Deutschland diskutiert über kürzere Arbeitszeiten. Die griechische Regierung will hingegen mit noch mehr Arbeit dem Fachkräftemangel begegnen.
Nirgendwo in der EU, Polen ausgenommen, arbeiten die Menschen länger als in Griechenland. Und jetzt soll es noch mehr werden. Weil qualifizierte Mitarbeiter immer schwerer zu bekommen sind, führt die konservative Regierung zum 1. Juli die Möglichkeit einer Sechstagewoche ein. Beschäftigte, die einen zusätzlichen Tag pro Woche arbeiten, werden dafür mit üppigen Zuschlägen belohnt.
Griechenland hat mit 10,8 Prozent nach Spanien die höchste Arbeitslosigkeit in der EU. Dennoch suchen viele Branchen händeringend Arbeitskräfte. Nach Angaben des Personaldienstleisters Manpower Greece besonders in der Industrie, im Baugewerbe, im Energiesektor, in der IT- und Telekommunikationsbranche, bei Transport- und Logistikunternehmen sowie im Gesundheitswesen. Das neue Gesetz bietet den Beschäftigten Anreize für Mehrarbeit. Wer einen sechsten Tag pro Woche arbeiten will, bekommt 40 Prozent mehr Gehalt. Fällt der sechste Arbeitstag auf einen Sonn- oder Feiertag, gibt es dafür sogar 115 Prozent mehr Lohn.
Viele arbeiten schwarz, um über die Runden zu kommen
Die neue Regelung zielt auf Unternehmen, die zwölf Stunden am Tag und sieben Tage in der Woche in einem Schichtsystem arbeiten und deren Mitarbeiter bisher fünf Tage sowie 40 Wochenstunden beschäftigt sind. Es gibt aber Einschränkungen: Die Sechstagewoche ist freiwillig. Der Arbeitgeber muss sie bei der Arbeitsverwaltung anmelden und begründen. Er kann die Mehrarbeit anbieten, Beschäftigte aber dazu nicht verpflichten. Zudem darf die Wochenarbeitszeit 48 Stunden nicht übersteigen. Das entspricht auch den EU-Vorschriften.
Die Sechstagewoche kann also nicht mit weiteren Überstunden kombiniert werden. Überdies haben die Beschäftigten in jeder Woche Anrecht auf einen freien Tag. Der Fachkräftemangel in Griechenland gehört zu den Langzeitfolgen der Staatsschuldenkrise in den 2010er Jahren. Während der damaligen Rezession stieg die Arbeitslosenquote auf 28 Prozent. Etwa 600 000 meist junge, gut ausgebildete Griechen verließen ihre Heimat, weil sie dort keine berufliche Zukunft sahen. Das Land verlor damals viele seiner besten Köpfe.
Aus der Krisenära datiert auch das Stereotyp von den „faulen Griechen“. Vor allem deutsche Boulevardmedien kultivierten es damals. Mit der Wirklichkeit hat es nichts zu tun. Bei der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit für Vollzeitbeschäftigte lagen die Griechen laut Eurostat 2022 mit 41 Stunden in der EU an der Spitze. Der EU-Mittelwert betrug 37 Stunden. Deutschland kam nur auf 34,7 Stunden. Die langen Arbeitszeiten bringen allerdings nicht viel. Der durchschnittliche Bruttolohn betrug 2023 in Griechenland gerade mal 1251 Euro. Die niedrigen Durchschnittseinkommen sind ebenfalls eine Krisenfolge. Die Reallöhne liegen 27 Prozent unter dem Niveau von 2010.
Um über die Runden zu kommen, arbeiten viele Griechen in einem Zweitjob – oft schwarz. „Wegen des Arbeitskräftemangels lassen manche Arbeitgeber die Beschäftigten Überstunden machen, die ‚schwarz‘ bezahlt werden“, weiß der frühere Arbeitsminister Adonis Georgiadis, der das Gesetz zur Sechstagewoche auf den Weg brachte. Es soll mit seinen Lohnzuschlägen Arbeitnehmern einen Anreiz bieten, regulär einen Tag mehr zu arbeiten anstatt schwarz Überstunden zu leisten. Davon profitiert auch der Staat mit höheren Steuereinnahmen und Sozialversicherungsbeiträgen.