Das war’s: Jerome Boateng fliegt gegen Schweden vom Platz. Foto: AFP

In der Bundesliga das Maß aller Dinge, laufen die meisten Bayern-Spieler ihrer Form bei der WM noch hinterher. Von den elf WM-Fahrern des deutschen Rekordmeisters konnten bisher lediglich eine Leihgabe und Deutschlands Kapitän Manuel Neuer überzeugen.

Stuttgart - In Niko Kovac bekommt der FC Bayern München zur kommenden Saison einen neuen Trainer. Elf Spieler seines potenziellen Kaders kann der 46-Jährige Ex-Eintracht-Coach bei der WM begutachten – sofern sie denn für ihre jeweiligen Teams auflaufen dürfen. Überzeugen konnten ihn dabei bisher nur die wenigsten Auftritte seiner Schützlinge. In der Bundesliga das Maß aller Dinge, spielen die meisten Bayern bei der WM entweder eine Nebenrolle oder konnten schlichtweg die in sie gesetzten Erwartungen (noch) nicht erfüllen. Der geschätzte Gesamtwert der elf bayerischen WM-Fahrer: 568 Mio. Euro. Die bisherige WM-Bilanz: 16 Einsätze, 0 Tore, 2 Vorlagen, eine Verletzung und ein Platzverweis.

Es ist ein Sinnbild seiner bisherigen WM: Übermotiviert und mit schlechtem Timing geht Jerome Boateng in der 82. gegen Schwedens Markus Berg in den Zweikampf. Und nicht einmal die hartgesottenen Deutschland-Fans hatten bei der TV-Wiederholung einen Zweifel: Dafür muss der Weltmeister von 2014 mit Gelb-rot vom Platz. Schiedrichter Szymon Marciniak benötigte für diese Erkenntnis nicht die TV-Bilder und schickte den 29-Jährigen frühzeitig duschen. Mit hängendem Kopf schlich Boateng vom Platz, nicht ahnend, dass die deutsche Mannschaft ohne ihn das Spiel noch drehen würde.

Boateng wollte sich empfehlen

Lange verletzt, bei den Bayern nicht mehr unumstritten, kämpft der bullige Innenverteidiger seit Wochen um seine Form. Dabei wollte er sich auf der ganz großen Bühne für einen internationalen Topclub empfehlen. Ein Problem, mit dem er in Russland in guter Gesellschaft ist. Zwar ist nicht bekannt, dass sich sein Münchener Kollege Thomas Müller bei der WM für andere Club ins Schaufenster stellen wollte – überzeugen konnte Deutschlands Topscorer der vergangenen Weltmeisterschaften (2014: 5 Tore, 3 Vorlagen; 2010: 5 Tore) bei seinen beiden Auftritten (2 x Note 5) überhaupt nicht. Er agiert ähnlich ziellos wie in der Rückrunde beim FC Bayern (4 Tore seit Februar). Im abschließenden Gruppenspiel gegen Südkorea droht dem 28-Jährigen nun die Bank.

Von dort musste sich Mats Hummels den Zittersieg gegen Schweden anschauen. Allerdings entzog ihm Joachim Löw nach der durchwachsenen Vorstellung gegen Mexiko (Note 4) nicht das Vertrauen – ein verrenkter Halswirbel setzte ihn außer Gefecht. Ob es für einen Einsatz gegen Südkorea reichen wird, konnte der 29-Jährige am Montag noch nicht sagen, gab sich aber zuversichtlich: „Es sollte bis Mittwoch so gut werden, dass ich keine Probleme habe.“ Überhaupt hatte Hummels seinen bisher stärksten Auftritt wohl am Mikrofon, als er nach der indiskutablen Leistung gegen Mexiko die Mannschaftstaktik und die Spielweise mancher Kollegen kritisierte: „Ich verstehe nicht so ganz, warum wir so gespielt haben, obwohl wir gegen Saudi-Arabien schon einen Schuss vor den Bug bekommen haben.“ Eine berechtigte Kritik, dabei ist auch der Nebenmann von Boateng weit von seiner Bestform entfernt.

Kimmich kritisiert Medien – nicht die Leistung der Mannschaft

Ein Schicksal, das Rechtsverteidiger Joshua Kimmich (23) teilt. Wie bei den meisten bayerischen WM-Fahrern fällt auf, dass er seit Wochen seiner Form hinterherrennt. Fast scheint es, als sei mit dem zerplatzten Champions-League-Traum (Aus im Halbfinale gegen Real Madrid) auch das Selbstvertrauen der Ausnahmekicker flöten gegangen. Und ob er sich mit seiner Medienschelte („Wir repräsentieren unser ganzes Land. Da stehen 82 Millionen dahinter. Wenn man das in der Presse verfolgt, ist es heftig, was da abgeht und wie das alles angeheizt wird. Wenn wir dieses große Ziel erreichen wollen, sollten wir alle an einem Strang ziehen.“) einen Gefallen getan hat oder der Druck auf den WM-Neuling noch zunimmt, wird sich mit der Südkorea-Partie zeigen. Fakt ist: Offensiv war der Ex-Stuttgarter bisher völlig harmlos und Defensiv ist er weit von der Leistung entfernt, die ihn zur unumstrittenen Stammkraft beim FC Bayern und in der Löw-Truppe hatte werden lassen (2 x Note 4).

