Auf den Fußball-Weltverband Fifa und seinen Präsidenten Sepp Blatter werden nach Meinung der Anti-Korruptions-Expertin Sylvia Schenk während der WM noch große Probleme zukommen. Foto: Getty

Der Countdown läuft. Am 12. Juni beginnt in Brasilien die Fußball-WM. In unserer Serie stellen wir bis zum Anpfiff eine ganz besondere Elf vor. Heute: die Außen-Verteidigerin – ein Interview mit der Anti-Korruptions-Expertin Sylvia Schenk

Der Countdown läuft. Am 12. Juni beginnt in Brasilien die Fußball-WM. In unserer Serie stellen wir bis zum Anpfiff eine ganz besondere Elf vor. Heute: die Außen-Verteidigerin – ein Interview mit der Anti-Korruptions-Expertin Sylvia Schenk.
 
Frau Schenk, Sie gelten als knallharte Verteidigerin von Ethik, Moral und Werten. Wenn ich Sie jetzt zu einer Tasse Kaffee einlade, hätten Sie damit schon ein Problem?
Nein.
Und wenn der Kuchen auch noch dabei wäre?
Selbst dann nicht.
Wo fängt Korruption denn an?
Von manchen Menschen würde ich mich nicht zu einer Tasse Kaffee einladen lassen – und zwar dann, wenn ich das Gefühl habe, dass die Leute mich zu etwas verpflichten wollen oder etwas von mir erwarten, was auch immer dies dann sein mag.
Wehret den Anfängen?
So könnte man es ausdrücken. Es hilft auf jeden Fall, klare Grenzen zu ziehen. Auch wenn es kein Problem wäre, wenn Steuerprüfer in einer Firma mit Kaffee und Wasser versorgt werden, müssen sie doch ihre eigenen Getränke mitbringen.
Ist das nicht übertrieben?
Klare Regelungen sind hilfreich. Sonst wird aus dem Wasser der Saft und so weiter. Manches ist aber auch typisch deutsch oder Übereifer. Siemens oder Daimler zum Beispiel haben inzwischen eine Vielzahl von Regelungen reduziert oder modifiziert, weil die Bürokratie die Beschäftigten eingeschränkt hat. Doch für mich ist vor allem wichtig: Das Thema Korruption ist im Bewusstsein der Firmen angekommen. Und damit ist schon viel erreicht.
Wie ist es im Fußball?
Der Weltverband Fifa hat vor drei Jahren einen Reformprozess angestoßen . . .
. . . bei dem wenig herauskommt.
Es ist schon etwas passiert. Es wurden strukturelle Veränderungen vorgenommen, bei der Fifa-Spitze ist das Thema Korruption präsent – allerdings braucht es seine Zeit und weitergehende Maßnahmen, bis auch in jedem Nationalverband bewusst ist, dass sich die Kultur grundlegend ändern muss.
Das haben Sie schön gesagt. Aber was hat sich bei der Fifa denn konkret getan?
Die Ethikkommission wurde neu aufgestellt, sie kann jetzt eigene Untersuchungen in Gang setzen. In Ermittler Michael Garcia und Richter Hans-Joachim Eckert gibt es zwei qualifizierte Personen, die von außen kommen. Das gab es vorher alles nicht, doch es bleibt natürlich viel zu tun. Die vorherige Überprüfung von Kandidaten für wichtige Ämter ist noch umstritten, zudem wurden unabhängige Mitglieder für das Exekutiv-komitee abgelehnt. Nur der Vorsitzende der neuen Audit- und Compliance-Kommission kann bei Sitzungen dabei sein. Verschleppt wurde die Untersuchung von Vorfällen aus der Vergangenheit, die viel früher wirklich unabhängig hätte erfolgen müssen, um dem Prozess Glaubwürdigkeit zu verleihen.
Gibt es weitere Punkte, die Sie anprangern?
