Klug durch ein Nickerchen? Von wegen. Wissenschaftler haben festgestellt, dass ein ein Mittagsschläfchen die Qualität des nächtlichen Tiefschlafs nicht ersetzen kann. Foto: dpa

Der Mensch muss schlafen, um sein Gedächtnis zu stärken, sagt der Tübinger Forscher Jan Born. Doch nicht jedes Nickerchen führt zum Erfolg: Warum der Nachtschlaf so wichtig ist und Mittagsschläfchen überschätzt werden, erklärt der Neurowissenschaftler im Interview.

Tübingen - Herr Born, wer eine Prüfung vor sich hat, tut gut daran, ausgeschlafen zu sein. Das haben schon Generationen von Schülern zu hören bekommen. Aber warum ist das so?
Wir wissen, dass in irgendeiner Art und Weise im Schlaf das Gedächtnis gestärkt wird. Wer also etwas lernt und recht bald darauf schlafen geht, der kann das Gelernte Wochen später besser abfragen. Unsere Forschung hat gezeigt, dass dieses Verfestigen von Informationen im Gehirn ein aktiver Prozess ist.
Wir schlafen also, um zu lernen. Doch wie entscheidet unser Gehirn bei all dem, was wir tagsüber erleben, ob es wert ist, abgespeichert zu werden oder nicht?
Tatsächlich werden nicht alle Informationen, die man tagsüber vermittelt bekommt, auch fest abgespeichert. Vielmehr werden aus der Flut an Informationen und Reizen bestimmte Infos herausgesucht, die dann in den Langzeitspeicher überspielt werden. Dabei werden die Informationen auch verändert. Am Ende wird nur der Kern des Erlebten abgespeichert. Es ist also nicht so, dass alles Erlebte bei der Gedächtnisbildung wie mit Klebstoff übergossen und somit haltbar gemacht wird. Vielmehr wird das Erlebte verdaut, nur das Wichtigste wird umgewandelt.
Ist Schlaf denn nur für das Gedächtnis gut?
Nein. Aufgrund dieser Filterwirkung, die Schlaf auf das Erlebte hat, ist es uns auch möglich, am nächsten Morgen Sachverhalte etwas strukturierter sehen zu können. Das hat auch eines unserer Experimente gezeigt. Wir haben mit zehnjährigen Kindern vor dem Schlafengehen ein Spiel gespielt: Sie saßen vor einem Brett mit Lampen. In verschiedenen Abständen haben die Lampen nacheinander aufgeleuchtet, und die Kinder mussten diese ausschlagen. Sie erkannten allerdings nicht, dass hinter dem Aufleuchten eine Systematik steckte. Dann haben wir eine Gruppe schlafen lassen, die andere nicht. Diejenigen, die schlafen durften, haben das Spiel hinterher eher durchschaut.
Kann man das Gehirn auch trainieren, nur bestimmte Dinge abzuspeichern?
Bis zu einem gewissen Grad funktioniert das tatsächlich. Wir haben in einem weiteren Experiment Testpersonen innerhalb einer bestimmten Zeit Vokabeln lernen lassen. Die Gruppe, die wir schon im Voraus gewarnt hatten, dass diese Vokabeln abgefragt werden würden, konnte sich auch besser an die Wörter erinnern. Allein dadurch, dass man Informationen bewusst aufnimmt, werden sie im Schlaf auch besser abgespeichert.
Doch wie muss der Schlaf dann aussehen?
Früher hieß es, dass die Gedächtnisbildung mit dem Traumschlaf zu tun hat, also der sogenannten Rapid-Eye-Movement-Phase (REM). In Träumen, so die Theorie, würden frische Gedächtnisinhalte umgewandelt werden. Tatsächlich sind es aber die Tiefschlafphasen, der sogenannte Delta-Schlaf, der solche Effekte bewirkt. Einen ausgeprägten Tiefschlaf erhält man in der Nacht. Denn nachts wird das Schlafhormon Melatonin freigesetzt, das beispielsweise die Ausprägung des Tiefschlafs beeinflusst. Wichtig ist auch, regelmäßig bei ähnlicher Uhrzeit ins Bett zu gehen.
Wer wenig schläft, tut seinem Gedächtnis nichts Gutes?
Ja. So zeigt sich eine Verschlechterung der Gedächtnisleistung, wenn der Tiefschlaf unterdrückt wird, aber auch wenn die Schlafdauer über längere Zeit hin verkürzt wird. Oder aber die Schlafenszeit wird ständig um mehr als zwei, drei Stunden nach vorn oder hinten verschoben.
Schichtarbeit ist demnach höchst ungesund?
Ja. Zwar passt sich nach einigen Tagen der Schlafrhythmus an die veränderte Tageszeit an. Doch die hormonelle Umstellung, die damit einhergeht, dauert länger: Während im normalen Tiefschlaf das Stresshormon Kortisol völlig unterdrückt wird, ist es in den Tiefschlafphasen eines Schichtarbeiters noch aktiviert. Und das tötet auf Dauer jeden Gedächtniseffekt.
Kann man mit einem Mittagsschlaf diesem Effekt entgegensteuern?
Viele Ältere mit Schlafproblemen wollen ihr Schlafdefizit mit einem nachmittäglichen Nickerchen aufholen. Das funktioniert aber nicht gut. Besser ist es, nach einer schlaflosen Nacht den Tag durchzustehen, sich ein wenig physisch und geistig zu verausgaben und dann nachts wieder richtig zu schlafen. Ein Mittagsschlaf hilft aber Kindern: Bei ihnen reicht der temporäre Speicher nicht aus, um alle Infos einer Wachphase aufzunehmen. Die nutzen den Schlaf, um zwischendurch Informationen ins Langzeitgedächtnis zu transferieren.
Warum passiert das alles, wenn wir schlafen?
Unsere Hypothese ist, dass der Mensch für diesen Umwandlungsprozess, den seine täglichen Eindrücke und Erfahrungen durchlaufen, Ruhe braucht. Denn dieses Transferieren von Informationen in den Langzeitspeicher passiert in Gehirnbereichen, die tagsüber dazu da sind, die alltäglichen Reize aufzunehmen. Würde das alles gleichzeitig ablaufen und der Mensch wäre dabei im Wachzustand, würde er anfangen zu halluzinieren. Diese Hypothese ist allerdings noch nicht bewiesen. Vieles spricht aber dafür: Denn auch im Immunsystem kann man nachts einen ähnlichen Effekt beobachten. Im Tiefschlaf werden Wachstumshormone und das Hormon Prolaktin freigesetzt, die einen besonderen immunstimulierenden Einfluss haben und dafür sorgen, dass der Organismus ein besseres Gedächtnis für einen Erreger ausbildet.
Schlaf macht also auch gesund?
Wir gehen davon aus, dass der Schlaf auch für die Gedächtnisbildung im Immunsystem verantwortlich ist. Wie das Gehirn muss das Immunsystem ständig neue und wiederkehrende Angriffe von Krankheitserregern abwehren. Dafür bildet es ein Gedächtnis. Das kann bei Impfungen beobachten: Bei Menschen, die nach einer Impfung schlafen, ist der Anteil der Antikörper bezüglich des geimpften Antigens nach einem Jahr doppelt so hoch als bei Menschen, die nach der Impfung wach blieben.