Menschen drängen sich in Kairo, weil Brot zu Sonderpreisen angeboten wird. Foto: picture-alliance/ dpa/epa Khaled El Fiqi

Die Inflation ist in Ägypten so hoch wie seit Jahren nicht, die Preise steigen immer weiter. Viele Menschen sparen am Nötigsten – und ärgern sich über die Politik. Was steckt hinter der Situation?

Vor ein paar Monaten hat sich Amira, 34, kaum Gedanken ums Einkaufen gemacht. „Heute müssen wir sparen, wo wir können“, sagt die Englischlehrerin aus Kairo, obwohl sie zur ägyptischen Mittelschicht zählt. „Die Preise für alltägliche Dinge wie Eier, Öl oder Hühnchen sind in den letzten Monaten so teuer geworden, dass selbst die leiden, die gute Jobs haben.“

 

Kaum ein Thema ist derzeit in Ägyptens Hauptstadt so präsent. Tatsächlich sind die Preise für Lebensmittel innerhalb eines Jahres im Schnitt um ein Drittel gestiegen. Die Inflation lag offiziell zu Jahresbeginn bei knapp 22 Prozent – der höchste Wert seit fünf Jahren. Die Krise trifft auf ein Land, in dem zuletzt laut Weltbank ohnehin schon zwei Drittel von 105 Millionen Einwohnern arm oder armutsbedroht waren.

Viele müssen am Nötigsten sparen

Dass viele beim Nötigsten sparen, weiß die Regierung. In den sozialen Medien verbreitete das nationale Ernährungsinstitut jüngst den Tipp, auf eine günstige, proteinreiche Nahrung umzusteigen: Hühnerfüße. Der Hinweis sorgte für viel Spott – doch der Kilopreis hat sich lokalen Medien zufolge jüngst verdoppelt. Was wohl vor allem daran liegt, dass wegen Futterknappheit die Kosten für die Hühnerzucht gestiegen sind.

Ägypten ist stark von Importen abhängig, auch bei Getreide und Tierfutter. In den vergangenen Monaten aber sind die für die Importe nötigen Dollar im Land knapp geworden, etwa weil Schuldendienste bedient werden mussten und Investitionen zurückgingen. So lagen in den vergangenen Wochen in ägyptischen Häfen phasenweise Importgüter im Wert von mehreren Milliarden Dollar fest, die nicht ausgelöst werden konnten. Die Dollar-Knappheit habe zu einer Knappheit an Rohstoffen und Produkten geführt und das wiederum zu einem weiteren Preisanstieg, erklärt Ökonom Hany Genena in einem Beitrag für die American University Cairo.

Zuerst war lediglich der Tourismus eingebrochen

Die Regierung unter Präsident Abdel Fattah al-Sisi sieht den Grund für die desolate Lage in externen Faktoren wie der Coronapandemie und dem Ukraine-Krieg. Tatsächlich ist wegen der Krisen der Tourismus eingebrochen, und wie in anderen Ländern sind die Energie- oder Weizenpreise gestiegen. Hinzu kam, dass ausländische Investoren Milliarden von Dollar aus dem Land abzogen. Statt Unsinn über die Verschwendung von Staatsgeldern zu schwatzen, sollten die Menschen lieber auf seine Regierung hören, mahnte al-Sisi zuletzt. Man tue, was man könne, habe etwa die Sozialhilfen erhöht.

Doch im Netz und in Gesprächen äußern Ägypterinnen und Ägypter vermehrt ihren Ärger. „Es gibt kein Geld für mehr Lehrer, und die normalen Menschen leiden, aber die Regierung baut riesige Straßen und Regierungsgebäude“, sagt die Englischlehrerin Amira. „Es geht nur darum, dass das Militär durch die Baustellen viel Geld verdient“, meint die 60-jährige Rentnerin Nadia. Hoffnung auf Wandel haben beide nicht: Nach der Revolution vor zwölf Jahren sei alles nur schlimmer geworden, Protest kaum noch möglich. Das betonen auch andere.

Der von der Regierung verursachte Bauboom hat zwei Seiten

Die Regierung indes hebt den Bauboom als Garanten für Wirtschaftswachstum und Jobs hervor, wie den Bau der neuen Verwaltungshauptstadt, die seit Jahren 45 Kilometer östlich von Kairo in der Wüste entsteht. Fachleute dagegen sehen in Megaprojekten einen Grund für die hohe Verschuldung. Profitiert habe von Infrastrukturaufträgen insbesondere das Militär, schreibt Stephan Roll von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin in einer Analyse. Die Streitkräfte hätten ihre „Vormachtstellung“ in der Wirtschaft ausgebaut. Ein Grund, glaubt Roll, warum al-Sisi seine Macht gefestigt habe.

Kredite gaben in den vergangenen Jahren insbesondere die Golfstaaten und der Internationale Währungsfonds (IWF). Doch die Bedingungen ändern sich: Für einen gerade ausgehandelten neuen Milliardenkredit verlangt der IWF von Ägypten nicht nur eine Flexibilisierung des Wechselkurses und damit Abwertungen des ägyptischen Pfunds, sondern auch Strukturreformen: Die Ausgaben für nationale Projekte müssten reduziert und die Rolle des Staates und des Militärs in der Wirtschaft zurückgefahren werden.

Die Golfstaaten weiten ihren Einfluss aus

Die Reformen seien „dringend notwendig“, sagt Mirette F. Mabrouk, Direktorin des Ägypten-Programms am Middle East Institute in Washington. Durch den flexiblen Wechselkurs würden wieder Dollar ins Land fließen. „Und für den Wettbewerb ist es wichtig, dass Staat und Militär weniger involviert sind.“ Die Golfstaaten etwa würden zunehmend als Investoren auftreten – nicht nur als Kreditgeber: „Das bedeutet, dass Ägypten Staatseigentum anbieten muss.“ Gegenüber dem Sender CNN sagte der ägyptische Außenminister Sameh Shoukri, dass staatliche Firmen an den Privatsektor verkauft würden. „Wenn die Regierung die Wirtschaft voranbringen will, hat sie derzeit kaum eine andere Wahl“, sagt Mabrouk.