Im defensiven Mittelfeld bekam Sebastian Rudy gegen Schweden seine Chance: Und der Ex-Stuttgarter nutzte sie (Note 3), bis ihn der Schuh von Ola Toivonen im Gesicht traf. Der 28-Jährige musste runter und sich mittlerweile eine Nasen-OP unterziehen. Sein Einsatz gegen Südkorea scheint mindestens fraglich – vermutlich rutscht für ihn wieder Sami Khedira in die Startelf.

Rudy verletzt, Süle nur Ersatz, aber Neuer überzeugt

Hoffnungen auf seinen ersten WM-Einsatz macht sich auch Niklas Süle – der 22-jährige Innenverteidiger könnte von der Sperre Boatengs und/oder der Verletzung von Mats Hummels profitieren. Denn, Konkurrent Antonio Rüdiger (Note 5) vom FC Chelsea konnte gegen Schweden wahrlich nicht überzeugen.

Aus der deutschen Bayern-Riege bleibt damit nur noch Torhüter Manuel Neuer. Ganz Deutschland diskutierte über Wochen, ob Joachim Löw den viermaligen Welttorhüter mit nach Russland nehmen solle. Schließlich fiel der 32-jährige Kapitän über ein halbes Jahr wegen einer Fußverletzung aus. Aber zumindest in dieser Frage scheint der Bundestrainer alles richtig gemacht zu haben: Neuer kann man bei keinem der beiden Gegentore einen Vorwurf machen und wenn er gegen Schweden nicht zwei Mal exzellent pariert, ist das Spiel zur Halbzeit vermutlich entschieden. An seiner Klasse bestehen keine Zweifel. Und so gibt es erste Stimmen, die davon sprechen, dass die deutsche Mannschaft soweit kommen werde, wie sie Neuer im Turnier hält.

Rodriguez überragend, Lewandowski taucht ab

Eine Rolle, die James Rodriguez bei Kolumbien nur allzu gut kennt. Der WM-Torschützenkönig von 2014 (6 Tore) stand beim WM-Auftakt gegen Japan verletzungsbedingt nicht in der Startelf, prompt setzte es eine 1:2-Niederlage für die Südamerikaner. Im Alles-oder-nichts-Spiel gegen Polen spielte die Leihgabe von Real Madrid von Beginn an und führte seine Mannschaft mit zwei Vorlagen zu einem souveränen 3:0-Sieg gegen Polen und wurde auch zum „Man of the Match“ gekürt. Während sich Rodriguez und Co. damit weiterhin Hoffnungen auf das Achtelfinale machen dürfen, sind die Polen um Mittelstürmer Robert Lewandowski ausgeschieden.

Dass der 29-Jährige in der kommenden Saison noch für den FC Bayern auflaufen wird, scheint nach den Querelen der Rückrunde ausgeschlossen. Und wie schon in den entscheidenden Spielen in der Champions League war Lewandowski auch gegen Kolumbien quasi nicht zu sehen. Aber – ebenfalls wie beim FC Bayern – die Schuld dafür sucht er nicht etwa bei sich, sondern ausschließlich bei seinen Mitspielern: „Aus nichts kann ich nichts machen.“ Und er fügte an, dass die polnische Mannschaft „nicht die fußballerische Qualität“ habe, um auf diesem Niveau mitzuspielen. Man darf gespannt sein, ob das Spiel gegen Japan (Donnerstag, 16 Uhr) sein letztes Spiel im polnischen Nationaldress sein wird. Jedenfalls ist seine Leistung in den letzten Monaten nicht sonderlich geeignet, sich für die Spitzenclubs zu empfehlen, bei denen sich der eigensinnige Pole gerne in der kommenden Saison sehen würde.

Thiago und Tolisso nur Ergänzungsspieler

In Thiago (Spanien) und Corentin Tolisso (Frankreich) hat Bayern-Trainer Kovac noch zwei weitere Akteure in Russland am Start. Beide sind über die Rolle des Ergänzungsspielers bisher nicht hinausgekommen, dabei scheinen Barcelona und Real Madrid bereit, richtig Geld für Thiago locker machen zu wollen. Ob das so bleibt, wenn der 27-Jährige nicht über seine bisherigen 20 Einsatzminuten hinauskommt?

Die WM geht nun erst in ihre heiße Phase, d.h., noch haben fast alle Bayern-Spieler Zeit, nachhaltig positiv auf sich aufmerksam – allein, bei der derzeitigen Form von so manchem fehlt einem manchmal der Glaube.