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Die Firmen haben zu wenig für das Freihandelsabkommen TTIP geworben, sagt Gabriel Felbermayr vom Ifo-Institut im Interview. Wesentlich professioneller schätzt der Wirtschaftswissenschaftler die Kampagne der TTIP-Gegner ein.

Stuttgart - Das Chlorhühnchen haben die Gegner von TTIP zum Symbol erhoben – ein öffentlichkeitswirksames Symbol für TTIP gibt es nicht. Die Befürworter haben zu wenig auf Transparenz gesetzt und die Macht der sozialen Netzwerke unterschätzt, sagt Wirtschaftswissenschaftler Gabriel Felbermayr.

 
Wie erklären Sie sich, dass TTIP und Ceta so viele Menschen dazu bringen, auf die Straße zu gehen und zu protestieren?
Der Grund dafür ist, dass die Gegner eine ganz hervorragende Kampagne angezettelt haben. Sie läuft seit etwa drei Jahren und wird hoch professionell organisiert. An der Spitze stehen grüne Politiker wie Sven Giegold und Jürgen Maier, die bestens vernetzt sind und über enge Kontakte zu Nicht-Regierungsorganisationen und Kirchen verfügen. Sie haben es geschafft, das Thema emotional negativ aufzuladen. Diese Kampagne, für die sie schon Millionen an Spendengeldern ausgegeben haben, verfängt.
Welches Argument von den Gegnern ist am schlagkräftigsten?
Das Demokratie-Argument. Viele Menschen haben das Bedürfnis, Kontrolle über das System Wirtschaft zurück zu erlangen. Wir leben und arbeiten in einer Marktwirtschaft. Politiker sagen immer wieder, weniger Gestaltungsspielräume zu haben, weil Konzerne die nationalen und regionalen Regierungen mit dem Arbeitskräfteargument unter Druck setzen könnten. Da ist eine Sehnsucht bei den Menschen gewachsen, auf nationaler Ebene wieder die Kontrolle zu bekommen über die international vernetzte Wirtschaft.
Die EU schließt seit Jahrzehnten Freihandelsverträge ab, und es hat nie jemanden groß interessiert. Warum jetzt?
Es geht auch hier um Kontrolle. Wenn die EU etwa mit Marokko ein Abkommen schließt, ist klar, wer die Bedingungen diktiert. Marokko muss sich fügen. Europa kann seine Werte, etwa das Vorsorgeprinzip, durchsetzen. Mit den USA sind wir in einer anderen Lage: Viele Menschen glauben, dass sich die Europäer gegenüber den professionell verhandelnden und mindestens ebenbürtig auftretenden Amerikanern nicht durchsetzen können. Die Befürchtung ist, dass die Wirtschaftsmacht USA uns Bedingungen diktiert, die wir nicht wollen. Gegenüber Kanada ist es anders: Die EU hat sich beim Freihandelsabkommen Ceta auf ganzer Linie durchgesetzt, ein bereits ausverhandeltes Paket wurde sogar wieder aufgeschnürt. So etwas ist gegenüber den USA kaum denkbar, da wird Europa Kompromisse machen müssen.
Dabei ist noch nicht einmal klar, was am Ende in dem TTIP-Abkommen steht.
Ja, aber viele Menschen verstehen, dass mit den Amerikanern Kompromisse fällig werden. Und davor fürchten sie sich. Eine ganz andere Sache ist, dass die Ängste nicht immer berechtigt sind. Es wird so getan, als ob es in den USA nur Frankenstein-Essen gibt, als ob dort Horden von Juristen nur darauf warten, bei uns einfallen zu können und die Regierung zu verklagen. Das sind übertriebene Ängste, die künstlich aufgebauscht werden. Außerdem schwingt Anti-Amerikanismus mit; gerade in linken und rechten Milieus gibt es diese Ressentiments.
Der Anti-Amerikanismus ist in Frankreich, Spanien und Griechenland größer, dennoch ist der Widerstand gegen TTIP in Deutschland und Österreich am massivsten.
Es ist ja nicht nur der Anti-Amerikanismus. Wir sehen in Deutschland eine große Koalition von heterogenen Gruppen, die die Ablehnung von TTIP eint. Da sind linke und rechte Anti-Amerikanisten dabei, aber auch die Kirchen, die Gewerkschaften, Künstler. Da marschiert eine unheilige Allianz zusammen, die nur die Ablehnung von TTIP eint.
Und die Wirtschaft hat gepennt?
Ja. Ich schließe mich da ausdrücklich ein. Die Wirtschaftsverbände, die Unternehmer, die CDU, die EU-Kommission und ihre Berater – wir alle haben die Gegner von TTIP dramatisch unterschätzt. Man hat die Macht der geölten Kampagnen-Maschinerie und die der sozialen Netzwerke unterschätzt. Die Befürworter haben die falsche Annahme gehabt, dass man es genau so machen kann wie all die Jahrzehnte zuvor: Es wird hinter verschlossenen Türen verhandelt, am Ende, wenn die Ergebnisse auf dem Tisch liegen, gibt es vielleicht eine Diskussion, aber die hält man schon aus. Man hat auch handwerklich Fehler gemacht. Man hat von Seiten der Industrie etwa die Wachstumseffekte falsch dargestellt. Das war dann Munition für Thilo Bodes Buch „Die Freihandelslüge“.
Warum zählt das Argument, TTIP schafft Jobs, so wenig?
Meine Zunft, die Ökonomen, versucht seit Jahren zu berechnen, welche Arbeitsplatzeffekte politische Entscheidungen haben. Ist diese oder jene Reform gut oder schlecht für den Arbeitsmarkt? Wir haben immer wieder zu viel versprochen und sind damit mitverantwortlich für den Vertrauensverlust in die Eliten. Ich rate zu Vorsicht: Klar, Ceta, TTIP, eine Reform der Welthandelsorganisation WTO haben positive Effekte auf den Arbeitsmarkt. Das besagen alle seriösen Simulationen. Aber: Diese Effekte sind nicht groß, bei einem Arbeitsmarkt mit 40 Millionen Beschäftigten fallen ein paar Zehntausend Jobs zusätzlich nicht groß ins Gewicht. Das Jobargument ist auch bei TTIP häufig zu vollmundig. Seriöser Weise müsste man sagen, TTIP wird wohl nicht viele neue Jobs schaffen, sondern bessere Jobs. Die Zahl der Jobs hängt stärker von anderen Faktoren ab, etwa der Geld- und Fiskal- sowie der Arbeitsmarktpolitik. Da spielt nach wissenschaftlichen Erkenntnissen die Handelspolitik nicht die wichtigste Rolle.
Halten Sie die Strategie von Sigmar Gabriel für richtig, Ceta durchbringen zu wollen und TTIP für gescheitert zu erklären?
Politisch mag das sinnvoll sein, die Deutschen haben gegenüber den Kanadiern nicht so große Ängste wie gegenüber Amerikanern. Womöglich lässt sich Ceta so ja retten. Dennoch ist es schizophren: Warum preist Gabriel Ceta nicht als ein demokratisches, gutes, ja originär sozialdemokratisches Abkommen? Warum macht er es nicht zur Verhandlungsgrundlage für TTIP? Wenn die USA sich dann partout verweigern und die Verhandlungen scheitern, könnte er den Schwarzen Peter an die USA reichen. Es wäre für die EU viel ungünstiger, wenn TTIP am Ende am Widerstand etwa eines belgischen Regionalparlamentes scheiterte. Andere Handelspartner in Asien oder Lateinamerika würden sich bestätigt fühlen in den Stereotypen, Europa sei uneinig und chaotisch.