Bundestrainer Joachim Löw: Es ist nicht alles schlecht, findet er Foto: dpa

Arrogant, selbstgefällig und zu wenig Leidenschaft: Bundestrainer Joachim Löw gibt sich bei der WM-Analyse selbstkritisch – er will aber auch an Altbewährtem festhalten. Ist das die richtige Antwort auf das WM-Debakel?

München - Als die 90 Minuten schon vorüber waren und die Pressekonferenz in die Verlängerung ging, bekam der Bundestrainer die einfachste und zugleich wohl auch schwierigste Frage des Tages gestellt. „Herr Löw, wie geht es Ihnen?“ – was ansonsten eher eine leere Höflichkeitsfloskel ist, war nun tiefgründig.

Ja, wie geht es Löw, nachdem er acht Wochen lang abgetaucht war nach dem desaströsen Vorrunden-Aus bei der WM – wie geht es also einem Mann, der seit Wochen quasi nicht zu greifen war in der Öffentlichkeit und dennoch ständig präsent war, der so heftig in der Kritik stand und nun bei den ersten Länderspielen nach der WM massiv unter Druck steht? Löw überlegte kurz oben auf dem Podium, und dann sprudelte es aus ihm heraus: Gut gehe es ihm, sagte er und stellte dann eine Gegenfrage; „Oder erwecke ich einen anderen Eindruck?“ Und dann noch mal, im Staccato-Takt: „Gut, gut, gut.“ Voller Leidenschaft, voller Motivation und voller Überzeugung gehe er die Dinge nun an, ergänzte Löw – und sagte damit Dinge, die ein Bundestrainer sagen muss, wenn er der Öffentlichkeit nach langem Warten ein paar Häppchen der Motivation zu liefern hat.

Löw durfte, sollte und wollte weitermachen nach dem WM-Debakel, und nun war sie gekommen, die Stunde null im Bauch der Münchner Arena. Sein erster öffentliche Auftritt nach dem Vorrunden-Aus. Um kurz nach zwölf schritt Löw, ganz in Schwarz gekleidet, die Treppen im Pressesaal der Münchner Arena hinab. Und dann ging es hinauf aufs Podium, dessen Wand davor, ob Zufall oder nicht, in grellem Grün leuchtete – der Farbe der Hoffnung.

„Da war ich fast arrogant“

Löw, der Mann, der die Hoffnung verbreiten sollte, referierte dann zusammen mit seinem Nebensitzer, dem DFB-Direktor Oliver Bierhoff, so lange, dass am Ende der Pressekonferenz 110 Minuten Spielzeit standen. Ein Rekord in der Geschichte des DFB, wie der Pressesprecher verkündete.

Löw konzentrierte sich dabei auf die taktische Ausrichtung bei der WM, die er als seinen „allergrößten Fehler“ bezeichnete. Es sei das Vorhaben gewesen, mit dominantem Ballbesitzfußball durch die Vorrunde zu kommen. „Ich wollte das auf die Spitze treiben, das perfektionieren. Da war ich fast arrogant. Da gibt es nichts zu beschönigen“, sagte der Bundestrainer. Ich war arrogant. Das also, was ihm weite Teile der Experten nach dem Turnier in Russland vorwarfen, bestätigte Löw nun. Viele hätten ihm das so nicht zugetraut. War das Eingeständnis also entwaffnend ehrlich, oder war es nur genau der Brocken, den Löw und die Strategen der Nationalelf der Öffentlichkeit nun hinwerfen wollten? Weil es eh nicht mehr anders ging und alles andere lächerlich gewesen wäre? Oder damit es heißt: Schau, der Jogi hat gesagt, er war arrogant. Schau, der Jogi hat es endlich kapiert.

Dann wäre Ruhe im Karton.

Wie auch immer – Löw ging ins Detail, was die Spielweise und die Arroganz anging. Man müsse, sagte Löw also, die Nationalmannschaft nach dem „absoluten Tiefschlag“ von Russland „wieder auf eine stabilere Spielweise vorbereiten. Wir müssen flexibler, stabiler sein. Ich bin bei der WM zu viel Risiko gefahren.“

Löw sprach vom Einsatz vom Kampf und der Zweikampfstärke, die sein Team bei der WM habe vermissen lassen: „Es wäre meine Aufgabe gewesen, das innerhalb des Teams zu forcieren, sei es bei der Ansprache oder den Trainingseinheiten.“ Ein Bundestrainer schafft es nicht, seine Mannschaft bei der WM, dem absoluten Höhepunkt, zu motivieren: Löw stellte sich selbst ein Armutszeugnis aus – er griff aber auch seine Spieler an. Laufen, rennen und Zweikämpfe zu bestreiten, so Löw, sei ja generell niemandem verboten.

Er war, ist und bleibt ja der Weltmeistertrainer

Wird jetzt also alles neu, schmeißt der Bundestrainer entgegen seinen über die Jahre gewachsenen Gewohnheiten also alles über den Haufen? Bei sich und der Auswahl seiner Elf? Nein, sagte Löw, der dann ja im Grunde auch nicht mehr Löw, der Mann mit den eisernen Prinzipien wäre: „Nein. Man darf nicht alles schlecht sehen, was war.“ Löw meinte damit seine zwölf Jahre als Bundestrainer.

Demütig sein, Fehler eingestehen, gleichzeitig aber auch Selbstvertrauen ausstrahlen, diesen Spagat wollte Löw meistern am Mittwoch in München. Und wie er da so sprach – ruhig und bestimmt, besonnen und teilweise schon wieder gelassen –, all das erinnerte schon wieder ein bisschen an den Löw von vor der WM. An den Löw also, dem nach eigener Wahrnehmung keiner mehr was konnte. Er war, ist und bleibt ja der Weltmeistertrainer. Jetzt aber ist er der Mann, der das historische Scheitern von Russland zu verantworten hat – weshalb er nicht umhinkommt, ein paar Dinge zu ändern. Löw sprach vom Feuer, vom Enthusiasmus und von der Flamme, die wieder brennen muss – Krisenrhetorik also, die in schlechten Zeiten ganz gut ankommt.

Das Motto: Weiter so, aber ein bisschen anders

Gibt es ihn also tatsächlich, diesen einen großen Umbruch? Löw sinnierte kurz, legte den Kopf zur Seite, dann richtete er den Blick starr nach vorne. Es sei wichtig, eine gute Achse zu haben, sagte er dann. Alte Spieler, an denen sich die jüngeren orientieren: „Ich traue es den Weltmeistern von 2014 zu, dass sie mehr zeigen als zuletzt bei der WM.“ Ein paar Neue, viel Altbewährtes. Ein Umbruch light. Selbstkritik und Selbstvertrauen. Weiter so, aber ein bisschen anders. Das war Joachim Löw am Mittwoch. Und das ist die Nationalelf der Zukunft.