Im Fußball geht es schon lange nicht mehr nur um Tore. Zu viele seiner Patrone sind befallen von Geldgier, Geltungssucht und Machtkalkül. Die Fifa muss sich schleunigst reformieren. Das klappt nicht ohne Probleme.

Im Fußball geht es schon lange nicht mehr nur um Tore. Zu viele seiner Patrone sind befallen von Geldgier, Geltungssucht und Machtkalkül. Die Fifa muss sich schleunigst reformieren. Das klappt nicht ohne Probleme.

Stuttgart/Sao Paulo - Eigentlich ist Fußball ein herrlicher Sport. Man kann ihn überall auf der Welt spielen. Der Aufwand ist gering, die Regeln sind schlicht. Und wer mit Vollspann und Innenrist seine Probleme hat, stellt sich einfach zwischen die Pfosten.

Kompliziert wird es meist erst dann, wenn Geld mit ins Spiel kommt. Weil der Weltfußball-Verband Fifa jede Menge davon hat, ist es komplizierter denn je. Es geht darum, welcher nationale Fußballverband wie viel davon bekommt. Damit zusammen hängt: Welche Kontinental-Organisationen, die sogenannten Konföderationen, haben am meisten Macht und Einfluss?

Daraus entstehen Abhängigkeiten, mit denen ein kluger Geist wunderbar jonglieren kann. Joseph S. Blatter (78) zum Beispiel, Präsident des Weltfußball-Verbands Fifa seit 1998. Dieser Tage, beim Fifa-Kongress in São Paulo, schritt er wieder zum Rednerpult und meldete den Mitgliedern mit gespannter Brust die aktuelle Kassen-lage: „Sie werden glücklich sein.“ Das waren sie auch. Vor allem aus den Gesichtern der afrikanischen Delegierten sprach die helle Freude. Allein im Jahr 2013 hat die Fifa rund 293 Millionen Euro verdient.

Weil sich die Gelegenheit günstig ausnahm, kündigte der Fifa-Boss an, dass er ganz gerne noch ein paar Jährchen dranhängen würde. Entgegen allen früheren Beteuerungen. Er wird also im Mai 2015 erneut kandidieren. Seine Wiederwahl gilt schon jetzt als sicher.

Am Ende seiner fünften Amtszeit wäre er dann 82 Jahre alt. In Funktionärskreisen ist das aber kein Problem: Die Fifa ist mit ihren 207 Mitgliedsverbänden größer als die Vereinten Nationen. Und mindestens so unberechenbar. Die Delegierten verweigerten in São Paulo die von einer Reformkommission vorgeschlagene Amtszeitbeschränkung. Auch eine Altersgrenze blieb unerwünscht. Das ist gut für Blatter und seine Getreuen und gar nicht gut für alle, die der Züricher Zentrale der Macht weniger vertrauen als ihrer Steuererklärung.

Im europäischen Fußball, vor allem aber in England und Deutschland, schätzen sie den Schweizer ohnehin so sehr wie das Bauchweh. Was durchaus auf Gegenseitigkeit beruht. Die Fifa, so tuscheln die Granden der Europäischen Fußball-Union (Uefa), sei unter der autokratischen Führung von König Sepp mehr und mehr zu einer Art selbstsüchtigen Tafelrunde verkommen. Undurchsichtig in ihren Entscheidungen, unkontrolliert in ihren Finanzen und undemokratisch in ihren Strukturen.

Die Skandale reihen sich aneinander wie Spieler in einer Freistoßmauer. Die 22 Mann starke Fifa-Exekutive, vergleichbar mit der Geschäftsleitung eines Unternehmens, hat seit 2011 ein Drittel ihrer Mitglieder eingebüßt. Die Gründe waren immer die gleichen: Macht, Moral und Moneten. Ans Licht kamen Verstöße gegen die Fifa-Statuten, Ethik-Regeln wurden missachtet, etliche Fälle von Korruption wurden aktenkundig.

Das Beben um den von der Fifa beauftragten Sportrechtevermarkter ISL, der bis zur Jahrtausendwende weltweit Verbandsfunktionäre mit insgesamt 116 Millionen Euro schmierte, ist fast schon Geschichte. Auf fettere Schlagzeilen bringt es aktuell Mohamed bin Hammam. Der steinreiche Unternehmer saß in der Fifa-Exekutive, als dort 2010 über die Fußball-Weltmeisterschaften 2018 (nach Russland) und 2022 (nach Katar) entschieden wurde. Jetzt prüft der ehemalige US-Staatsanwalt Michael Garcia im Auftrag der Fifa, ob dabei noch etwas anderes im Spiel war als die Fakten der Bewerbungsmappen. Der Wüstenstaat, kleiner als Hessen, lag jedenfalls in einer amtlichen Voreinschätzung auf dem letzten Platz der Kandidaten. Allein schon wegen der klimatischen Bedingungen. Am Ende bekam das Emirat trotzdem 14 von 22 Stimmen. Die USA unterlagen im vierten Wahlgang.

Seitdem reißen die Bestechungsvorwürfe nicht mehr ab. Und das Zentrum des Wüstensturms kreist unerbittlich um Mohamed bin Hammam. Der frühere Präsident der Asiatischen Fußball-Konföderation (AFC) soll ärmeren Nationalverbänden aus Afrika die Entscheidung für Katar mit großzügigen Geldgeschenken erleichtert haben. Der englischen „Sunday Times“ wurden Unterlagen aus den Computern des AFC zugespielt, die nach Angaben des Blattes Überweisungen in Höhe von 3,5 Millionen Euro belegen. Seither berichtet die Redaktion Woche für Woche genüsslich von neuen Ungeheuerlichkeiten. Wie der, dass die AFC-Computer in der Kasse des argentinischen Fußball-Verbands rein zufällig ein Defizit von 56 Millionen Euro ausgemacht hatten. Geführt werden die Gauchos seit 1979 vom etwas sonderbaren Fifa-Vize Julio Grondona (83), in Funktionärskreisen unter „Don Julio“ bekannt.

