Wird aus Sicht der Gegner noch zehn Jahre Baustelle bleiben: Baufeld für den neuen Hauptbahnhof Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Das Bahnprojekt Stuttgart 21 wird sich auf 9,8 Milliarden Euro verteuern - und auch die Fertigstellung des Tiefbahnhofs wird sich um Jahre verzögern. Diese Prognose gibt das Beratungsbüro Vieregg Rössler ab.

Stuttgart - Nicht 6,5, sondern 9,8 Milliarden Euro, Inbetriebnahme nicht Ende 2021, sondern Ende 2025. Diese düstere Vorausschau auf weitere zehn Jahre Stuttgart-21-Baustelle hat Martin Vieregg vom Beratungsbüro Vieregg Rössler am Mittwoch in Berlin gegeben.

Der Betriebswirt mit Schwerpunkt Verkehrsberatung hat die 2008 für die Grünen im Stuttgarter Gemeinderat und den Bund für Umwelt und Naturschutz (Bund) gefertigte Kostenprognose im Auftrag des Aktionsbündnisses gegen S 21 fortgeschrieben.

Vieregg lagt mit Prognose aus 2008 sehr gut

2008 hatte Vieregg Rössler 6,9 Milliarden Euro prognostiziert. Der Bauherr Bahn hatte damals mit 2,8 Milliarden gerechnet und die Solidität seiner Annahmen betont. Ende 2012 musste Bahnchef Rüdiger Grube eine Kostenexplosion auf bis zu 6,5 Milliarden Euro einräumen, der Aufsichtsrat schoss zwei Milliarden Eigenmittel zu, weitere 300 Millionen Euro sollten als Folge des Filderdialogs wenn nötig finanziert werden, aber außerhalb des S-21-Vertrags. Das ist mit dem dritten Gleis am Flughafen geschehen.

Martin Vieregg begründet die nun ermittelten 9,8 Milliarden Euro vor allem mit erheblichen Änderungen am Herz des Projekts, dem Durchgangsbahnhof. Er habe 2008 zu niedrige Kostenansätze für ein Standardbauwerk genommen, inzwischen sei klar, „dass das alles andere als ein Standardbauwerk ist“. Die geologische und hydrologische Situation scheine sehr problematisch, der Baufortschritt schleppend, es gebe ständig Umplanungen. Die Pfahlgründungen würden tiefer und mit 4200 zahlreicher, der Brandschutz anspruchsvoller. Vieregg rechnet nicht mehr mit 757 Millionen, sondern jetzt mit 1,6 Milliarden Euro für den Tiefbahnhof.

Aufschläge für Tunnelbau fallen gering aus

Die Aufschläge für die Tunnelbauten fallen dagegen fast schon marginal aus. 171 Millionen Euro mehr bei den Tunneln nach Unter- und Obertürkheim und nur 91 Millionen mehr beim Fildertunnel, 42 bei dem nach Feuerbach, aber 166 Millionen mehr für den Filderanschluss sieht Vieregg vor. Sollte die Bahn im Anhydrit besser durchkommen, sei aber auch eine Reduzierung der Baukosten um insgesamt 400 Millionen, beim Bahnhof durch Optimierung um 300 Millionen Euro möglich.

Das aber nimmt Vieregg nicht wirklich an. Es sei „wesentlich wahrscheinlicher, dass die Bahn die Marke von zehn Milliarden Euro reißt“, auch wegen weiterer Verspätungen. Begründung: „Schließlich bleiben die Akteure dieselben und viele Probleme werden erst im Laufe des weiteren Baus auftauchen“. Bei den Akteuren irrt Vieregg. Die Bahn hat die Spitze der Projektgesellschaft seit 2008 mehrfach ausgetauscht, die wiederum die Leitungsebenen darunter.

Die längere Bauzeit kostet viele Geld

Große Zuschläge identifiziert das Büro bei den Planungskosten (383 Millionen) und vor allem bei der Bauzeit. Der Verzug kostet 826 Millionen. Weitere Aufschläge addiert Vieregg beim Umweltschutz und durch eine höhere Preissteigerungsrate.

Sehr teuer würde es für die Bahn, wenn sie Teile des alten Kopfbahnhofes aus Kapazitätsgründen erhalten müsste oder Unfallszenarien wie Wassereinbruch im Fildertunnel stattfänden. Das wurde nicht kalkuliert. Volkswirtschaftliche sei die Baukostensteigerung „kein wirklicher Schaden“, für die Bahnbilanz allerdings sei sie „sehr wohl relevant“. Weil sich die Partner weigern, müsste der Konzern nochmals aus eigener Tasche nachlegen, was angesichts der Gesamtverschuldung schwierig ist. Oder die Bahn müsste bei einer Klage auf Mitzahlung der Partner hoffen.

Bahn: Berechnungen sind fernab der Realität

Das Projektbüro für Stuttgart 21 hat Viereggs Rechnung als „fernab der Realität“ bezeichnet. Die Bahn habe Vorsorge getroffen, Preissteigerungen seien in den Bauverträgen schon berücksichtigt, nur bei Stahl und Kupfer gebe es Geleitklauseln. Dieses Material könnte also für die Bahn auch billiger werden. Bis Jahresende seien 70 Prozent aller Bauaufträge vergeben, für Nachträge gebe es eine Abschätzung und Puffer in der Kalkulation, die insgesamt „absolut plausibel“ sei, sagt Peter Sturm, der für das Risikomanagement verantwortliche Geschäftsführer. Bis Ende September habe man für 3,1 Milliarden Euro Aufträge vergeben. Dabei gebe es kein Projektrisiko, dass nicht durch das Budget gedeckt sei.