Ortwin Renn will nicht unterhalten, sondern wissenschaftlich überzeugen. Foto: Archiv

Vordergründig will Professor Ortwin Renn mit seinem neuen Buch über die tatsächlichen Gefahren des Alltags aufklären. Tatsächlich will er die Umwelt retten.

S-Mitte - Dem Professor schwebt nicht weniger vor als eine neue Weltordnung, eine, die auf Fairness, Umweltschutz und zu guten Teilen auf direkter Demokratie mittels Bürgerbeteiligung beruht. Der Professor heißt Ortwin Renn. Seine Vorschläge für eine bessere Zukunft der Menschheit sind gleichsam als Fazit in seinem neuen Buch „Das Risikoparadox“ zu lesen, in dem er seine Leser das Fürchten lehrt – das Fürchten vor tatsächlichen Gefahren, nicht vor vermeintlichen.

Als Appetithappen dazu mag dienen, dass die Hauptgefahr, vorzeitig zu Tode zu kommen, nicht das Rauchen ist oder gar eine der zu Seuchen hochgeredeten Krankheiten wie die Vogelgrippe, sondern schlicht ungesunde Ernährung. Überdies ist weit gefährlicher als das Wohnen nahe eines Mobilfunkmasten ein Besuch im Krankenhaus. 10 000 bis 20 000 Deutsche jährlich sterben, weil sie sich in einer Klinik mit Keimen infizieren. Derlei ist aber nur der plakative Teil eines Buches, das nicht unterhalten soll, sondern wissenschaftlich überzeugen. Was ein verbaler Ansatzpunkt für Kritik ist. Das rund 600 Seiten umfassende Werk ist sprachlich zwar noch verständlich geschrieben, aber keineswegs leicht verständlich. Eine konzentrierte Lektüre ist unumgänglich.

Die tatsächlichen Risiken unterschätzt der Mensch

Tatsächlich fürchten müsste die Menschheit Renn gemäß sogenannte systemische Risiken. Denen ist gemeinsam, dass der Mensch sie unterschätzt, weil er sie schlicht nicht sehen, hören oder riechen kann, außerdem dass ein scheinbar geringfügiger Anlass eine unvorhersehbare Kette von Folgen nach sich zieht. Ein leicht verständliches Beispiel ist der Beinahe-Zusammenbruch des Welt-Finanzsystems im Jahr 2007. Den lösten schlichte Immobilienspekulationen in einem einzigen Land aus, den Vereinigten Staaten von Amerika.

Selbstredend verläuft Geldverlust nicht tödlich. Die Risiken, um die es dem Professor tatsächlich geht, können dagegen eine unabschätzbare Zahl von Leben kosten. Das sind die vom Menschen verursachten Gefahren für die Umwelt, die in Wahrheit natürlich nicht die Natur gefährden, sondern die Menschheit. Als einfaches Beispiel für den Unfug, den der Mensch des Profites wegen mit dem Planeten treibt, dient ein Becher Joghurt. Bis der im Supermarktregal steht, haben all seine Zutaten mehr als 9000 Kilometer Weg hinter sich gebracht. Sonnige Gemüter mag bei der Lektüre der tatsächlichen Risiken trösten, dass nicht die Menschheit insgesamt gefährdet ist, wie Renn anmerkt. Menschen werden auch dann überleben, wenn sie die Natur weiterhin im gleichen Maß misshandeln wie bisher. Die Frage ist nur: wie viele?

Renn glaub an den Sieg der Vernunft

Selbstverständlich sind solche Erkenntnisse nicht neu. Renn zitiert dazu seinen Kollegen Ulrich Jüdes, der schrieb: „Seit Rio ist nichts so nachhaltig wie das Reden und Schreiben über nachhaltige Entwicklung.“ Ungeachtet der Tatsache, dass die Staatengemeinschaft sich bislang noch nicht einmal einigen konnte, was genau unter dem Wort Nachhaltigkeit zu verstehen ist, bleibt Renn optimistisch, dass weltweit die Vernunft siegen wird. Wer anderer Ansicht ist, den geißelt der Professor als unverbesserlichen Schwarzseher.

Um der Vernunft tatsächlich zum Sieg zu verhelfen, schlägt Renn vor, dass die Vereinten Nationen eine Weltstiftung gründen. In der sollen die klügsten Köpfe sich Gedanken über die Zukunft machen. Weil auch bei optimistischer Annahme diese Stiftung nicht mehr in diesem Jahrzehnt ins Amt gesetzt wird, schließt der Autor sein Buch mit einem gänzlich unwissenschaftlichen Kapitel. In dem gibt er seinen Lesern Tipps. wie jeder einzelne von heute an das Seine tun kann, um die Umwelt nicht unnötig auszubeuten.

Zum Autoren

Ortwin Renn lehrt an der Universität Stuttgart Umwelt- und Techniksoziologie. Sein Name ist in Fachkreisen international bekannt. In der Landeshauptstadt hat er auch außerhalb akademischer Kreise einen Ruf. Er moderiert das Bürgerforum zu Stuttgart 21 und schrieb seine Erfahrungen mit dem Protest gegen das Projekt in einem wissenschaftlichen Aufsatz nieder.

(Das Risikoparadox,
604 Seiten, 14,99 Euro, Fischer-Verlag, ISBN 978-3-596-19811-5)