutet für den verdutzten Mieter: Allein er soll weit über 500 Euro für diesen Posten berappen.

Das Entsetzen in der Anlage ist groß. „Bei manchen sind es sogar 600 oder 700 Euro, je nach Größe der Wohnung. Bei mir macht das fast ein Drittel der Betriebskosten aus“, klagt ein anderer Betroffener. Mittlerweile gibt es Aushänge in den Treppenhäusern, in denen dazu aufgerufen wird, sich zusammenzutun und gemeinsam gegen die Abrechnung vorzugehen. „Die Gründung einer Mietergemeinschaft ist eine sinnvolle Sache. Sonst sieht es die GWG wohl nicht als nötig an, uns über Neuerungen zu benachrichtigen“, heißt es da unter anderem.

Auch beim Stuttgarter Mieterverein sind mittlerweile Beschwerden eingegangen. „Wir prüfen derzeit, ob dieses Vorgehen des Vermieters rechtens ist“, sagt der Vorsitzende Rolf Gaßmann. Das hänge von den Mietverträgen ab: Man könne nur die Kosten umlegen, die dort vereinbart seien. „Zudem stellt sich die Frage nach dem Gebot der Wirtschaftlichkeit, denn diese Summe von 73 000 Euro erscheint uns unangemessen hoch.“ Der Fall sei ziemlich außergewöhnlich und ihm bisher so noch nicht untergekommen, sagt Gaßmann. „Wir überlegen, ob wir dort ein Infoschreiben an die Betroffenen verteilen sollen.“

Weniger Vandalismus lautet das Ziel

Schon die Beauftragung des Sicherheitsdienstes im Februar vergangenen Jahres hatte bei vielen Bewohnern für Irritation gesorgt. So mancher erfuhr davon erst in Aushängen, nachdem die Bewachung bereits begonnen hatte. Schnell machten Gerüchte die Runde, die Maßnahme habe etwas mit der neuen Flüchtlingsunterkunft direkt nebenan zu tun. Das wies die GWG damals jedoch zurück. Es habe stattdessen mehrmals Versuche von Unbefugten gegeben, in den Kellern zu übernachten, außerdem seien Vandalismus, illegal abgestellter Sperrmüll und Spritzenfunde auf dem Spielplatz an der Tagesordnung gewesen. Die Polizei allerdings hat damals wie heute keine Kenntnis über besondere Vorfälle in dem Gebiet. Auch die Flüchtlingsunterkunft sei völlig unauffällig, so ein Sprecher.

Die GWG rudert nach der massiven Kritik zurück. Am Dienstagnachmittag teilt eine Sprecherin auf Anfrage unserer Zeitung schriftlich mit, man habe einen Fehler gemacht. Zwar sei die Umlage der Bewachungskosten auf die Mieter grundsätzlich möglich, allerdings nur bei denen, die entsprechende Mietverträge hätten. „Aufgrund einer Systemumstellung in unserem Hause“ seien aber „fälschlicherweise auch die Mieter mit den Kosten für den Sicherheitsdienst belastet worden, bei denen die Umlegung nicht mietvertraglich festgelegt wurde“. Auch deshalb habe die GWG-Gruppe beschlossen, die Gesamtkosten für das Jahr 2016 „vollumfänglich“ selbst zu übernehmen. Wie das im aktuellen Jahr aussehen wird, lässt die Stellungnahme offen. Denn die Testphase gehe weiter, ein Ende sei noch nicht festgelegt. Das hänge auch von der „aktuellen Situation vor Ort“ ab.

Maßnahme ist absolute Ausnahme in der Region

Die hat sich laut GWG durch den Sicherheitsdienst deutlich verbessert. „Es gibt nachweislich weniger Vandalismusschäden, und auch die Anzahl an unbefugten Dritten, die sich insbesondere in den schwer einsehbaren Tiefgaragenhallen aufgehalten haben, hat sich merklich verringert“, so die Sprecherin. Eine Vielzahl von Bewohnern habe sich seitdem auch gemeldet und sich positiv zur Bewachung der Anlage geäußert. Das Sicherheitsgefühl habe sich verbessert.

Die GWG setzt einen solchen Sicherheitsdienst nicht nur in Neugereut ein. Unter den 16 000 Wohnungen, die sie bewirtschaftet, sind zwei weitere Anlagen, die bewacht werden. „Wir haben bei anderen größeren Wohnanlagen im Neckargebiet die Erfahrung gemacht, dass sich allein die Präsenz des Sicherheitsdienstes positiv auf die Bewohnerschaft ausgewirkt hat“, sagt die Sprecherin. Ähnliches sei auch bei anderen Immobilienunternehmen in Baden-Württemberg, aber auch bundesweit zu sehen.

In der Region Stuttgart ist eine solche Bewachung dennoch offenbar die absolute Ausnahme. Die Stuttgarter Wohnungs- und Städtebaugesellschaft SWSG etwa setzt derzeit nirgendwo Sicherheitsdienste ein. Auch andere Immobilienunternehmen verzichten darauf. „Im privaten Bereich kenne ich keinen Sicherheitsdienst“, sagt Ulrich Wecker, Geschäftsführer des Stuttgarter Haus- und Grundbesitzervereins. Nur bei gewerblichen Räumen komme so etwas vor. Und auch Mietervereinschef Gaßmann stimmt zu: „Das ist ein äußerst ungewöhnliches Vorgehen der GWG."