Wie lässt sich Erfahrung auf die nächste Generation von Fachkräften übertragen? Diese Frage beschäftigt den Schreiner von nebenan ebenso wie einen Weltkonzern. Foto: imago/Panthermedia

Die Babyboomer gehen in Rente. Unternehmen müssen die Frage klären, wie deren Expertise an ihre Nachfolger vermittelt werden kann. Wie läuft der Wissenstransfer bei Mercedes-Benz, Bosch und Co.?

Das Thema brennt vielen Unternehmen auf den Nägeln. Wegen hoher Fluktuation, aber auch, weil schon bald viele erfahrene Mitarbeiter aus der Babyboomer-Generation in den Ruhestand gehen werden, stellt sich die Frage, wie man die Erfahrungen und das Wissen dieser Fachleute für die Firmen und Organisationen sichern kann. Einen „strukturellen Wissenstransfer“ mithilfe überlappender Wiederbesetzungen hat jetzt die Fraktion Linke/Pirat für den Verband Region Stuttgart angemahnt.

Das hat erhebliche Diskussionen ausgelöst: Mehrmonatige Doppelbesetzungen zu schaffen, das sei „so was von oldschool“, also altmodisch, merkte Regionalrat Jürgen Zieger (SPD) an. Eher üblich seien heute Wiederbesetzungssperren. Und auch Andreas Koch (CDU) gab zu bedenken, dass zusätzliche Kosten für eine solche Maßnahme aus seiner Sicht unnötig sind: „Wenn Vertretungen da sind, dann muss doch auch das Wissen vorhanden sein.“

Doch wie gehen Firmen und Kommunen mit der Thematik um? Laut IHK-Sprecherin Franziska Stavenhagen beschäftigt diese Frage „ganz viele unserer Mitglieder“. Eine kleine Umfrage unter Unternehmen in der Region und bei der Stadt Stuttgart bringt überraschende Erkenntnisse.

Mercedes-Benz nimmt Führungskräfte in die Pflicht

Bei der Mercedes-Benz Group kommt den Führungskräften eine wichtige Rolle zu. „Sie haben eine besondere Verantwortung, wenn es darum geht, zu beurteilen, welches Wissen erhalten und weitergegeben werden muss“, erklärt die für das Personalwesen zuständige Sprecherin Frederike Birkner. Das geschehe unter anderem mit frühzeitigen Vertretungsregelungen oder „auch stellenweise mit zeitlichen Überlappungen vom ausscheidenden Beschäftigten und der jeweiligen Nachfolge“. Zudem gebe es professionelle Dokumentations- und Wissenssysteme. Das Personalwesen biete Führungskräften dabei die notwendige Transparenz über anstehende altersbedingte Abgänge, sodass eine Nachfolgeplanung inklusive Wissenstransfer frühzeitig erfolgen könne.

Cellcentric plant ein System für Wissensmanagement

Das Hightech-Unternehmen Cellcentric, ein Joint Venture von Daimler Truck und Volvo mit Sitz in Kirchheim/Teck (Kreis Esslingen), verfügt über mehr als 30 Jahre Erfahrung in der Entwicklung, Produktion und Vermarktung von Brennstoffzellensystemen. „Damit diese Erfahrung und Expertise auch bei einem personellen Wechsel weiterhin im Unternehmen verbleibt und neuen Mitarbeitern übermittelt werden kann, ist ein strukturierter Wissenstransfer für Cellcentric von großer Bedeutung“, sagt die Firmensprecherin Kim Eisfeld.

So gibt es im Unternehmen eine jährliche Überprüfung von Kompetenzen. Das personelle Wachstum des Unternehmens werde zudem dazu genutzt, Kompetenzen und Wissen auf mehrere Mitarbeiter zu verteilen. Bewusst werde dabei auf Redundanzen bei Schlüsselqualifikationen geachtet und frühzeitig zentrale Positionen, bei denen man weiß, dass der Mitarbeiter demnächst in Rente geht, doppelt besetzt. Darüber hinaus plant Cellcentric, ein Wissensmanagement-System zu installieren.

Bei Bosch gibt es eine eigene Gesellschaft für Wissenstransfer

Einen ganz eigenen Weg beim Thema Wissenstransfer geht Bosch. Bereits 1999 hat das Unternehmen die Bosch Management Support Gesellschaft (BMS) gegründet. Am Anfang waren es 30 ehemalige Bosch-Mitarbeiter, die ihr Wissen in die Weiterentwicklung des Unternehmens einbringen. Heute gibt es ein Netzwerk von 2300 Senior-Experten weltweit. Voraussetzung für die Registrierung bei der BMS ist, dass man im Ruhestand ist. Die Fachleute arbeiten zeitlich befristet und zu einem Honorar, das sich an den früheren Gehältern orientiert, und kommen überall dort zum Einsatz, wo kurzfristig professionelle Unterstützung gefragt ist, es Kapazitätsengpässe gibt oder spezielles Know-how benötigt wird.

Die Stadt Stuttgart setzt seit zehn Jahren auf Workshops

Auch die Stadt Stuttgart beschäftigt sich schon lange mit dem Thema. Bereits vor zehn Jahren hat die Stadt ein Konzept zum strukturellen Wissenstransfer für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit langjährigem Erfahrungs- oder Spezialwissen erarbeitet. Dabei werden in einem Workshop die Aufgaben mit Fristen und Terminen, notwendige Kompetenzen zum Erledigen von Aufgaben und das Erfahrungswissen der Mitarbeiter dokumentiert. Auch das Netzwerk von internen und externen Ansprechpartnern wird abgefragt und für einen Nachfolger hinterlegt. Dieses Konzept sei aber in Bereichen mit hoher Fluktuation nur bedingt einsetzbar, sagt Stadt-Pressesprecher Oliver Hillinger. Deshalb unterstützt die Stadt diese Fachbereiche mit konkreten Einarbeitungskonzepten – erarbeitet unter anderem von einem eigens dazu geschaffenen Einarbeitungsteam aus dem Jobcenter. Das habe sich bewährt, sagt Hillinger. Für Schlüssel- und Führungspositionen gibt es Mittel, um bis zu dreimonatige Überlappungen zahlen zu können. Zudem ist der Ausbau von Wissensdatenbanken geplant.

Die Bosch Management Support Gesellschaft

Aktivitäten
Weltweit waren 2021 die Mitarbeiter der Bosch Management Support Gesellschaft an insgesamt 57 000 Arbeitstagen im Einsatz. Der Expertenpool von Bosch vereint mehr als 50 000 Jahre Berufserfahrung. Arbeitsgebiete der Seniorexperten sind fast alle Bereiche – von der Entwicklung über Produktion, Logistik, kaufmännische Aufgaben, Einkauf bis zum Marketing und dem Vertrieb – und eben auch bis zum Interimsmanagement.

Weltweit
Die Bosch Management Support Gesellschaft hat Standorte in Deutschland, Brasilien, Großbritannien, Indien, Japan, Mexiko, Österreich, Türkei und den USA.