Winfried Kretschmann hält die grüne Parteipolitik des fein austarierten Proporzes für überholt. Foto: dpa

Mann und Frau, realpolitischer Flügel und linker Flügel. Die Spitzen der Grünen sind fein austariert. Ministerpräsident Kretschmann hält das angesichts ihrer schwierigen Lage für überholt.

Stuttgart - Die Jamaika-Gespräche sind gescheitert - im Bundestag sind die Grünen die kleinste Opposition. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) macht im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur Vorschläge, wie seine Partei mit der schwierigen Lage umgehen sollte.

Die Grünen im Bund müssen wohl für vier weitere Jahre in die Opposition. Was bedeutet das für die Partei?
Das macht es schwierig, zumal wir noch schwierigere Bedingungen haben als bisher. Es gibt zwei zusätzliche Parteien im Bundestag, die AfD und die FDP. Bei Debatten kommen wir immer als Letzte dran. Darauf müssen wir uns einstellen und die besten Leute nach vorn stellen - bei der neuen Spitze der Bundespartei und bei der neuen Fraktionsspitze. Dann können wir diese Nachteile aushalten und eine gute Rolle spielen als Konzeptpartei mit Realitätssinn.
Sie plädieren für ein Ende der Regel der Grünen, wonach die Spitze aus einem linken und einem realpolitischen Vertreter bestehen muss?
Eine Regel ist das nicht, es wurde eher so etwas wie eine Gewohnheit. Es sollte eine Bestenauswahl geben, keine Flügelauswahl. Die Bevölkerung interessiert sich nicht für unsere Flügel, die interessiert sich für unser Programm und für glaubwürdige Personen, die das vertreten.
Aber die Aufhebung dieser Gewohnheit ist umstritten.
Es gibt da zwei Sichtweisen. Die eine Sichtweise ist die Sicht nach außen, in die Gesellschaft - die habe ich gerade erklärt. Die andere Sichtweise ist die des innerparteilichen Zusammenhalts. Die, die diesen Blick haben, sind für einen Proporz mit der Bedienung beider Flügel. Aber ich meine, dass man sich bei diesen erschwerten Bedingungen gemeinsam hinter Ideen scharen muss. Dass wir das können, haben wir bei den Jamaika-Sondierungen gezeigt.
Und welche Rolle soll Cem Özdemir dabei künftig spielen?
Er wäre ein guter Fraktionsvorsitzender. Aber das muss die Bundestagsfraktion entscheiden.
Bei den Jamaika-Verhandlungen waren Sie vorn mit dabei. Wie stark werden Sie sich künftig bei den Grünen im Bund engagieren?
Als Ministerpräsident mache ich über den Bundesrat immer auch Bundespolitik. Aber innerparteilich bin ich eher am Rande tätig. Jetzt kommt es darauf an, dass wir die richtigen Bundespolitiker an die Spitze von Partei und Fraktion wählen. Ich bin in erster Linie zuständig für unser Land und habe da viel zu tun.
Ihr Parteikollege aus Schleswig-Holstein, Robert Habeck, will sich für den Parteivorsitz bewerben, wenn er für eine einjährige Übergangszeit Landesminister bleiben kann. Unterstützen Sie eine dafür erforderliche Änderung der Parteisatzung?
Ich halte viel von Robert Habeck. Er ist ein origineller Politiker mit einer sehr verständlichen Sprache. Und er hat die Gabe, Menschen zu überzeugen. Folglich bin ich auch für eine Änderung der Parteisatzung. Von solchen Regelungen der Trennung von Amt und Mandat halte ich sowieso nicht sehr viel.