Theresia Bauer: Klare Worte zum Abschied als Ministerin Foto: dpa

Nach elf Jahren als Wissenschaftsministerin wagt Theresia Bauer einen neuen Antritt als OB-Kandidatin in Heidelberg. Grund genug für eine Bestandsaufnahme.

Seit 2011 ist Theresia Bauer (57) Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst des Landes Baden-Württemberg. am 25. September verabschiedet sich die Grünen-Politikerin aus ihrem Amt. Bauer, geboren in Zweibrücken, kandidiert in ihrer Wahl-Heimatstadt Heidelberg bei der Oberbürgermeisterwahl. Erster Wahlgang ist am 6. November. Welche anhaltenden Herausforderungen sieht Theresia Bauer in der Wissenschafts- und Kunstpolitik des Landes? Im Interview macht die Ministerin deutlich: „Jede Hochschule und jede Hochschulart muss sich sehr genau überlegen, was ihr besonderes Angebot ausmacht. Sie müssen jeweils überzeugen, dass ihre Ergebnisse und ihre Absolventinnen und Absolventen in der Gesellschaft gebraucht werden.“

Netzwerke als Erfolgsmodelle

Frau Ministerin, mit im Zentrum Ihrer Arbeit steht der Anspruch, „Netzwerke“ zu initiieren und zu begleiten, „die auf eine neue Form der agilen und hürdenarmen Kooperation“ zielen. Wie weit ist das Land aus Ihrer Sicht hier?

Wir haben hier – an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft – in Baden-Württemberg mit den Innovationscampus-Modellen seit 2016 neue Strukturen implementiert, die sich in unglaublich kurzer Zeit bewährt haben und zum Erfolgsmodell geworden sind. Das wird bleiben.

Haben Sie Beispiele?

Ob Cyber Valley in Stuttgart/Tübingen, der Innovations-Campus für die Mobilität der Zukunft von KIT und Uni Stuttgart oder die Health & Life Science Alliance in Heidelberg/Mannheim: Hier wird zusammengearbeitet über die Grenzen von Institutionen und Orten hinweg, im Interesse, miteinander internationale Strahlkraft zu erreichen: Forscherinnen und Forscher aus unterschiedlichen Einrichtungen, Unternehmen, Start-ups, Stiftungen, lokale Entscheiderinnen und Entscheider arbeiten daran, ein gutes Umfeld für den gemeinsamen Erfolg aufzubauen. Das Cyber Valley fliegt bereits und zieht Talente aus der ganzen Welt an. Auch unsere anderen beiden Innovationscampus schlagen durch – davon bin ich überzeugt.

Das Cyber Valley versteht sich als Zukunftslabor Foto: CV

Das sind jetzt die bekannten Leuchttürme.

Es gibt auch andere Beispiele dafür, wie es gelungen ist, eine Kultur der Kooperation statt Abgrenzung und Wettbewerb zu stärken: Mit dem Format der „Reallabore“ haben wir die Zusammenarbeit über Disziplinen hinweg mit Kommunen und den zivilgesellschaftlichen Akteuren aus der Region gefördert – um gemeinsam an der lokalen Umsetzung globaler Probleme zu arbeiten und diese mit den Kenntnissen der Wissenschaft zu bereichern. Die meisten davon arbeiten zu Fragen der Stadtentwicklung, Partizipation und Klimaschutz. Auch dieses Format ist inzwischen bundesweit gefragt als gute Möglichkeit, wie Transfer aus der Wissenschaft besser gelingen kann.

Muss die Messlatte höher liegen?

Mir war es immer ein Anliegen, dass unsere Hochschulen nicht nur darum wetteifern, die besten Hochschulen der Welt zu sein. Sondern vielmehr darum ringen, dass sie die besten Hochschulen für die Welt sind.

Theresia Bauer in ihrer Wahlheimat Heidelberg Foto: dpa

Ein enormer Anspruch ...