Offenbar ermuntert vom Erfolg seiner Bakschisch-Taktik, versuchte der dreiste Katarer sogar die Fifa im Alleingang zu stürmen. Mit Hilfe gekaufter Stimmen aus Reihen der Karibischen Fußball-Union plante er, Joseph S. Blatter 2011 aus dem Amt zu kegeln. Der Deal flog auf. Mohamed bin Hammam und sein intriganter Spezi, Fifa-Vize Jack Warner, traten von allen Ämtern zurück.

Seither baut Blatter nach eigenem Bekunden zielstrebig an der neuen Fifa. Dagegen ist im Grunde wenig zu sagen. Ein bisschen unglücklich ist nur, dass ihn seine Kritiker für einen Mitwisser der Machenschaften halten, die den Fußball-Weltverband zuletzt in Verruf brachten. Uefa-Präsident Michel Platini hockt längst in den Startlöchern, um Blatter zu beerben. Und Wolfgang Niersbach wiederum, Präsident des Deutschen Fußball-Bunds (DFB), wäre wohl nicht abgeneigt, als Nachfolger seines Freundes Platini in die schicke Uefa-Zentrale am Genfer See in Nyon umzuziehen.

Das bereitet dem Gescholtenen zwar Unbehagen, treibt ihn aber an, seine Getreuen noch enger um sich zu scharen. Und als Beschaffer von Mehrheiten entwickelt der Machtmensch an der Fifa-Spitze nach wie vor erstaunliches Geschick. Vor den Delegierten in São Paulo beklagte Blatter – bleich, aber gefasst – wegen der Vorwürfe gegen Katar einen Sturm gegen die Fifa: „Leider gibt es dabei eine Menge Rassismus und Diskriminierung. Das macht mich traurig.“ Gleichzeitig kündigte er an: „Wir bauen die Fifa weiter um.“ Die afrikanischen Emissäre applaudierten im Stehen. Vertreter aus Pakistan und Haiti forderten: „Mach weiter, Sepp!“ Die Europäer schwiegen.

Ob und wie der Patron weitermachen kann, wird sich im Spätsommer entscheiden, wenn der Untersuchungsbericht von Chefermittler Michael Garcia veröffentlicht wird. Der Amerikaner sichtete Dossiers, analysierte Zusammenhänge und Abhängigkeiten, recherchierte weltweit in den Strukturen des internationalen Fußballs und befragte Dutzende Zeugen – zuletzt auch das ehemalige Fifa-Exekutiv-Mitglied Franz Beckenbauer.

Garcias Erkenntnisse liegen demnächst auf dem Tisch des Münchner Richters Hans-Joachim Eckert. Er wälzt dann um die 3000 Seiten. Und das gründlich. Der Bayer leitet die Spruchkammer einer Ethik-Kommission, die vom Weltverband initiiert wurde, nachdem das Verhalten einiger Fifa-Funktionäre immer zweifelhafter erschien.

Eckert muss im Lichte der Erkenntnisse entscheiden, ob es bei der WM-Vergabe 2022, eventuell auch 2018, mit rechten Dingen zugegangen ist. Gut möglich, dass der Richter dem Fifa-Kongress dann die Neuvergabe des Turniers empfiehlt. Katar hat für diesen Fall bereits mit Milliarden-Klagen gedroht. Der Streit könnte sich über Jahre hinziehen und für die Herren des Fußballs noch ziemlich ungemütlich werden.

Ganz gleich ist deshalb, wer die Machtzentrale des Weltfußballs in Zukunft führen wird, auf ihn warten gewaltige Herausforderungen. Die Fifa firmiert seit 1904 als eingetragener Verein unter dem Siegel der Gemeinnützigkeit. Der Verband (412 Mitarbeiter) hat sich dagegen zu einer weltweit operierenden Profitmaschine entwickelt, die ihre Einnahmen im Zeitraum zwischen 1995 und 1998 sowie 2011 und 2014 von 11,5 Millionen auf 656 Millionen Euro gesteigert hat. Die Einnahmen aus der Rechtevermarktung sind geradezu explodiert.

Die Fifa-Kritiker fordern deshalb unabhängige und professionelle Gremien zur Überwachung und Kontrolle der Geschäfte. Bei einer WM-Vergabe sollte das Stimmverhalten der Delegierten öffentlich gemacht werden. Einigkeit herrscht auch darüber, dass der Präsident nicht gleichzeitig die Exekutive und den Kongress steuern sollte. Und was das Wichtigste ist: Ein von unabhängigen Experten verfasstes Strategie-Papier muss mittel- und langfristig darüber bestimmen, welcher nationale Verband für welches Projekt unterstützt wird.

Ob er will oder nicht: Der Fußball-Weltverband steht 110 Jahre nach seiner Gründung vor einer kleinen Revolution. Auch weil fünf der sechs Top-Sponsoren die Zustände an König Blatters Tafelrunde zuletzt monierten. Darunter auch die Marke mit den drei Streifen. Die Geldgeber drohten öffentlich mit Liebesentzug. Das gab es noch nie. Ob es so weit kommt, ist eine ganz andere Frage. Moral ist gut, Profit ist besser. Adidas hat erst kürzlich seinen Vertrag mit der Fifa bis 2030 verlängert.