Was die Fifa dringend benötigt, ist eine Amtszeitbegrenzung. Die Erfahrung gerade in der Fifa zeigt: Je länger jemand eine Funktion innehat, desto dichter ist sein Netzwerk mit möglichen wechselseitigen Abhängigkeiten. Und das erhöht die Gefahr von Korruption signifikant.
Wie lange dürfte eine Amtszeit sein?
Acht bis maximal zwölf Jahre insgesamt.
Joseph Blatter war 18 Jahre Fifa-Generalsekretär, ehe er 1998 zum Präsidenten aufstieg. Nun strebt er eine Wiederwahl an. Da müssen sich bei Ihnen doch alle Nackenhaare aufstellen.
Blatter kann nicht einerseits für die Amtszeitbegrenzung eintreten und dann selber nichts davon wissen wollen. Nur wer mit gutem Beispiel vorangeht, kann auch andere überzeugen. Das ist der oberste Grundsatz bei allen Maßnahmen zur Erhöhung von Integrität und gegen Korruption.
Wie steht es um Blatters persönliche Integrität?
Lassen Sie es mich so sagen: Wenn in einem normalen Unternehmen knapp ein Drittel der Vorstandsmitglieder innerhalb von gut zwei Jahren wegen nachgewiesener Korruption oder zumindest schwerer Anschuldigungen beziehungsweise Interessenkonflikten zurücktreten mussten, wäre der Vorstandschef, in dessen Ära all dies stattgefunden hat, auch schon längst weg.
Wie korrupt ist die Fifa aktuell?
Ein Verband als solcher ist nicht korrupt. In einem Verbandsindex würde die Fifa gar nicht so schlecht abschneiden. Mit ihren 350 Mitarbeitern ist sie administrativ sehr gut aufgestellt, samt internem Compliance-System und zusätzlichen Sicherungen. Ich war selbst zweimal in Zürich, hatte dort Akteneinsicht. Im Vergleich zu anderen internationalen Sportverbänden steht die Fifa gut da.
Aber?
Zur Fifa gehören 209 Mitgliedsverbände. Und in Ländern, in denen schon der Alltag von Korruption bestimmt ist, wird eben nicht derjenige Präsident des nationalen Fußball-Verbandes, der besonders integer ist. In Ländern, die im Korruptions-Wahrnehmungsindex CPI auf Platz 100 oder noch schlechter stehen, können Sie davon ausgehen, dass auch im Sport wichtige Positionen meist von Leuten mit höchst zweifelhaftem Hintergrund besetzt sind.
Und das gilt auch für den Fußball?
Selbstverständlich. Als Gaddafi noch Staatspräsident von Libyen war, ist einer seiner vielen Söhne Chef des Fußball-Verbandes gewesen.
Die Fifa bildet die politische Welt ab?
So muss man es sehen. Da lässt sich von oben nicht alles steuern – der Sport und der Fußball sind nicht besser als der Rest der Welt.
Zum Beispiel, wenn es darum geht, wer eine WM ausrichten darf.
Die Vergabe des Fifa-World-Cup war bisher ein Privileg der 24 Mitglieder des Exekutivkomitees, künftig werden alle 209 Delegierten des Kongresses entscheiden. Begründung von Sepp Blatter für diese Änderung war, dass 209 Leute schwerer zu bestechen seien als 24. Ich stimme dem nicht zu, weil die Erfahrung zeigt, dass die Kontinentalverbände oft in Blocks abstimmen und zudem einfache Delegierte manchmal mit viel weniger Geld zu beeinflussen sind als die Spitzenfunktionäre im Exekutivkomitee.
Die WM-Vergabe nach Brasilien war unstrittig.
Stimmt, da ist von Korruption nie die Rede gewesen. Südamerika war einfach dran und Brasilien die aufstrebende Wirtschaftsnation. Probleme gibt es trotzdem – mit der Alltagskorruption in Brasilien, mit der natürlich auch der Fußball mit seinen höchst umstrittenen Figuren João Havelange und Ricardo Teixeira verbunden wird. Und mit dem Gigantismus beim Bau der neuen WM-Stadien. Jetzt sitzt die Fifa auf einem Pulverfass, mit Protesten ist zu rechnen.
