Der Flughafen muss klima- und umweltfreundlicher werden, sagt der Verkehrsminister. Foto: Lichtgut/Christoph Schmidt

Kein Thema in der Region birgt zurzeit so viel Zündstoff wie die Debatte über eine neue Startroute am Flughafen. Wie positioniert sich Verkehrsminister Winfried Hermann – und was sagt er zu den kursierenden Gerüchten?

Stuttgart - Der Plan für eine neue Flugroute am Stuttgarter Flughafen spaltet die Region – weil etliche Kommunen eine höhere Belastung befürchten und andere auf Entlastung hoffen. Die Fluglärmkommission hat das umstrittene Thema am 2. November auf der Tagesordnung. Dabei sollen – so das Ergebnis eines Spitzentreffens am Mittwochabend mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) – offene Fragen geklärt und weitere Untersuchungen angeschoben werden. Wie positioniert sich Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) in dieser Kontroverse, der die abendliche Runde moderiert hat und zugleich Aufsichtsratsvorsitzender des Flughafens ist?

 

Herr Minister Hermann, die Entscheidung über die neue Flugroute wird vertagt, in der Sache aber schwelt der Konflikt weiter, wie die Reaktionen gezeigt haben. Alle Kommunen – egal ob für oder gegen die neue Route – fühlen sich als Sieger dieses Abends. Waren diese bei unterschiedlichen Veranstaltungen?

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Zunächst bin ich sehr zufrieden mit der virtuellen Runde. Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, Oberbürgermeisterinnen und Oberbürgermeister, Mandatsträgerinnen und Mandatsträger, Deutsche Flugsicherung und Fluggesellschaften sind respektvoll miteinander umgegangen. Ich sehe, dass im Nachgang jeder eine gewisse Deutungshoheit haben will. Aber mit Verlaub, wir machen da kein Fußballspiel, bei dem es um Sieger und Verlierer geht. Vielmehr geht es um ein rein an der Sache orientiertes Verfahren, das zum Ziel hat, bei hoher Verkehrssicherheit die Belastungen für Mensch und Umwelt in Summe möglichst zu verringern.

Vor allem Kommunen wie Nürtingen, die künftig stärker vom Fluglärm belastet werden könnten, haben gegen die neue Route protestiert. Verständlich?

Ich kann es nachvollziehen, auch weil einige Fragen noch offengeblieben sind. Das ist am Mittwochabend deutlich geworden. Deshalb sollen diese bei der nächsten Sitzung der Fluglärmkommission abgearbeitet werden. Übrigens, es darf kein Tabu geben, darüber nachzudenken, dass die Belastungen durch den Flughafen etwas fairer verteilt werden. Es kann nicht sein, dass Gebiete, die heute durch die Flugrouten von Fluglärm betroffen sind, bei der Suche nach neuen Lösungen außen vor bleiben – mit dem Argument, dass Menschen den Lärm ohnehin schon gewohnt sind.

Manche Fragen sind offenbar so offen, dass es ein zusätzliches Gutachten braucht. Welche Punkte werden geprüft? Und wer hat die Federführung?

Was wir meiner Ansicht nach brauchen, ist noch einmal eine differenzierte Betrachtung über die Auswirkungen der geplanten Flugroute nach Süden. Ganz konkret: An welchen Stellen müssen wie viele Menschen mit wie viel mehr Lärm rechnen als heute? Und in welchen Gebieten wird es für wie viele Menschen möglicherweise leiser werden? Dazu muss die Deutsche Flugsicherung noch Daten liefern. Darüber hinaus wird ein unabhängiges Lärmgutachten gefordert. Fachleute meines Ministeriums und Vertreter der betroffenen Gemeinden werden zusammen überlegen, wie die Untersuchung angelegt werden könnte. Was sicher den Rahmen sprengt, ist – wie es teilweise gefordert wurde – eine allumfassende Lärmstudie quasi für die ganze Region zu machen.

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Nun wird an der Flugroute seit vier Jahren geplant. Neu betroffene Kommunen sind erst vor wenigen Monaten eingebunden worden. Ist das zeitgemäß?

