Deutschland und China wollen beim Rettungsdienst zusammenarbeiten Foto: dpa

China kennt rasantes Wirtschaftswachstum. Aber kein modernes Rettungswesen. Das soll unter Mithilfe des Bundes jetzt die Björn-Steiger-Stiftung aus Winnenden in zwei Modellregionen einführen. Deutschen Unternehmen winken Aufträge in mindestens zweistelliger Milliardenhöhe.

Stuttgart - Es war einmal ein riesiges Land weit im Osten. Ein Land, das seit Jahren nur Wachstum kennt. Ein Land, in dem jedes bedeutende Unternehmen präsent sein muss, um die Zukunft zu sichern. Aber auch ein Land, in dem so manche soziale Struktur schmerzlich vermisst wird. Zum Beispiel ein funktionierendes Rettungswesen. Bis die Zauberfee aus dem Westen kommt. Mit im Gepäck: Rettungswagen, Hubschrauber, Leitstellen, medizinisches Gerät nach neustem Standard und fachkundige Ausbilder für Hunderttausende Mitarbeiter.

Björn-Steiger-Stiftung als Zauberfee

Es klingt ein bisschen wie ein Märchen. Und könnte doch wahr werden. Das Land heißt China. Die Zauberfee, die den Chinesen einen Rettungsdienst zu Lande und in der Luft nach deutschem Vorbild bringen soll, ist die Björn-Steiger-Stiftung aus Winnenden im Rems-Murr-Kreis.

Bereits im Frühjahr haben Stiftungspräsident Pierre-Enric Steiger und der Oberbürgermeister der Stadt Jieyang unter wohlwollender Begleitung der Bundesregierung ein sogenanntes Memorandum of Understandig unterzeichnet, also eine Absichtserklärung. Vor wenigen Tagen haben die deutsche und die chinesische Regierung den Aktionsplan zur gesundheitspolitischen Zusammenarbeit vereinbart. In diesem Rahmen sind offenbar erste Verträge unterschrieben worden.

Pilotprojekte in zwei südchinesischen Städten

Inhalt der Vereinbarung: Die gemeinnützige Steiger-Stiftung, über Jahrzehnte besonders für den Aufbau von Notruftelefonen an deutschen Straßen bekannt, soll den Chinesen das deutsche Rettungswesen näherbringen. Pilotbezirke sind die südchinesischen Städte Wuhan und Jieyang mit ihren Provinzen. Allein die beiden Städte haben ungefähr 13 Millionen Einwohner, die umgebenden Regionen rund 170 Millionen.

„Das Rettungswesen in China ist regional unterschiedlich entwickelt und ein staatliches Rettungssystem ist in weiten Teilen des Landes nicht existent“, sagt Sebastian Gülde, Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums. Die Bundesregierung fördere in ihrer langjährigen Zusammenarbeit mit China auch den Gesundheitsbereich mit „verschiedenen Projekten und Trägerorganisationen“. Die Steiger-Stiftung unterstütze man durch „politische Flankierung“. Ziel sei auch, „die deutsche Wirtschaft zu fördern“, so Gülde.

Dimensionen auf chinesischem Markt sind enorm

Im Klartext: Vorwiegend deutsche Unternehmen sollen den chinesischen Markt mit Produkten des Rettungswesens versorgen. Die Dimensionen sind enorm. Zwar sei die Zusammenarbeit noch in der Anfangsphase und es handele sich um „Pilotprojekte, die zunächst erprobt werden sollen“, so das Ministerium. Daraus lasse sich keine rechtliche Grundlage für eine landesweite Umsetzung ableiten. Doch den Beteiligten ist klar: Funktionieren die Pilotprojekte zur beiderseitigen Zufriedenheit, steht den deutschen Anbietern ein Milliardenmarkt offen. Es geht um zigtausende Rettungswachen, Fahrzeuge oder Hubschrauber.

Bei der Steiger-Stiftung macht man ein großes Geheimnis um den derzeitigen Projektstand. Pierre-Enric Steiger lässt über eine Sprecherin mitteilen, man nehme jetzt und auch in den nächsten Wochen keine Stellung dazu. An anderer Stelle hat er in der Vergangenheit allerdings Andeutungen gemacht. So veranschlagt er offenbar zwei Jahre für die beiden Städte und sieben bis acht Jahre für die Provinzen. Allein die Anlaufphase dort koste zehn Milliarden Euro, bei einer landesweiten Umsetzung könnten Auftaktinvestitionen von hundert Milliarden Euro auflaufen.