Wie wird die Fußball-WM ablaufen?
Im Moment sieht es nicht danach aus, als könnte der Fußball die Probleme überdecken. Wenn das brasilianische Team früh ausscheiden sollte, könnte es sogar sehr schwierig werden, alles geordnet über die Bühne zu bekommen.
Sie befürchten Ausschreitungen?
Ich selbst war als Sportlerin 1972 bei den Olympischen Spielen in München dabei, das damalige Attentat hat mich geprägt. Deshalb hoffe ich zuvorderst, dass es keine Gewalt gegen Menschen geben wird. Ich denke aber, dass sich die Bevölkerung während der WM artikulieren wird, und das ist auch ihr gutes Recht.
Was sagen Sie zur Vergabe der beiden Weltmeisterschaften, die nach Brasilien kommen?
Es war ein großer Fehler, dass die WM 2018 und die WM 2022 nach Russland und Katar gleichzeitig vergeben worden sind. Denn schon vorher war klar: Einmal geht es nach Europa, einmal vermutlich nach Asien. Das hat zusätzliche Deals ermöglicht, da konnte viel untereinander ausgekungelt werden.
Zudem war jedem Bewerber bewusst . . .
. . . dass es aufgrund der Doppel-Vergabe für lange Zeit die letzte Chance auf eine WM sein würde. Damit wurde der Druck auf die Bewerber erhöht – und natürlich das Risiko, dass unlautere Mittel eingesetzt werden.
Ist das auch passiert?
Bezüglich Katar gibt es ja immer wieder Gerüchte, allerdings wird da auch einiges vorgeschoben. Bewiesen ist bis heute nichts, und die Fifa hat erst rund zwei Jahre später die Ermittlungen aufgenommen.
Vorgeschoben? Was meinen Sie damit?
Es hat den Anschein, dass die Gerüchte um Katar von etlichen Seiten wachgehalten werden, weil man wegen der Hitze irgendwie wieder von der Entscheidung, die WM dorthin vergeben zu haben, herunterkommen will. Bei Russland wurde dagegen nie genau hingeschaut, obwohl Katar im weltweiten Korruptionsindex auf Rang 28 weitaus besser dasteht als Russland auf Platz 127.
Findet die WM 2022 in Katar statt?
Zu 90 Prozent ja, aber im Winter. Außer man findet doch noch einen knallharten Beweis dafür, dass es Korruption gegeben hat. Und das ist nicht einfach, weil schon sehr viel Zeit verloren gegangen ist. Das hätte man, so wie wir es damals gefordert haben, gleich nach der Vergabe von einer unabhängigen Kommission untersuchen lassen müssen. Und selbst wenn noch Beweise gefunden werden sollten: Irgendwann kann man eine Sache auch nicht mehr vernünftig rückabwickeln.
Was empfehlen Sie der Fifa für die Zukunft?
Schon vor solchen Bewerbungsrunden klare K.-o-Kriterien festzulegen – etwa die Hitze. Dann wäre Katar aus dem Spiel gewesen.
Was kann ein Sportverband noch tun, um die Gefahr von Korruption zu mindern?
Entscheidungsprozesse transparent machen und nachvollziehbar begründen. Offen informieren. Belastete Leute ersetzen. Und fragwürdige Leute gar nicht erst in Funktionen kommen lassen. Deshalb müssen vor Personalentscheidungen Prüfungen von unabhängigen Institutionen stattfinden. Das ist in der Wirtschaft längst üblich. Das Problem, wenn es um Korruption geht, ist doch: Sie brauchen Jahre, um sich Glaubwürdigkeit aufzubauen, aber nur einen Moment, um diese Reputation wieder zu verlieren.