Ärzte versuchen im Kampf gegen Krebs dem Tumor mit vielen Methoden bezukommen. Foto: dpa-Zentralbild

Können Schmerzmedikamente oder Psychopharmaka Krebs heilen? Zur Klärung bräuchte es Forschungsgeld. Wissenschaftler berichten, wie schwer es ist, an Studien zu kommen.

Heidelberg/Ulm - Herr Doktor, geben Sie mir Methadon, sonst muss ich sterben.“ Solche Sätze haben viele Ärzte seit dem Frühjahr häufig gehört. Grund war ein Beitrag des TV-Magazins „Plusminus“ in der ARD, in dem von einer Patientin mit einem bösartigen Gehirntumor die Rede war, die nach eigener Aussage den Krebs mithilfe des Schmerzmedikaments Methadon besiegte. Die Chemikerin Claudia Friesen, die Entdeckerin dieser Therapie, berichtet im Beitrag noch von ähnlichen Fällen, die nach dem Hinzufügen von Methadon zur Chemotherapie keinen Tumor mehr hatten. Seitdem gibt es Facebook-Gruppen wie „Methadon, das Ende von Krebs“ und die Crowdfunding-Initiative „Methadon als Krebsmedikament“ mit mehreren Tausend Engagierten – und es gibt andererseits Fachleute, die von der Einnahme dieses Mittels warnen: Denn die Wirkungen des Mittels in der Krebstherapie beim Menschen sei noch nicht bewiesen. Dagegen ist eindeutig klar, dass Methadon zahlreiche Nebenwirkungen auslöst.

Forscher versuchen an Geld zu kommen – doch die Konkurrenz ist groß

Der „Plusminus“-Bericht ließ solche Einwände nicht gelten: Fachwelt und Pharmaindustrie, so wurde berichtet, verweigerten Claudia Friesen die Unterstützung und die Mittel, um die Heilkraft des Methadons genauer zu erkunden. Weil sich mit einem alten, nicht patentgeschützten Wirkstoff kein Geld verdienen ließe. Solche Geschichten sind nicht aus der Luft gegriffen: Da wäre beispielsweise Jörg Hoheisel, der Leiter der Funktionellen Genanalyse im Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg. Er will mit dem Schizophrenie-Medikament Haloperidol Pankreaskrebspatienten helfen. Es blockiert bestimmte Rezeptoren auf Krebszellen, was dazu führt, dass diese schlechter Proteine an sich binden können, die ihre Energieversorgung sichern. Zumindest bei Mäusen führte die Therapie dazu, dass Tumore schrumpften und Metastasen sogar teils ganz verschwanden. Hoheisel würde diesen Effekt gerne bei Menschen testen, fragte auch bei Pharmaunternehmen nach Unterstützung. Deren Antwort: „‚Zeigt erst einmal, dass es am Menschen funktioniert‘, wurde uns gesagt, ,dann könnt ihr gerne wiederkommen.‘“

Der Übergang von der präklinischen in die klinische Forschung ist der entscheidende Flaschenhals, erzählt Hoheisels Kollege Karsten Gülow vom Tumor-Immunologie-Programm des DKFZ. „Hier scheitern wahrscheinlich die meisten Forschergruppen.“ Zumindest er hat diese Engstelle überwunden. Der Biologe wird demnächst versuchen, mit dem alten Schuppenflechte-Mittel Dimethylfumarat ein tödliches, in die Haut einwanderndes T-Zell-Lymphom zu besiegen, das Sézary-Syndrom. Zwölf Jahre hat er daran geforscht, nun spendiert ihm die Helmholtz Allianz für Immuntherapie eine halbe Million Euro für die erste Patientenstudie. Und die nächste Hürde ist schon in Sicht: Auf dem Weg zur Zulassung muss ein Medikament seine Wirksamkeit und Unbedenklichkeit in zwei weiteren klinischen Studien belegen, die ebenfalls Geldgeber benötigen.

Studien deuten die Wirkung von Methadon an

Bei Claudia Friesen ist es nie so weit gekommen. Ihr wurde schon 2013 während der Tier- und Laborversuche der öffentliche Geldhahn abgedreht. Auch wegen der großen Konkurrenz. Dreieinhalb Jahre lag ihr Antrag bis zur Ablehnung auf Eis. Der Optimismus, dass ihr Ansatz Krebspatienten hilft, ist ihr dennoch erhalten geblieben. Auf Anfrage verweist sie auf zahlreiche Studien, die die Wirkung des Methadons zumindest andeuten. Aber mehr auch nicht. Stets handelt es sich nur um Laborexperimente oder nachträglich ausgewertete Krankheitsgeschichten, die sich halt auch anders interpretieren lassen.

Möglicherweise wird man bald mehr wissen. Auch genötigt durch den öffentlichen Druck hat der Neurologe Wolfgang Wick von der Uniklinik Heidelberg inzwischen gemeinsam mit Friesen Fördergelder bei der Deutschen Krebshilfe beantragt. Mit einem so einflussreichen Unterstützer könnte die Patientenstudie bald Realität werden. An Friesens Heimatuniversität Ulm wollen Forscher ebenfalls Geld für eine Studie zur Kombinationstherapie von Methadon mit Chemotherapeutika einwerben.

Förderantrag per Fernsehen – wäre das auch für andere Wissenschaftler ein probates Mittel? „Nein“, sagt Jörg Hoheisel. „Natürlich bin ich zuversichtlich, dass Haloperidol Tumorpatienten hilft, aber eine Hoffnung ist eben noch kein Beleg.“