Von zentraler Bedeutung ist für all das finanzielle Verlässlichkeit. Damit sie selbstbewusst agieren können, müssen Hochschulen in der Lage sein, nicht permanent auf der Jagd nach weiteren Drittmitteln zu sein. Das verengt den Blick und das Handeln. Deshalb bin ich stolz darauf, dass es uns gelungen ist, mit dem Hochschulfinanzierungsvertrag „Perspektive 2020“ diesen Paradigmenwechsel einzuläuten und den Hochschulen mit diesem und der nachfolgenden Hochschulfinanzierungsvereinbarung über zehn Jahre jährlich aufwachsend mehr frei verwendbare Grundmittel zur Verfügung zu stellen. Das bedeutet nicht nur mehr Geld, sondern vor allem mehr Freiraum für eigene Strategien.

Bewusst lokale Schwerpunktbildung

Allein der Leuchtturm „Cyber Valley“ markiert inzwischen international eine erstrangige Innovationsmarke. Fast scheint es so, dass diese sich verselbstständigt hat, kaum mehr mit Baden-Württemberg in Verbindung gebracht wird, sondern einerseits mit dem Comeback der Regionen und andererseits mit internationalen geografischen Größen nach dem Motto „near Munich“. Ist das noch ein Erfolg oder schon ein Anlass, zumindest bei der „The Länd“-Kampagne Baden-Württemberg als Innovationsmotor stärker leuchten zu lassen?

Baden-Württemberg ist auch the LÄND of Innovation. Das ist starker Bestandteil der neuen Landeskampagne – und übrigens auch der neuen Ansiedlungsstrategie. Und da ist unser Cyber Valley sicher ein Zugpferd, das international bereits mächtig auf sich aufmerksam gemacht hat und auch als Aushängeschild für the LÄND Baden-Württemberg steht. Wir haben es in Baden-Württemberg ja mit der Besonderheit zu tun, dass in unserem sehr dezentral strukturierten Flächenland die innovativen Akteure aus Wirtschaft und Wissenschaft über viele Regionen und mittelgroße Städte verteilt sind. Selbst unsere Exzellenzuniversitäten sind im globalen Vergleich ja ziemlich klein. Da kommt uns jetzt zugute, dass in den letzten Jahren der internationale Trend sich ein wenig dreht: Es zählt nicht mehr nur die schiere Masse, sondern die lokale Dichte, Qualität und Perspektivenvielfalt, mit der zusammengearbeitet wird. Und genau das ist die Stärke unserer bewusst regionalen beziehungsweise lokalen Herangehensweise bei den Innovationscampus oder auch den Reallaboren.

In Ihren Dokumentationen ist wiederholt von den Medizin/Lebenswissenschaften die Rede. Hier ist das Tempo enorm hoch, zugleich sind die Vorlaufkosten enorm. Hätten Sie sich im Rückblick gerade auf die vergangenen vier Jahre eine noch engere Verzahnung mit der Medizintechnik-Startup-Szenerie wie sie etwa in der BioRegio Stern gebündelt ist, und den Hochschulen gewünscht? Einen stärkeren Rücktransfer aus der unter konkurrierendem Innovationsdruck stehenden frischen Praxis hinein in die Hochschulen?

Die Zusammenarbeit in diesem Schlüsselbereich zwischen Forschung und Unternehmen kann gar nicht eng genug sein. Die Veränderungen gehen, insbesondere durch die Digitalisierung und Erkenntnisse aus dem Bereich Lebenswissenschaften/Molekularbiologie getrieben, mit rasanter Geschwindigkeit voran und wälzen Medizin und die Gesundheitsökonomie um. Dieser Transformationsprozess ist nicht weniger radikal als das, was wir im Automobilbereich erleben. Wir tun alles dafür, dass die Netzwerke der Kooperation eng, dicht verflochten und lebendig sind. Vieles spricht dafür, dass diese Netzwerke lokale Konzentration brauchen, damit man sich tatsächlich kennt und sich begegnet. Deshalb ist BioRegio Stern ein wichtiger Partner genauso wie Bio RN in der Metropolregion Rhein-Neckar.

