Vor 20 Jahren wurde das Potenzmittel Viagra zugelassen. Foto: Pfizer

Als kleines, blaues Wunder löste Viagra vor 20 Jahren eine Art zweite sexuelle Revolution aus. Doch was hat es eigentlich auf sich, mit dem Potenzmittel? Und wie gut ist es wirklich?

Stuttgart - Muss ein Mann immer können, um ein richtiger Mann zu sein? Über diese Frage wird in Deutschland auch 20 Jahre nach dem Verkaufsstart der Potenzpille Viagra selten diskutiert, schon gar nicht unter Männern. „Der Leistungsdruck ist beim Sex nicht raus“, sagt der Hamburger Männerarzt Robert Frese, Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Urologie. Der Anspruch habe sich im Prinzip nur verschoben. „Jetzt heißt es: Nimm doch die Pille. Mit der musst du immer können.“ Doch was genau hat es eigentlich auf sich, mit dem Potenzmittel?

Wann und wie kam Viagra auf den Markt?

Am 1. Oktober 1998 kam die Tablette auf den deutschen Markt – und viele sahen sie als einen Segen an. Die Schamschwelle, über ein drückendes Sexproblem zu sprechen, sank. Der Wirkstoff Sildenafil wurde von den Pharmaforschern der US-Firma Pfister ursprünglich als ein Mittel gegen koronare Herzerkrankung entwickelt. Das Präparat wirkte zwar nicht als Herzmittel, verbesserte aber dafür – sozusagen als Nebenwirkung – die Erektionsfähigkeit der Probanden. Einige der Probanden aus den ersten Untersuchungen mit Sildenafil wollten die restlichen Medikamente nach Studienende gar nicht mehr hergeben – und in die Firmenlabore wurde sogar eingebrochen. Nur vier Monate später brachte Pfister Viagra in den USA auf den Markt.

Die ungeahnte Wirkung der Tabletten machte auch hierzulande der Ratlosigkeit der Ärzte beim Thema Erektionsstörungen ein Ende. Zu dieser Zeit, erinnert sich der Hamburger Arzt Freese, habe es viel Frust über die mangelnden Therapiemöglichkeiten bei erektiler Dysfunktion gegeben. Auch deshalb habe Viagra eine solch durchschlagende Wirkung gehabt: endlich etwas Einfaches.

Wie wirkt Viagra?

Heute ist bekannt, dass in Deutschland rund 20 Prozent aller Männer nicht können, wie sie wollen. Zwischen dem 40. und dem 50. Lebensjahr sei rund jeder zehnte betroffen, über 70 bereits mehr als die Hälfte der Männer, sagen Experten. Viagra wirkt aber nicht ohne eine gesunde Libido, sondern nur dann, wenn eine sexuelle Stimulation da ist.

Bei einer Erektion wird der Botenstoff cGMP aktiviert. Er sorgt dafür, dass sich die Blutgefäße in den Schwellkörpern des Penis weiten. Dieser Botenstoff wird von dem Enzym PDE-5 abgebaut. Viagra und andere, später entwickelte Wirkstoffe, hemmen dieses Enzym – und verstärken so die Erektion. Man kann also sagen: Das Potenzmittel verstärkt den Durchblutungseffekt nur, der durch einen Reiz ausgelöst wird. Daher wirkt es eben nicht, wenn jemand Durchblutungsstörungen hat oder Erektionsprobleme beispielsweise aufgrund von Nervenschäden.

Viagra wirkt etwa eine bis anderthalb Stunden nach Einnahme am stärksten, die Wirkung kann aber bis zu fünf Stunden lang anhalten, gibt der Hersteller an.

Welche Nebenwirkungen hat das Potenzmittel?

