Party nach dem Finale: Bastian Schweinsteiger. Foto: dfb

Im Sport ist die Euphorie nach einem großen Triumph oft Gift für eine erfolgreiche Entwicklung. Thomas Berthold ist voll des Lobes über das deutsche Team. Er warnt aber davor, eine neue Erfolgs-Ära auszurufen.

Im Sport ist die Euphorie nach einem großen Triumph oft Gift für eine erfolgreiche Entwicklung. Thomas Berthold ist voll des Lobes über das deutsche Team. Er warnt aber davor, eine neue Erfolgs-Ära auszurufen.

Stuttgart - Herr Berthold, die deutschen Spieler stecken noch mitten in den Feierlichkeiten – wie lange braucht man eigentlich, um zu begreifen, dass man Weltmeister ist?
Das geht schnell (lacht). Das passiert schon im Zuge der Siegerpartys.
Wie war’s bei Ihnen, nach dem Titel 1990?
Man wacht danach zum ersten Mal auf und denkt sich: Wow, ich bin Weltmeister!
Geht Ihnen das heute, 24 Jahre später, auch noch so?
Ja, jeden Morgen! Das ist wunderschön, und dieses Gefühl kann einem keiner mehr wegnehmen, ein ganzes Leben lang.
Nun darf die 2014er-Generation diese ganz besonderen Momente auskosten. Ist die deutsche Elf denn ein verdienter Weltmeister?
Ja, sie hat sich im positiven Sinne zu einer klassischen deutschen Turniermannschaft entwickelt und war auf den Punkt da, als es darauf ankam. Die Truppe hat eine außergewöhnliche Mentalität an den Tag gelegt, von der Nummer eins bis zur Nummer 23. Alle haben füreinander gearbeitet, so muss es sein. Da kann man nur den Hut ziehen.
Sie waren fast über die komplette Dauer der WM in Rio de Janeiro als TV-Experte aktiv. Welche Trends lassen sich aus der WM ableiten – und kann das deutsche Team in den nächsten Jahren eine Erfolgs-Ära prägen?
Da muss man vorsichtig sein. Die Fußballspitze rückt immer enger zusammen, das hat man bei der WM gesehen. Chile, Kolumbien, ja sogar Costa Rica hätten allesamt das Zeug fürs Finale gehabt. Und ich will nicht wissen, was passiert wäre, wenn das deutsche Team auf Kolumbien getroffen wäre. Es kommt im Fußball immer auf Kleinigkeiten an – jetzt hat sich das Ganze an der Spitze nochmals verdichtet.
Mit Deutschland als Vorreiter?
Vorsicht! Natürlich werden wir auch bei der EM 2016 in Frankreich wieder zu den Favoriten zählen. Aber ich habe für die nächsten Jahre vor allem die Spanier wieder auf dem Zettel. Auf Vereinsebene dominieren sie sowieso nach Belieben. Und im Unterbau, bei den Junioren-Nationalteams, ist es genauso.
Spanien ist aktueller U-21-Europameister.
Genau. Im Juniorenbereich können wir zurzeit nicht ganz Schritt halten mit ihnen.
Was braucht es für das deutsche Team, um bei den nächsten Turnieren titelreif zu sein?
Die WM hat gezeigt, dass die Außenverteidiger immer wichtiger werden. Das Spiel wird im Zentrum verdichtet, da wird gekämpft, da wird es eng. Deshalb brauchst du schnelle Außen, die Flanken schlagen können. Über Philipp Lahm müssen wir nicht reden – aber hinten links, da müssen wieder Spieler nachkommen, die technisch versiert und dynamisch sind. Und die einen starken linken Fuß haben. Da gilt es bei der Arbeit im Juniorenbereich wieder anzusetzen.
Wo liegen weitere Baustellen?
Im Angriff. Miroslav Klose ist 36 Jahre alt – welchen Stoßstürmer haben wir sonst noch?
Mario Gomez vielleicht.
Ich wünsche es ihm sehr, dass er bald wieder der Alte ist und gestärkt zurückkommt. Du brauchst Knipser vorne drin, die für Torgefahr sorgen. Wenn Klose aufhört, sehe ich den im deutschen Team zurzeit noch nicht.
Ein Mann, der stets Torgefahr ausstrahlt, aber eher aus der Tiefe kommt, ist der zurzeit verletzte Marco Reus. Das Team ist ohne ihn Weltmeister geworden. Wie wichtig wird er in Zukunft für die Nationalelf sein?
Extrem wichtig. Die WM hat gezeigt, dass der Fußball nochmals schneller geworden ist – und dass es dazu technisch starke, dynamische Spieler braucht, die den Anforderungen gerecht werden, die mit dem Ball in höchstem Tempo alles machen können. Reus ist genau so ein Typ, er vereint Technik mit Geschwindigkeit. Ilkay Gündogan ist ein ähnlicher Typ, der auf einer anderen Position im defensiven Mittelfeld genau diese dynamischen Komponenten mit einbringt.
Auch Joachim Löw hält große Stücke auf Gündogan – sollte der Bundestrainer selbst nach dem großen Triumph weitermachen?
Jogi ist ein anständiger, netter Kerl, der sich nie in den Vordergrund drängt. Es gibt keinen Besseren als Löw. Punkt. Und ich glaube auch nicht, dass er sich nach zehn Jahren Verbandsarbeit in naher Zukunft noch mal auf die Knochenmühle Bundesliga einlässt.
Wann wird Löw denn mal wieder einen VfB-Profi nominieren? Antonio Rüdiger und Timo Werner gelten als Kandidaten.
Ganz ehrlich: Ich glaube, dass Rüdiger dazu die Qualität fehlt. Er ist im Kopf zu langsam, ihm fehlt die Handlungsschnelligkeit, zudem ist er technisch und taktisch nicht gut genug.
Und Timo Werner?
Bei ihm muss man abwarten. Er ist sehr schnell und beweglich, er hat gute Anlagen. Wohin sein Weg führt, das wird sich allerdings erst noch weisen.