Sachen gibt’s, die gibt’s gar nicht: Württembergs letzter König, Wilhelm II., liegt seit vielen Jahren unter einem falschen Grabstein – offenbar mit Wissen des Hauses Württemberg und der Stadt Ludwigsburg. Wie konnte es dazu kommen?
Dem Stuttgarter Historiker Harald Schukraft war es schon lange aufgefallen: Bei der Grabstätte von König Wilhelm II. von Württemberg auf dem Alten Friedhof in Ludwigsburg geht etwas nicht mit rechten Dingen zu. Doch alles Nachfragen, ob bei der Stadt Ludwigsburg oder dem Haus Württemberg in Altshausen, blieb in der Vergangenheit erfolglos. Keiner wollte auf Schukrafts Hinweise eine schlüssige Antwort geben.
Nach dem Dafürhalten des Historikers, eines intimen Kenners des Hauses Württemberg, sind die drei Grabtafeln, die auf der Grabstätte die Bestattungsorte von König Wilhelm II. und seiner beiden Gemahlinnen markieren, bereits vor Jahren vertauscht worden. Wer auch immer in den letzten Jahren vor dem Grab König Wilhelms II. dem Monarchen gedenken wollte, er tat es vor dem falschen Grab. So zuletzt mutmaßlich bei der Gedenkfeier zum 100. Todestag des letzten württembergischen Königs im vergangenen Jahr.
Die Grabtafeln rochierten, die Gebeine blieben, wo sie waren
Was war geschehen? Als 1999 auf Betreiben des Schwaikheimer Bautechnikers Harald Dürr die damals reichlich verlotterte Grabstätte renoviert wurde, meinte man offenbar, dass die bisherige Anordnung der Gräber der Bedeutung des Königs nicht gerecht werde. Denn tatsächlich bilden die drei Erwachsenen-Gräber von König Wilhelm, Königin Charlotte und Marie Prinzessin zu Waldeck und Pyrmont, Wilhelms erster Frau, ein Dreieck mit König Charlotte an der Spitze. Dass König Wilhelm und seine erste Gemahlin etwas zurückgesetzt, links und rechts eines mittigen Kreuzes platziert sind, hat indes historische Gründe: Sie waren die beiden zuerst verstorbenen Personen. Erst als dritte kam Königin Charlotte hinzu, und wurde an zentraler Stelle des Gräberrunds vor dem Kreuz bestattet.
Unabhängig davon, ob dies statthaft ist, wurde 1999 auf Betreiben des Hauses Württemberg und in Abstimmung mit der Stadt Ludwigsburg die Sache kurzerhand begradigt: Die zwei damals neu geschaffenen und die bestehende Grabtafel für Königin Charlotte rochierten einmal im Kreis. Seitdem liegt der König scheinbar mittig und die beiden Frauen flankieren ihn, versetzt nach hinten, von rechts und links. Die Gebeine wurden dort belassen, wo sie bisher waren.
Die Zuweisungen sind verkehrt, bestätigt das Hauptstaatsarchiv
Das Hauptstaatsarchiv bestätigt Schukrafts Verdacht: „Bei der Verteilung der Grabplatten meinte man ganz offensichtlich, Wilhelm den mittleren vorderen, also den vermeintlich vornehmsten Platz einräumen zu müssen“, sagt Albrecht Ernst, stellvertretender Leiter des Hauptstaatsarchivs. Alle Zuweisungen, außer für drei Kindergräber, seien verkehrt. „Wo Wilhelm tatsächlich ruht, findet sich die Inschrifttafel von Prinzessin Marie, wo Prinzessin Marie liegt, wird an Königin Charlotte erinnert, und wo Charlotte beigesetzt ist, liest man die Inschrift für Wilhelm.“ Weil Albrecht Ernst den Hinweis Harald Schukrafts kannte, hatte er bei der Feier 2021 vorsorglich angeregt, den Kranz des Hauses Württemberg nicht mittig vor dem (falschen) Grab, sondern seitlich und somit unmittelbar vor dem tatsächlichen Begräbnisort aufzustellen. Für Schukraft sind die mutwillig vertauschten Grabtafeln ein Unding: „Ich empfinde das als Skandal und als Entwürdigung der Bestatteten, da die Ehrungen und Kranzniederlegungen stets über den falschen Toten erfolgen.“ Die Stadt Ludwigsburg räumt nun ein: Die damalige Rochade „geschah in enger Abstimmung zwischen dem Haus Württemberg und der Stadt Ludwigsburg.“ Man wollte mit dieser Anordnung „der besonderen Bedeutung von König Wilhelm II. Rechnung tragen und ihn auch von seinen beiden Ehefrauen umrahmen lassen“.
Historiker Schukraft spricht von einem Skandal
Das Haus Württemberg in Person seines Sprechers Joachim Butz bestätigt dies: Demnach seien die Protagonisten der Entscheidung der ehemalige OB Christof Eichert gewesen sowie das Haus Württemberg selbst, damals geführt von dem kürzlich verstorbenen Herzog Carl. „In einem Aktenvermerk steht zudem, dass das Landesdenkmalamt informiert war“, erklärt Butz. Die Familie und die Stadt hatten entschieden, dass das Familiengrab eine Gesamtanlage sei. Warum dies rechtfertige, die einzelnen Gräber innerhalb der Anlage wissentlich falsch zu bezeichnen, blieb offen. Um die delikate Angelegenheit aufzuklären, will nach Informationen Schukrafts die Stadt Ludwigsburg nun selbst reagieren und plant, kurzfristig an die Öffentlichkeit zu gehen.
Ein schlichtes Grab
Das Haus
Das Haus Württemberg stellte von 1806 bis 1918 die vier Könige Württembergs: Friedrich I., Wilhelm I., Karl und Wilhelm II. Letzterer, geboren 1848, starb am 2. Oktober 1921 in Schloss Bebenhausen bei Tübingen und wurde auf eigenen Wunsch in Ludwigsburg neben seiner ersten Gemahlin, Prinzessin Marie (1857–1882), und seinem 1880 im Säuglingsalter verstorbenen einzigen Sohn Ulrich bestattet. Das Grab beinhaltet außerdem die Gebeine zweier weiterer Kinder sowie die sterblichen Überreste von Wilhelms zweiter Frau, Königin Charlotte (1864–1946).
Das Grab
Die Grabstätte auf dem Alten Friedhof in Ludwigsburg, die für Wilhelms ersten Sohn Ulrich angelegt worden war, ist für ein Fürstengrab auffallend schlicht. Das entsprach 1880 wohl dem Wunsch des späteren Königs. Wilhelm schrieb 1881 an seinen Freund Detlev von Plato: „Die Idee der Fürstengrüfte war mir immer schaudervoll, und so können wir wenigstens unser Kind besuchen und ihn unter Blumen betten.“ ts