Herzinfarkt nach Viagra! Solche Schlagzeilen ließen Ende der 90er Jahre auch Panik aufkommen. Heute sind die Zusammenhänge bekannt. Wer nach dem Schlucken der Pille den Herztod starb, hatte vorher in der Regel Herzprobleme, von denen er nichts ahnte. „Für Sex muss man einen gewissen Fitnessgrad besitzen“, sagt Frank Sommer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Mann und Gesundheit. „Mit Herzinsuffizienz kann ich eine solche Leistung nicht schaffen, ohne mich in Gefahr zu bringen.“

Trotz des Erfolgs der Pille hat Viagra in vielen Fällen auch heftige Nebenwirkungen. Kopfschmerzen, Hitzewallungen und eine verstopfte Nase gehören zu den häufigsten unerwünschten Wirkungen. Seltener treten etwa Tinnitus und Herzrasen auf. Auch zu Sehstörungen kann es kommen. Und wer ausversehen oder bewusst zu viele Tabletten nimmt, riskiert stärkere Nebenwirkungen.

Wie viel Umsatz macht der Hersteller mit Viagra?

Viagra war lange eines der weltweit meist verkauften Arzneien. Und: Noch immer ist das Potenzmittel eines der einträglichsten Medikamente im Programm des Pharmakonzerns Pfizer, der Viagra vor 20 Jahren auf den Markt brachte. Doch seit einigen Jahren sinkt der Umsatz: 2017 betrug er 823 Millionen Dollar (rund 710 Millionen Euro), 2008 war er noch mehr als doppelt so hoch.

Dass die Umsätze sinken, liegt aber nicht an einer geringeren Nachfrage, sondern vor allem daran, dass die Patente auf den Wirkstoff ausliefen. Seit 2013 kann man in vielen europäischen Ländern Generika kaufen, also billigere Präparate mit gleichem Wirkstoff beziehungsweise gleicher Wirkung. Solche alternativen Präparate beinhalten beispielsweise die Wirkstoffe Tadalafil („Cialis“), Vardenafil („Levitra“) oder „Avanafil“.

Was ist mit gefälschtem Viagra?

Viagra gehört in der Tat zu den häufig gefälschten Medikamenten, denn die Gewinnmargen sind riesig. Gefälschte Pillen, die über dubiose Internetseiten verkauft werden, können gefährlich sein. Niemand weiß, ob und wie viel Wirkstoff in den Tabletten enthalten ist.

Auch deshalb gibt es Viagra und kostengünstigere Generika nur auf Rezept. „Die Tabletten sind extrem sicher“, sagt Robert Frese. Doch vor dem Verschreiben gehöre ein Patientencheck dazu: Hinter Erektionsstörungen könnten neben Herzleiden auch Diabetes, Depressionen, Bluthochdruck oder Prostataprobleme stecken. Da deutsche Männer generell als Arztmuffel gelten, sieht Frese eine neue Chance für Früherkennung. „Über das Thema Sexualität lassen sich Männer sehr gut abholen“, sagt er. „Und manche, die Viagra wollen, gehören erst einmal zum Kardiologen.“

Hat die Tablette den Umgang mit dem Thema Sex verändert?

Eine Schamgrenze hat Viagra nicht geknackt. Nach Einschätzung von Männerärzten sagen Patienten Sexpartnern meist nichts über die Tablette. Deshalb rät Urologe Frese Männern auch erst einmal zum Ausprobieren im stillen Kämmerlein. Denn jedes Wunder können Viagra und Co. nicht vollbringen. Spielen psychische Problem wie Versagensängste die Hauptrolle, hilft die Pille zu 90 Prozent, berichtet Frank Sommer. Bei körperlichen Ursachen bringe sie nur rund zwei Drittel aller Männer in Fahrt. Beobachtungen zeigen sogar, dass mehr jüngere, gesunde Männer zu Viagra greifen, weil sie Versagensängste haben, der Druck zu groß wird oder der Porno-Konsum sie desensibilisiert hat.

Den größten Druck machten sich die Männer weiter selbst, sagt Mediziner Frese. Tradierte Haltungen spielten dabei sicher eine Rolle. „Das Problem sitzt in den Köpfen der Männer: Die meisten wollen die Penetration“, sagt Frese. Ein Mann sei aber auch viel stärker auf eine körperliche Reaktion angewiesen als eine Frau, ergänzt er. „Klassischer Geschlechtsverkehr geht eben nur mit einer Erektion.“ Und nicht jeder Mann stehe auf Kuschelsex.