In Warschau nimmt die Polizei mehrere Mitglieder eines betrügerischen Callcenters fest. Eine Seniorin aus Winnenden hat zu ihrer Festnahme beigetragen. Foto: Polizei Polen

Ein perfides Lügengerüst, ein kühler Kopf – und das Ende einer Betrugsserie: Eine 81-Jährige aus Winnenden wird zur Heldin eines grenzüberschreitenden Polizei-Einsatzes.

Ein unerwartetes Telefonklingeln, dann steht die Welt für einen Moment still. Am Freitag, 26. September, wird das ruhige Leben einer 81-jährigen Frau aus Winnenden durch einen Anruf erschüttert. Am anderen Ende meldet sich ein angeblicher „Herr Stollenberg“. Seine Stimme ist ruhig, seine Nachricht nicht: Die Tochter der Rentnerin habe in Luxemburg einen tödlichen Verkehrsunfall verursacht – ein Schüler sei gestorben, ein weiterer Mensch schwebe in Lebensgefahr.

 

Doch hinter der Fassade bürgerlicher Höflichkeit steckt Erpressung. Der vermeintliche Beamte fordert eine hohe Kaution, um die Untersuchungshaft der Tochter zu vermeiden. Als die Frau erklärt, sie besitze Wertgegenstände in einem Bankschließfach, wird sie angewiesen, diese abzuholen und sich anschließend wieder nach Hause zu begeben.

Telefonbetrug in Winnenden – eine Seniorin soll zahlen

Was die Täter nicht wissen: Das Gespräch wird bereits von der Kriminalpolizei Trier abgehört. Diese informiert umgehend das Polizeipräsidium Aalen. Noch bevor es zu einem Schaden kommen kann, klären echte Polizeibeamte die Frau auf. Und sie zeigt Mut: Statt sich zurückzuziehen, erklärt sie sich bereit, bei der geplanten Festnahme mitzuwirken.

Die Winnender Rentnerin geht zum Schein auf die Forderungen der Trickbetrüger ein – und legt diese herein. Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Zurück in ihrer Wohnung klingelt erneut das Telefon. Wieder ist „Herr Stollenberg“ dran. Die Seniorin bleibt gefasst, schildert ruhig, sie habe das Geld wie gewünscht aus dem Schließfach geholt. Doch diesmal hören Kriminalbeamte nicht nur zu. Sie haben das Gespräch längst übernommen und eine Falle vorbereitet.

Die Rentnerin spielt zum Schein bei Telefonbetrug mit

Wie das Polizeipräsidium Aalen mitteilt, wird nun auch die Polizei im Rems-Murr-Kreis eingeschaltet. Der Plan geht auf: Der angebliche Bote, „Herr Nowak“, wird zur Übergabe der Wertgegenstände vor das Haus gelockt. Was er nicht ahnt: Statt einer ahnungslosen Rentnerin erwartet ihn ein ziviles Polizeiteam. Als der 29-jährige mutmaßliche Betrüger zugreift, schnappen die Handschellen.

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Zugriff in Warschau – Polizei sprengt Betrugszentrale

Am nächsten Morgen, dem 27. September, wird der Mann dem Haftrichter vorgeführt. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart erlässt Haftbefehl, der Tatverdächtige kommt in Untersuchungshaft. Fast zeitgleich schlägt die Polizei in Polen zu: Im Warschauer Stadtteil Praga-Południe durchsuchen polnische Ermittler mit Unterstützung der Kriminalpolizei Trier und des LKA Berlin ein Callcenter, das als Schaltzentrale für den Betrug diente. Zwei Männer, 24 und 49 Jahre alt, werden festgenommen. Laut dem Polizeipräsidium Trier gelten sie als mutmaßliche Drahtzieher der Anrufe.


Schmuck, Drogen, Luxusuhren – und ein deutsches Telefonbuch

Bei der Durchsuchung werden neben digitalen Beweismitteln auch Markenuhren im Wert von etwa 94.000 Euro, Schmuck, Kokain und Marihuana sichergestellt. Besonders brisant: Ein deutsches Telefonbuch – offenbar die Grundlage für die Auswahl der Opfer.

Der Leiter der Trierer Kriminalinspektion, Kriminaloberrat Manuel Kiy, lobt die enge Kooperation: „Dieser Ermittlungserfolg zeigt, dass sich Täter auch im Ausland nicht sicher fühlen können.“ Über Monate hatte die Kriminalpolizei Trier im Rahmen eines internationalen Ermittlungsverfahrens 12 Straftaten dokumentiert – in keinem Fall kam es zu einer erfolgreichen Geldübergabe.

Der Fall ist kein Einzelfall. Laut Polizei übersäen Tätergruppen aus dem Ausland das Bundesgebiet mit Anrufen. Ihr Ziel: möglichst hohe Summen von verunsicherten Senioren. Umso wichtiger sei Prävention: Misstrauen, Rückversicherung bei Angehörigen und sofortiger Kontakt zur Polizei sind entscheidend, heißt es in der Mitteilung.

Ein einziger Anruf hätte eine ältere Frau in den finanziellen Ruin treiben können. Stattdessen wird er zum Wendepunkt: Eine mutige Rentnerin, entschlossene Ermittler und die reibungslose Zusammenarbeit zweier Länder stoppen ein ganzes Betrugsnetzwerk, bevor es noch mehr Opfer fordern kann.

Dieser Artikel erschien erstmals am 10. Oktober und wurde am 13. Oktober aktualisiert.