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Die Bahn hatte Besserung gelobt. Doch der Schnee zwingt sie erneut in die Knie.

Berlin - Wie sich die Zeiten ändern. Früher warb die Bahn noch mit dem Slogan: "Alle reden übers Wetter - nur wir nicht. DB". Daran möchte heute niemand mehr in der Konzernzentrale erinnert werden. Der Bahnverkehr muss derzeit bundesweit mit heftigen Behinderungen kämpfen. Viele Züge fallen komplett aus aus. Verspätungen von 120 Minuten und mehr im Fernverkehr sind an der Tagesordnung. Die Bahn spricht von "witterungsbedingten Fahrzeugengpässen durch Schnee und Eis." Eigentlich eine Unverschämtheit. Das System Schienenverkehr ist nämlich sehr winterrobust. Ein Eisenbahn-Zug bringt mehrere hundert Tonnen Gewicht auf die Schiene. Der Stahl der Räder wirkt mit der ganzen Masse auf den Stahl der Schienen. Da kommt so schnell nichts in Rutschen. Schnee und Glatteis können der Bahn kaum etwas anhaben. Eigentlich müsste die Bahn gerade in diesen Tagen ihre Trümpfe ausspielen können gegenüber ihrer Konkurrenz. Dass die Haftung von Gummireifen beim Auto, beim Lastwagen, ja selbst beim Flugzeug auf spiegelglattem Untergrund problematisch ist, ist nachvollziehbar. Und wenn wieder einmal so gut wie alle Flughäfen in Mittel- und Nordeuropa wegen Eis und Schnee dicht machen, ja die Lufthansa ihre Kunden aufforderte, mit dem Flugticket in die Bahn zu steigen, müsste die Bahn eigentlich punkten können.

Kann sie aber nicht. Sie kapitulierte sie vor dem Ansturm der Kunden. Sie wurden gebeten, möglichst zu Hause zu bleiben. Im O-Ton der Bahn liest sich das so: "Kunden, die ihre Fahrt nicht unbedingt antreten müssen, empfiehlt die Bahn, auf weniger nachgefragte Zeiten auszuweichen."  Mehr noch: Die Bahn bietet ihren Kunden an, bereits gekaufte Tickets ohne Stornokosten zurückgeben zu können. Und das sogar rund um das Weihnachtsfest, wo die Deutschen so viele Bahnkarten kaufen wie zu keiner anderen Jahreszeit. Dass die Bahn bei Minusgraden derartig ins Schleudern kommt, ist eine peinliche Vorstellung. "Die Bahn erklärt selbst ihren Bankrott", schimpft SPD-Wirtschaftsexperte Garrelt Duin, "wenn sie potenziellen Kunden von einer Bahnfahrt abrät."

Es ist halt Winter  

Dabei ist Tief Petra, das Deutschland das Winterwetter beschert, gar nicht so außergewöhnlich. Es passiert schon einmal, dass das Land um diese Jahreszeit unter den Einfluss einer Luftströmung gerät, die von Norden kommt und bis in große Höhen kalt und feucht ist. Dass sich die Wolken vor allem an den Mittelgebirgen entladen, ist auch kein Sonderfall. Im Schnitt hat ein deutscher Winter 17 Schneetage, davon sind jetzt zwar schon 16 verbraucht. Aber im langjährigen Mittel kommt ein recht früher und starker Schneefall eben schon einmal vor. Die Wortschöpfung "Starkschnee" für die Niederschläge dieser Tage ist also meteorologisch ebenso verfehlt wie "Jahrhundertwinter".

Es ist halt Winter, mehr nicht. Und die Bahn kommt damit nicht klar. Seit Wochen kommen Hunderttausende Pendler zu spät zur Arbeit. Geschäftsleute müssen Termine platzen lassen, Güter erreichen verspätet ihre Adressaten. Die ICE-Züge auf Hauptstrecken werden halbiert. Die Folge: Der Fahrgast fühlt sich an eine körperliche Enge wie Bangladesch erinnert. Mit dem entscheidenden Unterschied, dass die Bahn hierzulande andere Preise verlangt.

Die Chaos-Tage bei der Bahn haben handfeste Ursachen: Die Bahn hat falsche Züge angeschafft. Viele der Neuanschaffungen sind einfach nicht winterfest. Zum Beispiel: Bei den ICEs sind die Lüftungsschlitze falsch konstruiert. Im letzten Winter schon hatte die Bahn die Erfahrung gemacht, dass die Lokomotiven durch die Schlitze Schnee ansaugen. Jetzt soll die Lüftung zwar funktionieren, dafür machen die Achsen bei den ICEs Probleme: Wegen spektakulärer Pannen waren die Wartungsintervalle bereits drastisch verkürzt worden. Wenn die Wartung der Achsen ansteht, muss der Zug schon zu normalen Zeiten für sechs Stunden in die Werkstatt. Jetzt bei den Minusgraden dauert es fünf Stunden, bis mit der Wartung überhaupt begonnen werden kann. Die Züge müssen erst aufwendig abgetaut werden. Die Folge ist: Jedes Mal, wenn eine Wartung ansteht, steht der Zug elf Stunden. Das erklärt so manchen Zugausfall.

Tempolimit und defekte Weichen
 
Für die drastischen Verspätungen im Fernverkehr ist vor allem das Tempolimit verantwortlich. Die Bahn hat das Tempolimit verhängt, um Schäden am Unterboden der Züge zu verhindern, wenn am Fahrwerk festgefrorene Eisklumpen Schottersteine aus dem Gleisbett aufwirbeln. Der in Fachkreisen so genannte Schotterflug muss aber nicht zu Schäden führen: Der Unterboden der Züge kann verstärkt werden, so dass die Schottersteine keine Schäden anrichten können. Den Aufpreis dafür scheute die Bahn aber offenbar. Die Bahn macht "die extremen Wetterbedingungen" auch für Störungen an Schienen und Weichen verantwortlich. Kritiker verweisen darauf, dass hier Weichenheizungen für Abhilfe sorgen. Die Heizungen müssen aber funktionieren. Wenn sie nicht funktionieren, dann deutet viel auf mangelnde Wartung hin. Personal wurde im großen Stil abgebaut.

Früher, als die Weichen noch mechanisch arbeiteten, ging ein Stellwerk-Mitarbeiter zu Fuß zu einer nahe gelegenen Weiche und entfernte den störenden Klumpen Schnee. Heute werden die Weichen per Knopfdruck auf Distanzen von 200 Kilometern und mehr gestellt. Wenn eine Weiche ausfällt, ist so schnell nichts zu machen.

Warum schaffte es die Bahn früher, auch im Winter pünktlich zu kommen? Weil damals das Geld da war, um das System Schiene auch für jene wenige Tage im Jahr zu rüsten, die etwas kälter oder etwas heißer sind als normal. Der grüne Bahnexperte Anton Hofreiter formuliert es so: "Das Verkehrsministerium ist schuld, weil es dem Staatsunternehmen Bahn die falschen Vorgaben macht." Kundennähe wäre die richtige Vorgabe, statt dessen gehe es vor allem darum, Geld zu sparen.