Darüber hinaus haben wir beim Strategiedialog Forum Gesundheitsstandort eine landesweite Plattform des Austauschs hergestellt. Hier werden Modellprojekte initiiert, die landesweit ausgerollt werden können und Fragen identifiziert, die landesweite Lösungen brauchen. Auf dieser Ebene ist jetzt eine wichtige Entscheidung gefallen: Wir konzentrieren uns auf die Bearbeitung einer Gesundheitsdatenstrategie. Davon werden Forschung, Unternehmen und Gesundheitsversorgung direkt profitieren.

Petra Olschowski wird als Nachfolgerin von Theresia Bauer neue Ministerin Foto: dpa

Stichwort Hochschulen: Sie haben in diesem Bereich enorme Umwälzungen „geerbt“. Würden Sie sagen, die Erschütterungen durch den Bologna-Prozess sind überwunden?

Die Bologna-Reform selbst ruft keinen Hund mehr hinterm Ofen hervor. Wenn man damit die Umstellung der Studien-Abschlüsse auf das gestufte Bachelor-/Master-System meint: Das hat sich fest etabliert.

Alles gut also?

Die Art der Umsetzung der Bologna-Reform in Deutschland bleibt auf der Agenda: Wie viel Standardisierung und Normierung in der Hochschullehre ist wirklich nötig? Wie eng sollen sogenannte „Modulhandbücher“ den jeweiligen Studienplan festlegen? Wieviel Freiheit bleibt für eine innovative Lehr- und Lernkultur? Dahinter stecken Qualitätsfragen, wie ein gutes Studium im 21. Jahrhundert eigentlich aussehen soll. Ich bin mir sicher, dass diese Fragen wichtiger werden in den nächsten Jahren. Denn mit dem demografischen Wandel gehen jetzt die Studierendenzahlen zurück und es setzt ein gewisser Wettbewerb um Studierende und die jungen Talente ein: Welche Hochschule ist so attraktiv, dass die besten jungen Leute dort studieren wollen? Eine Hochschule, die weder die Besten noch die Vielen anziehen kann, wird leer stehende Kapazitäten haben. Solche Hochschulen werden auf kurz oder lang ein Problem bekommen.

Hochschulen müssen Wettbewerb annehmen

Ihr Haus betont eine Vielzahl von Beteiligungen im Hochschulbereich über die staatlichen Universitäten hinaus. Umgekehrt ließe sich da fragen: Sieht man im MWK vor lauter Hochschulbäumen noch den eigentlichen Wald? Oder anders: Wird es in den nächsten Jahren auch darum gehen müssen, die Hochschullandschaft noch einmal neu zu durchleuchten?

Wir haben eine differenzierte Hochschullandschaft wie kein anderes Bundesland. Mit einer Vielzahl an Musik-und Kunsthochschulen, mit Akademien, der Dualen Hochschule Baden-Württemberg und den Pädagogischen Hochschulen. Diese Diversität ist eine Stärke, weil sie Spezialisierungen und eigene Profile erlaubt, die in einem Einheitsmodell „Universität“ nicht abbildbar wären. Das bedeutet aber umgekehrt, dass sich jede Hochschule/Hochschulart sehr genau überlegen muss, was ihr besonderes Angebot ausmacht. Sie müssen jeweils überzeugen, dass ihre Ergebnisse und ihre Absolventinnen und Absolventen in der Gesellschaft gebraucht werden. Und ohne Einbettung in ein Netzwerk der Kooperation wird ihnen das nicht gelingen.

In der Kultur braucht es auch Reibung

Im Kunstbereich hat Staatssekretärin Petra Olschowski Fördern und (vor allem) Fordern von 2016 an zum Leitbild gemacht. Hatten Sie da eigentlich manchmal Sorge, dass sich das anfängliche Konfrontationsempfinden auswächst?

Nein, ich habe mich über eine gewisse Spannung im Diskurs gefreut. Wir brauchen im Resonanzraum der Kultur ja auch Reibung und Veränderung. Zu viel Harmonie macht schläfrig und selbstzufrieden. Gleichzeitig war ich mir auch immer sicher, dass meine Staatssekretärin mit einem sehr klaren Selbstverständnis in den Dialog ging: Als überzeugte Verfechterin von Kunstfreiheit wäre bei ihr nie der Eindruck entstanden, dass das Land staatliche Bevormundung und Dirigismus suchen würde. Und im Blick zurück kann man heute klar feststellen: Das Vertrauen im Kunstbereich gegenüber dem Land ist durch den über zwei Jahre geführten Kulturdialog und die neuen Förderinstrumente gewachsen, weil wir ein gemeinsames Selbstverständnis von anstehenden Aufgaben, aber auch von den unterschiedlichen Rollen von Staat und Kulturschaffenden erarbeitet haben.

