Den Skandal um den Pleitekonzern Wirecard hat nicht nur das angeklagte Trio zu verantworten, kommentiert unser Autor Thomas Magenheim.
Es ist ein Fall von Wirtschaftskriminalität, den es in Deutschland nie hätte geben dürfen. Mit dem Zahlungsdienstleister Wirecard ist im Juni 2020 erstmals in der hiesigen Wirtschaftsgeschichte ein Konzern aus dem höchsten deutschen Börsenindex Dax pleite gegangen.
Die Insolvenz war nicht unglücklichen Umständen geschuldet oder betrüblichen Managementfehlern, sondern krimineller Energie bislang in Chefetagen nicht vorstellbaren Ausmaßes. Experten sprechen von Kriminalinsolvenz. Angebliches Konzernvermögen im monströsen Umfang von 1,9 Milliarden Euro war plötzlich nicht mehr auffindbar. Nach Lage der Dinge hat es nie existiert. Am unrühmlichen Ende von Wirecard waren die Hälfte der in der Bilanz stehenden Umsätze und der komplette Gewinn frei erfunden.
Angeklagte sollen großem Stil betrogen, veruntreut und manipuliert haben
In der juristischer Aufarbeitung stehen mit Ex-Chef Markus Braun, dem früheren Chefbuchhalter und dem einstigen Wirecard-Statthalter im arabischen Dubai drei Personen vor Gericht, weil sie im großen Stil betrogen, veruntreut, Märkte und Bilanzen manipuliert sowie Kredite erschlichen haben sollen. Wer die Anklageschrift studiert, macht noch weitaus mehr Verdächtige inner- und außerhalb des Betrugskonzerns aus Aschheim bei München aus.
Auch deshalb klagt die Staatsanwaltschaft Straftaten im Bandenmilieu an. Sie will beweisen, dass Braun nicht nur Chef eines Dax-Konzerns, sondern parallel Bandenboss war. Auch das wäre ein Novum in einer Republik, wo sonst selbst Hausordnungen mit großer Bestimmtheit durchgesetzt werden. Damit wäre man beim Skandal hinter dem Skandal. Denn für einen Dax-Konzern gelten strengere Regeln als Hausordnungen. Fraglos ist Wirecard auch ein Fall beispiellosen Aufsichtsversagens auf allen Ebenen von Wirtschaftsprüfern über die Finanzaufsicht Bafin bis zum Aufsichtsrat und darüber hinaus.
Haftungsgrenzen von Wirtschaftsprüfern sehr gering
Die Bafin wurde als Folge zwangsreformiert und mit stärkeren Durchgriffsrechten ausgestattet, um einen zweiten Fall Wirecard künftig auszuschließen. Ob die Instrumente dazu ausreichen, muss die Zukunft zeigen. Der Skandal rüttelt auch an Haftungsgrenzen von Wirtschaftsprüfern. Die sind hierzulande mit einer einstelligen Millionensumme pro testiertem Geschäftsjahr lächerlich gering.
Der langjährige Wirecard-Wirtschaftsprüfer EY wird parallel zum Strafprozess auf Schadenersatz verklagt. Am Ende könnten bisherige Haftungslimits fallen. Auch über das deutsche Insolvenzrecht wird wegen der Skandalpleite vor Gerichten gestritten. Bleiben Aktionäre – selbst in einem Extremfall wie diesem – Gläubiger zweiter Klasse? Alleine sie haben zweistellige Milliardensummen verloren. Die Aktionäre gehen aber nach Lage der Dinge bislang leer aus. Denn die Ansprüche Gläubiger erster Klasse, also die kreditgebenden Banken und Anleihegläubiger, werden bevorzugt aus der Insolvenzmasse bedient. Nur wenn dann noch etwas übrig wäre, kämen Aktionäre zum Zug.
Aktionäre wehren sich gegen Benachteiligung
Deshalb wollen Aktionäre in diesem besonderen Fall Anleihegläubigern und Banken gleichgestellt werden. Das Anliegen wird vor dem Bundesgerichtshof enden. Der Fall Wirecard hat damit das Zeug auch auf dieser Ebene deutsche Rechtsgeschichte zu schreiben. Dieses Hinterfragen des Systems ist so angemessen wie überfällig. Denn würde man sagen, den Tätern bei Wirecard wurde es leicht gemacht wie in einer Bananenrepublik, könnten sich dort Lebende beleidigt fühlen. Insofern ist spannend, was im Münchner Gerichtssaal ans Tageslicht kommt. Es wird ein Mammutprozess werden, der sich bis 2024 erstrecken dürfte. Trotzdem kann es nur der Anfang der Aufarbeitung sein.