Viele Fußballfans haben zuletzt gegen die WM in Katar protestiert, wie hier beim Spiel von Hertha BSC gegen den FC Bayern München. Foto: Imago/Mich/ael Taeger

Viele sitzen mit einem latent schlechten Gewissen vor dem Fernseher und schauen die Fußball-WM: Unterstützt man die Fifa und Katar schon, wenn man nur zuschaut? Und was ließe sich dagegen machen?

Korruption bei der Vergabe, vermeintlich wenig nachhaltige Spiele und die Missachtung der Menschenrechte – es gibt viele Gründe, die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar zu ignorieren, von der tristen Jahreszeit und der tristen WM-Stimmung einmal ganz abgesehen. Aber wer es nun einmal nicht übers Herz bringt, den Fernseher auszulassen, was könnte dieser Fan dann tun, quasi als Kompensation für sein schlechtes Gewissen und als Zeichen seiner Solidarität?

Ellen Wesemüller, die Sprecherin von Amnesty International in Deutschland, verweist zum Beispiel auf ihre Petition, in der die Unterzeichner fordern, dass die Fifa und der Staat Katar ein Entschädigungsprogramm ins Leben rufen für alle Arbeitsmigranten und deren Familien, die finanzielle Nachteile erlitten haben oder gar verletzt oder getötet wurden. Die Petition soll direkt an die beiden Adressaten gehen. Auch der Deutsche Fußball-Bund (DFB) hat mehrfach betont, dass er die Forderung nach einem Fonds unterstützt.

Amnesty International will auch nach WM genau hinschauen

Natürlich könnte man auch eine Spende überweisen an eine Organisation, die sich für Menschenrechte oder für Nachhaltigkeit einsetzt. Amnesty International, so sagt Ellen Wesemüller, werde jedenfalls auch nach der WM ganz genau in Katar hinschauen und eigene Teams ins Land schicken. Eine zweckgebundene Spende für dieses Thema sei aber nicht möglich.

Auch Wenzel Michalski, der Deutschland-Direktor von Human Rights Watch, würde sich über eine Spende freuen – er sehe dies nicht als modernen Ablasshandel, sondern als wichtige Unterstützung für die Menschenrechte. Aber ums Geld gehe es nicht in erster Linie, wichtig sei vielmehr eine möglichst große Aufmerksamkeit für die genannten Themen. Deshalb sei es durchaus wichtig, dass die Fans ihren möglichen Beitrag leisten, um Druck auszuüben auf die Fifa: „Denn bisher kommt von dort nichts außer lautem Schweigen“, so Michalski.

Aktion #boycottqatar2022 will Rückbesinnung auf Fußball

Denkbar sind deshalb auch eigene Aktionen im Sportverein, oder, um Flagge zu zeigen, der Besuch einer Veranstaltung etwa der Initiative #boycottqatar2022, die von rund hundert Gruppen, darunter auch Fanclubs aus Baden-Württemberg, und einigen Tausend Einzelpersonen unterstützt wird. Bernd Beyer, einer der Gründer der Initiative, betont, dass es ihnen um eine Rückbesinnung auf die Ursprünge des Fußballs gehe – eine Aktion auf Schalke heiße treffend „Back to bolzen“. Auch die Ultras hätten an den vergangenen Wochenenden mit ihren Protesten in den Stadien eindrücklich gezeigt, dass die „schrankenlose Kommerzialisierung und die Entfernung des Fußballs von seinen ursprünglichen sportlichen Inhalten“ nicht mehr hinnehmbar seien. Die „Anstifter“ in Stuttgart hatten sich ebenfalls, etwa mit einer Podiumsdiskussion im Theaterhaus Anfang November, an der Initiative beteiligt. Benjamin Schad von den Anstiftern geht es ebenfalls um den Druck auf die Akteure, nicht um das Bashing einzelner Fans: „Ich werde vermutlich auch gucken, wenn auch mit relativ wenig Begeisterung.“

Niemand verbietet Fans das WM-Schauen

Tatsächlich will niemand der Befragten jemandem verbieten, die Spiele zu schauen. „Wir sind keine Religionspolizei, die in die Wohnzimmer der Leute schaut“, sagt sogar Bernd Beyer von der Initiative #boycottqatar2022. Er persönlich habe zwar keinerlei Lust mehr, die WM zu verfolgen, aber die Entscheidung müsse jeder Fan selbst treffen. Amnesty International und Human Rights Watch haben ausdrücklich keinen Boykott gefordert.

Die Frage wäre ja auch, was eine dunkle Mattscheibe brächte, außer einem reinen Gewissen. Wenn eine Milliarde Menschen weniger als üblich die WM anschauen würde, dann könnte das die Fifa womöglich zum Nachdenken bringen, aber das ist derzeit kaum zu erwarten.

Flugemissionen lassen sich mit 50 Euro ausgleichen

Beim Fonds für die Arbeitsmigranten habe sich weiterhin nichts bewegt, betont Wenzel Michalski von Human Rights Watch. Es sei aber unerlässlich, dass die Fifa und Katar Geld einbezahlten; dazu seien sie auch nach internationalem Recht verpflichtet. Trotzdem wären vermutlich viele Fans bereit, an eine Organisation zu spenden, die schon jetzt direkt betroffene Arbeitsmigranten unterstützt. Zumindest in Deutschland scheint es jedoch keine solche Einrichtung zu geben.

Übrigens: Wer tatsächlich nach Katar fliegt, könnte bei der Klimaschutzorganisation Atmosfair die CO2-Emissionen des Fluges nach Doha für rund 50 Euro kompensieren. Die Emissionen aufgrund des Stromverbrauchs des heimischen Fernsehers könne man bei Atmosfair dagegen nicht ausgleichen, betont deren Sprecherin Tessa Kemmerling: „Generell kompensieren wir keinen Strom, da es hier die Möglichkeit gibt, Ökostrom zu verwenden“, sagt sie.