Vor den Winterspielen in Pyeongchang: Annäherung zwischen Nord- und Südkoreas – nur auf Zeit? Foto: a

Kurz vor den Olympischen Winterspielen in Pyeongchang scheint sich die Krise auf der koreanischen Halbinsel zu entspannen. Nord- und Südkorea nähern sich an. „Aber Vorsicht ist geboten“, warnt StN-Autor Gunter Barner im Leitartikel, „zu oft schon wurde der olympische Geist von der Politik missbraucht.“

Stuttgart - Weil es für die Menschheit bedeutend bekömmlicher ist, ein paar Sportler aus Pjöngjang zu empfangen als mit Atomsprengköpfen bestückte Raketen, blickt die Welt an diesem Wochenende gebannt in die entmilitarisierte Zone zwischen Nord- und Südkorea. Wenn alles klappt, könnten dort die amtlich bestellten Sportkameraden aus beiden Landesteilen olympisches Tauwetter verkünden. Zwar spielte der kommunistische Norden bis vor kurzem noch bedrohlich mit dem Weltfrieden, weil aber vom 9. Februar an im südkoreanischen Pyoengchang der olympische Winterwanderzirkus Station macht, hat es sich Diktator Kim Jong-un noch einmal überlegt: Dabeisein ist alles.

IOC zu Kompromissen bereit

Der Machthaber in Gestalt eines Sumo-Ringers nimmt die Hand vom roten Knopf und schickt ein Eiskunstlaufpaar über die Grenze: Ryom Tae-ok und Kim Ju-sik haben sich als einzige Athleten aus Nordkorea qualifiziert. Weshalb die verfeindeten Bruderstaaten nun überlegen, die Olympischen Winterspiele mit einer gemeinsamen Frauen-Eishockey-Nationalmannschaft zu bereichern. Sogar der kollektive Einmarsch der beiden Delegationen ist nicht mehr auszuschließen. Die Begeisterung für so viel olympischen Frieden kommt zwar etwas spät, weil aber die Herren der Ringe schon länger ihre liebe Not damit haben, den tieferen Sinn ihrer kostspieligen Veranstaltung zu erläutern, sind sie zu Kompromissen bereit.

Missbrauch olympischer Ideale

Es wäre jedenfalls eine gute Nachricht vom dünnen Eis der Politik, wenn die diplomatischen Kringeldreher auf beiden Seiten mal wieder ein paar Pirouetten miteinander üben würden. Um es mit Thomas Bach, dem Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), zu sagen: „Es wäre ein großer Schritt nach vorn im Sinne des olympischen Geistes.“ Weil mit Letzterem im Verlauf der Weltfestspiel-Geschichte schon häufig Schlitten gefahren wurde, ist allerdings größte Vorsicht geboten: 1936 in Berlin und Garmisch missbrauchten die Nationalsozialisten die olympischen Ideale für ihre Zwecke. 1972 in München hielten sich jenseits der Berliner Mauer die völkerbindenden Absichten noch in engen Grenzen. Die Brüder und Schwestern aus der DDR machten ihre eigene Rechnung auf: 2x36=72. Dann konterkarierte der palästinensische Terror die Absicht der Bundesrepublik, ihr modernes, freundliches und weltoffenes Gesicht zu zeigen. Der Westen stahl Moskau 1980 die olympische Show, weil unter Führung der USA 40 Staaten den sowjetischen Einmarsch in Afghanistan mit Boykott quittierten. Vier Jahre später litt Los Angeles unter der Retourkutsche der sozialistischen Bruderstaaten im Osten. Chinas Kommunisten nützen 2008 die Spiele in Peking, um sich der Welt als neue Supermacht zu präsentieren. Die Camouflage des Wladimir Putin 2014 in Sotschi war an Dreistigkeit kaum zu überbieten. Teile des russischen Teams dopten sich mit staatlicher Unterstützung. Und kurz nachdem Thomas Bach sein Lob über dem gastfreundlichen Russland ausgeschüttet hatte, beendete Sportsfreund Putin die olympische Schunkelrunde mit der Annexion der Krim.

Medaillen statt Raketen

Es ist nicht auszuschließen, dass Kim Jong-un den Geist der Winterspiele im benachbarten Pyeongchang nur als Anschieber missbraucht, um seiner Höllenfahrt durch die Eiskanäle der Machtpolitik neuen Schwung zu verleihen. Zu abgenutzt und ausgereizt erschienen ihm zuletzt wohl seine Drohgebärden. Doch sollte das bisschen olympischer Friede wenigstens dazu führen, dass die Schussfahrt ins Verderben auf der koreanischen Halbinsel nicht weiter an Fahrt gewinnt, dann wäre die Menschheit der erste Olympiasieger. Medaillen statt Raketen. Ein schöner Gedanke. Mehr aber nicht.

gunter.barner@stuttgarter-nachrichten.de