Der Fluglärmkommission, das möchte ich ganz deutlich sagen, ist kein Vorwurf zu machen. Es ist nicht sinnvoll, solche Pläne zu früh publik zu machen, während sie noch unausgegoren sind und aufkommende Fragen dadurch gänzlich unbeantwortet bleiben. Es braucht schon einen gewissen Reifegrad, eine stabile Grundlage. Zugleich war es richtig, überhaupt an die neu betroffenen Kommunen heranzutreten, die nicht in der Fluglärmkommission sitzen, und diese zu informieren. Ich finde es gut, dass diese nun für den Verlauf des Verfahrens ein Gastrecht bekommen, und ein Rederecht wird meines Wissens auch geprüft.

Diese Kommunen aber wollen formal Mitglied werden und fordern insgesamt mehr Transparenz – ähnlich wie am Frankfurter Flughafen, wo die Lärmkommission alle Protokolle veröffentlicht. Wie stehen die Chancen in Stuttgart?

Ich habe eine gewisse Sympathie dafür, den Kreis der Mitglieder zu erweitern und solche Verfahren insgesamt partizipativer zu gestalten. Allerdings geht das nicht nach Gutdünken eines Ministers, die Mitgliedschaft macht sich fest an konkreten Dezibel- und Lärmbelastungen. Wir lassen gerade prüfen, was da perspektivisch möglich ist. Das muss hieb- und stichfest rechtssicher sein. Und, ja, wenn Protokolle nach Sitzungen ohnehin auf irgendwelchen Wegen an die Öffentlichkeit gelangen, ist es möglicherweise klug, diesen Schritt selbst zu machen. Aber ich kann da nur eine Empfehlung geben, entscheiden muss das die Fluglärmkommission.

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Immer wieder wurde zuletzt die Sorge geäußert, der Flughafen werde seine Passagierzahlen von zwölf Millionen vor Corona auf alsbald 14 bis 17 Millionen nach oben schrauben wollen – auch durch die neue Flugroute. Stimmt das?

Da will ich doch ein paar Dinge geraderücken. Erstens: Die neue Flugroute dient nicht der Steigerung der Zahl von An- und Abflügen. Die neue Flugroute soll allein Lärmbelastungen reduzieren und dem Umweltschutz dienen...

... und zweitens?

Die Geschäftsführung hat vom Aufsichtsrat keinen Auftrag, die Passagierzahlen in dieser Weise zu steigern. Es wird auch keine zweite Startbahn geben. Alle Experten gehen davon aus, dass es nach Corona – wo der Flugverkehr eingebrochen ist – mindestens drei, vier Jahre dauert, bis wir den alten Stand wieder erreicht haben. Wenn der überhaupt jemals wieder erreicht werden wird. Es wäre völlig naiv zu glauben, wir könnten als reisefreudiges und exportorientiertes Bundesland auf einen Flughafen verzichten. Aber wir können und müssen diesen klima- und umweltfreundlich betreiben – und dafür tun wir viel.

Wer entscheidet?

Minister
Winfried „Winne“ Hermann, geboren am 19. Juli 1952 in Rottenburg am Neckar, ist Stuttgarter Landtagsabgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen – und seit 2011 zugleich baden-württembergischer Verkehrsminister. In dieser Eigenschaft ist er zugleich Vorsitzender im Aufsichtsrat des Stuttgarter Flughafens. Das öffentlich-rechtliche Unternehmen gehört zu zwei Dritteln dem Land Baden-Württemberg, zu einem Drittel der Stadt Stuttgart.

Kommission
Unter anderem wenn es um neue Flugrouten geht, hat das Land Baden-Württemberg gar keine Zuständigkeit im eigentlichen Sinne. Flugrouten werden letztendlich von Bundesbehörden wie der Deutschen Flugsicherung und dem Bundesamt für Flugsicherheit festgelegt. Eine beratende Funktion kommt dabei der örtlichen Fluglärmkommission zu. In Stuttgart hat diese fünfzehn Mitglieder, darunter besonders stark vom Fluglärm betroffene Kommunen, aber auch den Flughafen Stuttgart selbst oder die Luftfahrtunternehmen. Das Verkehrsministerium als oberste Lärmschutzbehörde hat ebenfalls einen Sitz