Auch Bosch und Daimler führen Gespräche

Die sollen möglichst deutschen Unternehmen zugute kommen. Das Konsortium für die Pilotprojekte steht bereits weit gehend fest. Dazu gehören sämtliche großen deutschen Anbieter auf dem Rettungsmarkt, darunter diverse aus Baden-Württemberg und der Stuttgarter Region. „Wir werden beteiligt sein“, sagt eine Bosch-Sprecherin gegenüber den Stuttgarter Nachrichten. Bei Daimler heißt es, man stehe in Gesprächen, habe aber noch keine Verträge unterzeichnet. Daimler könnte offenbar die Fahrzeuge liefern, auf denen Rettungswagen aufgebaut werden.

Die Ausbildung des medizinischen Personals soll das Institut für Patientensicherheit und Teamtraining (InPass) aus Reutlingen koordinieren. „Wir werden in einer ersten Pilotwelle hundert Leute ausbilden“, sagt der Leiter Marcus Rall. Man werde Mitarbeiter einstellen und mit Partnern zusammenarbeiten, denn nach und nach gehe es um Tausende von Rettungsassistenten. Zwei Mitarbeiter seien bereits in China gewesen, um sich die Verhältnisse dort anzuschauen. „Da herrscht Riesenbedarf. Das Niveau ist zum Teil verheerend. Patienten werden mit Karren gefahren“, berichtet Rall. Er spricht deshalb von einem „Jahrhundertprojekt“.

Deutsches Engagement treibt kuriose Blüten

So sieht man das auch bei Airbus Helicopters in Donauwörth. „Wir werden zuständig für den Aufbau der Luftrettung sein“, sagt Sprecher Claas Belling. Und da warte in China ein „nicht einfacher, aber sehr wichtiger Markt mit einem Riesenpotenzial“. Erst vor wenigen Tagen sei dort der erste Rettungshubschrauber überhaupt in Betrieb genommen worden. Man rechne damit, dass zwischen 1500 und 3000 Stück nötig seien. Durch das Steiger-Projekt hoffe man in den nächsten Jahren „auf einige Hundert“. Bei Stückpreisen um die acht Millionen Euro ein gutes Geschäft – und der Einstieg in den Gesamtmarkt: „Das Projekt ist landesweit angelegt“, glaubt Belling.

Insider berichten, das deutsche Engagement im chinesischen Rettungsdienst treibe auch kuriose Blüten. So ist offenbar Adidas dazu auserkoren, die Einsatzkleidung herzustellen, weil der Sportartikelriese über geeignete Produktionskapazitäten in China verfügt. Dazu äußern wollte sich das Unternehmen auf Anfrage nicht.

Bleibt die Frage, wie die kleine Björn-Steiger-Stiftung das Mammutprojekt schultern will. Dort arbeiten bisher nur rund zwei Dutzend Menschen, vor einigen Jahren musste man aus finanziellen Gründen Mitarbeiter entlassen. Nach Informationen des Fachportals Rettungsdienst.de könnten die Winnender eine eigene Stiftung in Peking gründen. Sie könnte gar als Arbeitgeber aller Rettungsdienst-Mitarbeiter und Eigentümer der Rettungsmittel fungieren – eine gewaltige Aufgabe.

Auch deshalb sind sich noch nicht alle Beteiligten ihrer Sache ganz sicher. „Das ist ein tolles Projekt, wenn man den endgültigen Vertrag in der Hand hat und es anläuft“, sagt Marcus Rall. Er erinnert daran, dass es in China „viele Unwägbarkeiten auch in der rechtlichen Situation“ gebe. Das Bundesgesundheitsministerium hatte ursprünglich einen Projektbeginn im vergangenen Sommer angepeilt. Beteiligte rechnen jetzt mit Anfang nächstes Jahr. Sie hoffen auf eine große Zukunft. „Es ist ein einzigartiger Zauber, der diesem Anfang innewohnt“, sagt Rall. Ein Zauber wie aus einem Märchen.