Zuletzt verschwanden die Tante-Emma-Läden zugunsten der Supermärkte, nun verschwinden Warenhäuser aus vielen Stadtzentren. Der Waiblinger Wirtschaftsförderer Marc Funk bedauert dies, glaubt aber, dass sich der Handel mal wieder neu erfinden wird.
Marc Funk ist seit 2007 Geschäftsführer der Wirtschaft, Tourismus, Marketing GmbH in Waiblingen.
Herr Funk, mit welchen Problemen hat der Einzelhandel in den Innenstädten aktuell zu kämpfen?
Die Innenstädte haben mit einer Reihe von Herausforderungen zu kämpfen. Ganz aktuell ist sicher die Zurückhaltung der Konsumenten angesichts steigender Lebenshaltungskosten zu nennen. Auf der anderen Seite leiden stationäre Einzelhandelsbetriebe unter hohen Kosten für Miete, Energie und Personal. Nicht zuletzt deshalb haben namhafte Ketten wie Gerry Weber oder Reno einen Insolvenzantrag gestellt oder regionale Größen wie Mode Kögel in Esslingen angekündigt, den Betrieb einzustellen. Natürlich wirken sich auch die Folgen der Corona-Pandemie, die Digitalisierung und ein verändertes Kundenverhalten sowie die Nachfolgeproblematik auf den innerstädtischen Einzelhandel aus.
Wie wird der Strukturwandel Ihrer Meinung nach am Ende ausgehen?
Ist denn der Strukturwandel je zu Ende? Handel ist Wandel. Das alte Schlagwort hat weiterhin Gültigkeit. In den 1950er/60er Jahren verschwanden die Tante-Emma-Läden zugunsten der Supermärkte, nun verschwinden nach und nach die großen Warenhäuser aus vielen Zentren, und der Modehandel, der mit seinen Lagen weitgehend die Innenstädte geprägt hat, findet heute zu 42 Prozent im Internet statt. Der Handel wird sich immer wieder neu erfinden, neue Betriebsformen, Vertriebskanäle werden kommen und gehen. Ich kann auf die Frage keine eindeutige Antwort geben. Wovon ich aber fest überzeugt bin: Es wird immer stationären Handel geben, nur wird dieser 2030 anders aussehen als 2020 oder im Jahr 2000.
Wie wird dies das Bild der Innenstädte verändern?
Innenstädte waren immer multifunktional. Sie waren und sind Marktort, Handelsort, Wohnort, Arbeitsort, Stätten von Kultur und Freizeit und Zentren mit hoher identitätsstiftender Wirkung. Wenn man das Bild weiter zeichnet, dann ist die Innenstadt ein Konstrukt aus mehreren Säulen. Die Säulen sind im Gleichgewicht und spielen in der Regel zusammen. Die Säule „Handel und Versorgung“ wackelt aber und hat gelitten. Es ist sicher davon auszugehen, dass der Einzelhandel künftig weiter an Bedeutung verlieren wird und andere Funktionen stärker Einzug halten werden.
Was davon ist in Waiblingen schon zu spüren?
Die Transformationsprozesse sind auch in Waiblingen seit Jahren spürbar und sichtbar. So hat sich der Marktplatz von einer Handelslage zu einer Gastronomielage entwickelt, das Wohnen hat in der Innenstadt an Bedeutung gewonnen, und auch die Innenstadt als Arbeitsort hat eine andere Aufmerksamkeit erfahren, sicherlich auch durch die Digitalisierung und die Möglichkeiten des mobilen und kollaborativen Arbeitens. Auch haben sich ehemalige Einzelhandelslagen zu reinen Dienstleistungslagen entwickelt. Letztlich ist es aber auch so, dass neue Konzepte entstehen. Ich denke hier an Existenzgründungen in Einzelhandel, Handwerk und Gastronomie. Wir haben neue Konzepte hinzugewonnen, die unsere Innenstadt bereichern. Stichwortartig zu nennen sind die im Bau befindliche Markthalle, zwei Stoffläden, eine Kaffeerösterei, neue Cafés, Bars und Restaurants oder eine vielfach prämierte Buchhandlung auf 120 Quadratmetern. Was ich damit sagen will: Es verschwinden Dinge, es kommen aber auch neue Angebote hinzu. Daher nochmals: Innenstädte waren und sind immer Orte der Transformation.
