Vor dem Landgericht wird der beste Freund zitiert: "Tim ging in Counter Strike voll auf."

Stuttgart - Wieso wird ein unauffälliger, introvertierter 17-Jähriger zum Massenmörder? In kleinen Schritten ist die 18.Strafkammer des Landgerichts am Dienstag am vierten Verhandlungstag gegen den Vater des Täters dieser Frage nachgegangen.

Der 51-Jährige Jörg K. ist wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz angeklagt; auch die Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung ist möglich. Bei der Bemessung von Verantwortung und Schuld des Angeklagten geht es unter anderem darum, wie der 17-jährige Sohn Tim am 13.März 2009 an die Pistole des Vaters gelangte, mit der in Winnenden und Wendlingen 15 Menschen ermordete, 14 verletzte und sich danach selbst tötete.

Die Waffen sehen täuschend echt aus

Die Kaltblütigkeit, mit der der 17-Jährige die Tat ausübte, macht ratlos. Festzustehen scheint jedoch, dass er Routine gehabt haben dürfte im Laden, Zielen, Feuern. Die Welt der Waffen war Tim vertraut.

Als die Polizei am Nachmittag des Amoklaufs das Wohnhaus der Familie K. in Weiler zum Stein durchsucht, machen die Beamten Beweisfotos. Auf einem dieser Fotos ist der schlichte Schülerschreibtisch von Tim zu sehen. Ein blauer Drehstuhl steht davor, der PC steht am Boden. Über dem Schreibtisch hängen in Augenhöhe zwei Maschinenpistolen, ein Gewehr, drei Pistolen. Die Waffen sehen täuschend echt aus. Es sind sogenannte Softairwaffen, Spielgeräte, die Farbkugeln verschießen.

Softair-Schlachten in Tims Elternhaus

Ein anderes Foto, das der als Zeuge geladene Polizeibeamte am Dienstag aus dem 400-seitigen Ermittlungsbericht zieht, zeigt ein Treppenhausfenster. Darüber hängt ein täuschend echt aussehendes Sturmgewehr. Die echten, scharfen Waffen hatte Sportschütze Jörg K. im Keller verwahrt. Die Bilder zeigen drei Tresore, darin lagern vier Pistolen, sechs Gewehre, Zubehör. Um alle Munition im Haus K. zu finden, benötigt die Polizei drei Hausdurchsuchungen.

Die Pistole, mit der Tim K. zum Mörder wurde, hatte der Vater 1992 in Backnang legal erworben. Vor Gericht schweigt der Angeklagte bisher. In seiner polizeilichen Vernehmungen hatte er angegeben, dass diese Pistole vom Typ Beretta seit drei Jahren im Schlafzimmer "hinter einem Stapel Pullover" gelegen habe; das Magazin mit zehn Schuss war im Nachtkästchen.

Softair-Schlachten in Tims Elternhaus

Einmal durfte Tim legal im Beisein des Vaters eine schwere Pistole abfeuern. Das war am 27.Oktober 2008 im Schützenverein. So steht es im dortigen Schießbuch. Doch die Daten im Buch sind fragmentarisch. Zeugen haben Tim mindestens ein weiteres Mal auf der Bahn für schwere Pistolen erlebt.

Mit dem Schießen begonnen hatte Tim K. schon einige Jahre früher. Andere Jugendliche haben der Polizei von Softair-Schlachten in Tims Elternhaus und im Freien berichtet. Die Farbkugel-Beretta war angeblich Tims Lieblingswaffe. Als er älter ist, steigt er auf "Counter Strike" und andere Ballerspiele um. "Da ging Tim voll auf", sagte ein Freund zur Polizei. Da habe aber "mehr oder weniger die ganze Klasse" dieses Spiel gespielt, schränkt der Kriminaloberkommissar am Dienstag vor Gericht ein.

Der Prozess wird am Donnerstag fortgesetzt. Bisher sind von Gericht 22 weitere Verhandlungstage angesetzt.