Freut sich auf das Spiel: Marokkos Trainer Walid Regragui Foto: Imago//Rodolfo Buhrer

Das WM-Spiel Frankreich gegen Marokko ist politisch brisant: Die ehemalige Kolonialmacht trifft auf den ersten afrikanischen Halbfinalisten.

Es wird ein Spiel der Emotionen: für Marokko, das die Hoffnungen eines ganzen Kontinentes auf seinen Schultern trägt. Aber auch für Frankreich, das auf dem Weg zu einem dritten WM-Titel ausgerechnet auf einen Gegner stößt, der ihm sehr nahesteht. 1,5 Millionen Marokkaner leben in Frankreich, viele davon in dritter oder vierter Generation. Die meisten leben sehr französisch, als Arbeiter, Buschauffeure, Zahnärzte. Einige haben es weit gebracht als Ministerinnen (Najat Vallaud-Belkacem), Schriftsteller (Tahar Ben Jelloum) oder Chefin der in Paris ansässigen Uno-Organisation Unesco (Audrey Azoulay).

Marokko hat ein entspanntes Verhältnis zu Frankreich

Den scharfen Kontrast dazu bildet der Bataclan-Terrorist Salah Abdeslam, der ebenfalls marokkanische Eltern hat. Die meisten islamistischen Extremisten in Frankreich stammen allerdings aus den beiden anderen Maghrebländern Algerien und Tunesien, die ein sehr angespanntes Verhältnis zur ehemaligen Kolonialmacht haben. Das bisher einzige Freundschaftsspiel Frankreich-Algerien musste 2001 vorzeitig abgebrochen werden. Als Marokko dort 2007 antrat, gab es nur vereinzelte Buhrufe bei der französischen Hymne. Das sagt viel aus: Marokko, 1956 ohne Blutvergießen unabhängig geworden, während der brutale Algerienkrieg noch heute nachwirkt, steht der ehemaligen Kolonialmacht entspannter, auch selbstbewusster gegenüber.

Marokkaner und Franzosen sind den Freuden des Lebens zugetan, was auch all jene reichen Franzosen bestätigen, die für das verlängerte Wochenende in ihren Riad (Villa) nach Marrakesch jetten. „Ich bin in Marokko geboren, aber in Frankreich lebe ich seit Jahrzehnten,“ sagte eine Frau, als sie den Halbfinaleinzug ihres Landes zusammen mit 20 000 Fans auf den Champs-Élysées feierte. Und sie fügte hinzu: „Ich liebe auch Frankreich!“ Ihre Tochter hatte ihre linke Wange mit den französischen, die rechte mit den marokkanischen Landesfarben geschminkt. Ein älterer Marokkaner sagte, er sei seit der Ära von Zinedine Zidane für die französischen „Bleus“. „Aber diesmal ist meine Wahl klar,“ fügte er fast entschuldigend an. Marokko, natürlich.

Die Krawallmacher planen schon den Abend

Sehr versöhnlich klingt es auch in den übrigen französischen Medien. Einen Umstand nennen sie wie nebenbei: Zum Halbfinalspiel im fernen Doha werden auf den Champs-Élysées nicht weniger als 2000 Polizisten aufmarschieren. „La grande fête“, das große Fußballfest, birgt Risiken: Bushäuschen und Schaufenster von Luxusläden waren beim letzten Marokko-Spiel zu Bruch gegangen, Roller und Autos brannten. 91 Krawallmacher wurden verhaftet, 20 Polizisten verletzt. Auch in einer überschaubaren Zahl französischer Banlieue-Viertel gab es Randale.

Auch für den Abend des Spiels zirkulieren in den sozialen Medien vieldeutige Appelle zum nächtlichen Stelldichein auf den „Champs“. Mit Fußball haben sie nichts zu tun, mit Marokko auch nicht. Eher tut sich eine Internationale der Krawallmacher zusammen. Sie nimmt die Szenen der arabisch-afrikanischen Verbrüderung in Doha zum Vorwand für aggressive Appelle gegen den „Kolonialisten“ – gemeint ist Frankreich. Insider vermuten sogar russische Trolle hinter diesen Aufrufen.