Wie können die Kommunen den Einzelhandel unterstützen?
In erster Linie, indem sie gute Rahmenbedingungen schaffen und mit kommunalen Investitionen Innenstädte attraktiv halten. Hierzu gehören Investitionen in die öffentliche Infrastruktur, Kultur, Stadtbild, Grünanlagen, die Verkehrsinfrastruktur, den ÖPNV und so weiter. Hinzu kommen natürlich auch Marketingaktivitäten und Veranstaltungen. Wichtig ist auch, dass die Wirtschaftsförderung aktiv den Dialog mit Handel, Immobilienbesitzern und den weiteren Innenstadtakteuren sucht und frühzeitig auf Veränderungen in der Handelsstruktur reagiert und beispielsweise frei werdende Flächen vermittelt. Eins ist aber auch klar: Stadtverwaltungen sind nicht für den wirtschaftlichen Erfolg von Einzelhandelsbetrieben verantwortlich. Dieser steht und fällt mit der unternehmerischen Leistungsfähigkeit des jeweiligen Betriebs.
Was würden Sie sich als Wirtschaftsförderer als Maßnahme oder Instrument wünschen, was dem stationären Handel dient?
Ich bin ein überzeugter Marktwirtschaftler, stelle mir aber die Frage, ob es wirklich eine Chancengleichheit der Verkaufskanäle offline und online gibt. Ich möchte die Digitalisierungsmöglichkeiten nicht einschränken, weil sie auch Chancen für stationäre Händler bietet. Viele gesetzliche Regelungen führen zu Ungleichbehandlungen zwischen reinen Online-Händlern und Multichannel-Händlern. Hier wünsche ich mir weniger Regelungen und mehr Transparenz und damit mehr Chancengleichheit. Ich gehe nicht so weit, dass ich Steuerentlastungen für den stationären Handel fordere, aber allein aus Nachhaltigkeitsgründen wäre die Einführung einer Retourengebühr wünschenswert.
Wie bewerten Sie die Ergebnisse unseres Heimat-Checks?
Es freut mich, dass die Menschen überwiegend zufrieden mit dem Einkaufsangebot sind. Was das Ergebnis von Waiblingen betrifft, so bin ich damit ebenfalls zufrieden. Man darf nicht vergessen, dass unser größtes Einkaufsangebot, der Remspark, seit gut 15 Monaten mehr oder weniger vom Markt genommen ist, da er umgebaut wird. Dieses Angebot fehlt derzeit, kommt aber in verbesserter Form wieder. Das stärkt den Einkaufsstandort Waiblingen. Ferner hat Waiblingen durch seine Lage im Verdichtungsraum, der Nähe zu Stuttgart und vielen Angeboten in den Nachbarorten und wenig eigenen Märkten auf der Grünen Wiese (im Vergleich zu anderen Städten) stets einen hohen Wettbewerbsdruck. Gratulation auch an Winterbach. Mit der Ortskernsanierung hat die Gemeinde viel richtig gemacht. Ferner gibt es dort noch viele inhabergeführte Fachgeschäfte. Ich hoffe und wünsche dem Ort sehr, dass die nächste Generation in den Betrieben am Start ist, sodass diese dauerhaft erhalten bleiben.
Was kann eine kleine Kommune wie Großerlach tun, die keinen Wirtschaftsförderer hat?
Kommunikation ist alles. Daher: Das Gespräch mit dem Handel suchen, offen sein für Neues, den Mut haben, Dinge auszuprobieren und sich vor allem auf das Thema Nahversorgung konzentrieren.
Marc Funk
Ausbildung
Der 52-Jährige hat Geografie und Politik an der Uni Freiburg studiert und später an der Uni Freiburg zum Thema Kundenorientierung in der kommunalen Wirtschaftsförderung promoviert.
Beruf
Funk war lange Jahre Geschäftsführer der Wirtschaftsförderungs-GmbH Kehl. Seit 2007 ist er der Geschäftsführer der Wirtschaft, Tourismus, Marketing GmbH Waiblingen (WTM) und Geschäftsführer des Vereins Packaging Valley.