Arne Braun wird als Nachfolger von Petra Olschowski neuer Staatssekretär für Kultur Foto: dpa

Sie haben bis hin zur Bundesebene parlamentarisch enorme Anstrengungen unternommen, um die Kultureinrichtungen wie auch die vielfältige nicht-institutionelle Szene durch die Pandemie zu bringen. Immer noch laufen Corona-Programme von Bund und Land. Immer noch wirkt der Schirm. Zugleich aber zeigt sich unübersehbar ein Nachfrage-Minus. Wann kommt der Zeitpunkt, dass wir nicht nur über das Ende der Schirme sprechen, sondern auch über eine kühle Bestandsaufnahme des Noch Möglichen?

Wir erleben ja gerade, dass der Krisenmodus unserer Gesellschaft zum neuen Dauerzustand wird. Selbst wenn das Leben mit Corona sich normalisieren wird – und davon gehe ich aus – sind wir mit neuen Krisen konfrontiert, die auch das Kulturleben betreffen. Nehmen wir den Stress, der mit der Energieversorgung und den explodierenden Preisen jetzt auf uns zukommt: Das wird ja nicht nur die Kultureinrichtungen selbst vor Herausforderungen stellen, sondern auch das Publikum, das privat und beruflich auch damit konfrontiert ist. Aber ich bin überzeugt davon: In Krisenlagen brauchen Menschen umso mehr die Gelegenheit, über ihre täglichen Routinen und Sorgen hinaus sich gemeinsam kulturell inspirieren zu lassen. Die Sehnsucht nach dem Größeren, nach der anderen Sicht auf die Dinge und nach dem gemeinsamen kulturellen Erlebnis wird nicht nachlassen und für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft wird eine lebendige Kulturlandschaft dringend gebraucht.“

Ihre Nachfolgerin steht fest – Petra Olschowski. Was wünschen Sie Ihr?

Dass sie mit Mut, Klugheit und ihrer ganzen Leidenschaft die Kunst und die Wissenschaft als Kraftzentren unseres Landes verteidigt.

Das Ministerium in Kürze

Größe
 Das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst (MWK) ist eine Landesbehörde mit rund 350 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Es gliedert sich in fünf Abteilungen mit insgesamt 24 Referaten.

Leitung
 Nach elf Jahren an der Spitze gibt Theresia Bauer (Grüne) das Ministeramt ab. Designierte Nachfolgerin ist die bisherige Staatssekretärin Petra Olschowski (Grüne), Neuer Staatssekretär mit dem Schwerpunkt auf Kunst- und Kulturpolitik wird Arne Braun (Grüne), bisher Sprecher der Landesregierung. Die Ernennungen erfolgen am 28. September.

Lage:
Untergebracht ist das Ministerium im Mittnachtbau in Stuttgart-Mitte (errichtet zwischen 1926 und 1928). Der Name erinnert an den früheren Ministerpräsidenten Hermann Freiherr von Mittnacht (1825 bis 1909).

Mittel:
Die Gesamtmittel des MWK betrugen 2021 5,75 Milliarden Euro. Wesentlich gehen diese in Wissenschaft und Forschung. Im Wintersemester 2019/2020 wurden 360 000 Studierende gezählt. Gegenwärtig gibt es über 70 Hochschulen in staatlicher und privater Trägerschaft. Außerhalb der Hochschulen gibt es in Baden-Württemberg über 100 Forschungseinrichtungen, darunter 12 Forschungseinrichtungen der Max-Planck-Gesellschaft, 15 Einrichtungen der Fraunhofer-Gesellschaft, 13 Vertragsforschungseinrichtungen und zwei Großforschungseinrichtungen der Helmholtz-Gemeinschaft.