Ein künstliches Kniegelenk hält im Schnitt länger als 15 Jahre. Foto: www.mauritius-images.com

Die Bertelsmann-Stiftung hat bundesweit die Häufigkeit von Knieoperationen untersucht – und stellt große regionale Unterschiede fest. Zudem bekommen immer mehr Menschen unter 60 ein Ersatzgelenk. Ist das wirklich nötig?

Berlin/Stuttgart - Die Gelenkersatz-Operation gilt als eine Erfolgsgeschichte der Medizin. Und diese wird eifrig praktiziert: Insbesondere künstliche Kniegelenke werden in Deutschland immer häufiger implantiert: Wurden 2009 noch 158 000 derartige Eingriffe gezählt, waren es 2016 knapp 170 000 Operationen. Das berichtet die Bertelsmann-Stiftung, die seit Jahren Zahlen über medizinische Untersuchungen und Behandlungen zusammenträgt.

Welche regionalen Unterschiede gibt es?
Besonders häufig erhalten Patienten in Bayern ein künstliches Kniegelenk. So ist die Chance, in Regen eine Endoprothese eingesetzt zu bekommen, fast dreimal so hoch wie im brandenburgischen Potsdam. Ähnlich verhalten sich die regionalen Unterschiede bei Menschen, die jünger als 60 Jahre sind: „Wo viel operiert wird, werden offenbar auch viele unter 60-Jährige operiert“, heißt es bei der Bertelsmann-Stiftung. Auffallend sind auch die Unterschiede entlang der Grenze zwischen Bayern und Baden-Württemberg, wo deutlich weniger operiert wird. Die Zahlen, die auf einer im Internet einsehbaren interaktiven Karte dokumentiert sind, beziehen sich auf Operationen je 100 000 Einwohner. Dabei wurden die Unterschiede in den Altersstrukturen in den verschiedenen Land-und Stadtkreisen rechnerisch ausgeglichen.
Was bedeutet es, dass zunehmend jüngere Menschen ein Ersatzgelenk erhalten?
Bei den Patienten unter 60 Jahren stiegen die Operationszahlen zwischen 2013 und 2016 von 27 000 auf 33 000. Das bedeutet eine Steigerung um 23 Prozent, während es bei der Gesamtbevölkerung 18 Prozent waren. Diesen Anstieg erklären Experten wie Christian Knop, Ärztlicher Direktor in der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie am Klinikum Stuttgart, so: „Die Zahlen zeigen möglicherweise, dass viele Patienten sich vorschnell für eine Operation entscheiden, weil sie das Gefühl haben, sie könnten dadurch hundertprozentig beschwerdefrei sein.“ Doch auch ein erfolgreich implantiertes künstliches Gelenk komme nie an die Funktionsweise eines gesunden Knies heran. Gerade Jüngeresollten sich eine solche Operation gut überlegen, heißt es bei der Bertelsmann-Stiftung. Studien hätten gezeigt, dass mit sinkendem Alter bei der Erstoperation die Wahrscheinlichkeit steigt, dass die Prothesen im Laufe des Lebens ausgetauscht werden müssten. Bei Patienten im Lebensabschnitt zwischen 50 und 60 Jahren liege das Risiko zwischen 15 und 35 Prozent, bei den über 70-Jährigen bei vier bis acht Prozent. Auch führen weitere Operationen an künstlichen Gelenken häufiger zu Komplikationen und schlechteren Ergebnissen als die erste Operation.
Wann soll operiert werden?
Es gibt keine Standardempfehlung, ab wann ein Patient sich für eine Operationentscheiden sollte: „Das ist eine sehr individuelle Entscheidung“, sagt Knop. Selbst die Schäden im Gelenk sind nicht unbedingt als Gradmesser geeignet: So kann die Arthrose schon weit fortgeschritten sein und dennoch ist es dem Patienten möglich, seinen Alltag gut zu meistern. Daher gilt für Christian Knop die Faustregel: „Wird die Lebensqualität eines Menschen fortschreitend eingeschränkt und haben konservative Behandlungen keinen Erfolg mehr, kann über eine Operation nachgedacht werden.“ Zu diesem Schluss kommt auch die Bertelsmann-Stiftung; So können die Beschwerden mit Physiotherapie gelindert werden, in Betracht kommen aber auch andere Methoden wie etwa Wärme- oder Kältebehandlung.
Welche Risiken birgt eine Operation?
Die Gelenkersatz-Operationen gehören zu den Eingriffen, bei denen ein sehr geringes Komplikationsrisiko besteht, sagt Knop. Neben den üblichen Risiken, die ein chirurgischer Eingriff unter Narkose mit sich bringt, sind eine Lockerung des Gelenks oder eine Wundinfektion die häufigsten Probleme, die auftreten können. Trotz der geringen Komplikationsrate gehört die Gelenkersatz-OP zu den Eingriffen, bei denen es statistisch gesehen im Nachhinein die meisten Patientenbeschwerden gibt. Für Knop ist dies ein Zeichen, dass die Patienten häufig nicht richtig aufgeklärt werden: „Als Gradmesser für den Betroffenen gilt häufig die eigene absolute Gesundheit.“ Viele seien dann überrascht, wenn sie merken, dass auch mit einem künstlichen Gelenk nicht mehr jede Bewegung oder jeder Sport machbar ist.
Spielen bei der Operation finanzielle Erwägungen eine Rolle?
Nach Ansicht der Bertelsmann-Stiftung ist dies tatsächlich der Fall: „Durch mehrfache Erhöhungen einer zentralen Fallpauschale ab 2013 sind Knieprothesen-Operationen für die Kliniken lukrativer geworden.“ Hinzu komme, dass bei den niedergelassenen Ärzten nicht genügend Budget für konservative Ansätze zur Verfügung zu stehen scheint. Dagegen warnt der Orthopädie-Experte Knop vor vorschnellen Interpretationen: „Dass in manchen Bundesländern stärker operiert wird als in anderen Regionen, sagt zunächst einmal etwas darüber aus, wie gut das medizinische Angebot jeweils ist“, sagt Knop. So sei es klar, dass im Osten des Landes die Versorgung von Fachärzten oder zertifizierten Kliniken schlechter sei als etwa in Bayern. Auch gilt es als erwiesen, dass die Menschen in Regionen, in denen der Bildungsgrad und das Einkommen höher sind, eher die Vorteile der modernen Medizin nutzen.
Worauf sollten Patienten achten?
Laut Stiftung entscheiden sich Patienten seltener für eine Operation, wenn sie zuvor sorgfältig informiert wurden. Bei einer Arthrose, also einer Entzündung im Kniegelenk, könnten auch konservative Therapien die Beschwerden lindern. Dazu sollten diese Behandlungsmethoden im ambulanten Bereich besser vergütet werden. Wenn schließlich doch operiert werden muss, dann sollten die Patienten spezialisierte Kliniken aufsuchen, die im Jahr möglichst viele Kniepatienten operieren, ergänzt Christian Knop. Eine Liste mit zertifizierten Kliniken findet sich im Netz: www.endomap.de.