EnBW-Mitarbeiter Evren Aktas vor einem neuen Windpark des Konzerns nahe Istanbul Foto: EnBW

Deutschlands drittgrößter Energieversorger EnBW hat die Türkei als Öko-Markt entdeckt und will dort in großem Stil ins Geschäft mit erneuerbaren Energien einsteigen. Der Bau von Windparks geht dort viel schneller als in Deutschland.

Balabanli/Istanbul - Über fünf Kilometer windet sich die Schotterstraße hinauf in die Hügel von Balabanli, einer 300-Seelen-Gemeinde rund 80 Kilometer westlich der Millionen-Metropole Istanbul. Jahrzehntelang verdienten die Menschen hier ihr Geld mit Schafzucht und Landwirtschaft. Sonnenblumenfelder ziehen sich weit über die angrenzenden Höhenrücken, nur durchbrochen von kleinen Hecken und Unterständen für die Tiere. Seit einigen Monaten ist die Moderne in diesen verlassenen Winkel der Türkei eingezogen. Im Rekordtempo hat Deutschlands drittgrößter Energieversorger EnBW zusammen mit einem türkischen Partner hier eine Windfarm errichtet. 22 Siemens-Anlagen produzieren nun genügend Strom, um 43 000 Haushalte zu versorgen. Gerade mal zwei Jahre dauerte es von der Investitionsentscheidung bis zur Fertigstellung. Viel schneller als in Deutschland, wo es schon mal doppelt so lange geht.

„Beim Projekt, erneuerbare Energien voranzutreiben, kommen wir hier ziemlich schnell voran“, sagt Frank Mastiaux, Chef der Karlsruher EnBW. Bei dem Konzern, der sich nach dem beschlossenen Ausstieg aus der Kernkraft nach neuen Geschäftsfeldern umschauen muss, steht das Thema erneuerbare Energien derzeit hoch im Kurs. Dabei blickt man über die deutschen Landesgrenzen hinaus. „Wir setzen bei erneuerbaren Energien auf zwei Standbeine“, sagt Konzern-Chef Mastiaux – ein deutsches und ein türkisches.“ Und fügt hinzu: „Ohne Wenn und Aber.“

Die Türkei ist für EnBW Zukunftsmarkt

Für die EnBW, die wie alle deutschen Großversorger in Deutschland mit immensen Problemen kämpft, ist die Türkei Zukunftsmarkt und Rettungsanker gleichermaßen. Während der Hunger der Deutschen nach Energie aufgrund immer effizienterer Geräte sinkt, steigt er bei den Türken stark an. Zwischen 1990 und 2010 ist der Stromverbrauch des Landes pro Jahr um fast sieben Prozent angestiegen. Bis zum Jahr 2020 wird sich dieser Trend nach Schätzungen verstärken. Schon heute sei die Türkei „einer der am schnellsten wachsenden Strommärkte weltweit“, heißt es in einer aktuellen Analyse der deutschen Wirtschaftsförderungsgesellschaft Germany Trade and Invest (GTAI).

Das Problem ist, dass der Bau neuer Kraftwerke und Netze lange mit der boomenden Wirtschaft nicht Schritt halten konnte. Bei nahezu gleicher Einwohnerzahl verfügt das Land am Bosporus nur über ein Drittel der Kraftwerkskapazitäten wie Deutschland. Als Folge ist die Energie-Infrastruktur unterdimensioniert. Hätte die weltweite Wirtschaftskrise der Jahre 2009 und 2010 dem stürmischen Wachstum des Landes nicht einen Dämpfer verpasst, wäre in der Türkei schon damals Energie knapp geworden, heißt es von Branchenkennern.

Die zwischenzeitliche konjunkturelle Abkühlung hat das zunächst verhindert und dem Land im Wettlauf um genügend Strom eine kurze Verschnaufpause beschert. Dass neue Anlagen schnell ans Netz müssen, ist in der Türkei aber allen Fachleuten klar – und erklärtes Ziel der vor wenigen Tagen eingesetzten Regierung um Ministerpräsident Ahmet Davutoglu.

Balabanli-Windpark von Istanbul aus symbolisch eröffnet

Energieminister Taner Yildiz soll dieses Ziel nun umsetzen. „Wir müssen im Energiemarkt mehr investieren“, sagt Yildiz. „Besonders in die erneuerbaren Energien.“ Gerade hat er zusammen mit mehreren Konzernbossen und Politikern den neuen Balabanli-Windpark von Istanbul aus symbolisch eröffnet – und den Startschuss zu fünf weiteren EnBW-Projekten gegeben. Zusammengenommen stellen sie das größte Vertragsbündel dar, das in der Türkei im Windbereich jemals vergeben wurde.

Für den Minister ist das neue Großprojekt aber nur eine Etappe. Mehr Strom muss her – und der soll vor allem mit Hilfe privater Investoren erzeugt werden. Neben dem baden-württembergischen Konzern sind daher auch andere Unternehmen am Bospurus aktiv. Die deutsche Steag und arabische Investoren ziehen im Landesinneren Kohlekraftwerke hoch, die Essener RWE und Deutschlands fünftgrößter Versorger EWE sind beim Thema Gas engagiert. Deutschlands Branchenprimus Eon ist auf breiter Front aktiv. Und Russland hat den Zuschlag für den Bau des ersten türkischen Kernreaktors erhalten, der 2021 ans Netz gehen soll. Ein zweiter wird derzeit von japanischen Firmen geplant.

Die Windräder, die man bei der Fahrt durch das Land immer öfter sieht, stehen allerdings für einen besonders wichtigen Teil der Energie-Offensive. Bis 2023 sollen Öko-Energien ein Drittel der türkischen Nachfrage decken. Ein gewaltiger Schritt, denn derzeit liefern Solar-, Wind- und Wasserkraft gerade mal 15 Prozent der Energie.

Türkei importiert zu viel Energie

Hinter der türkischen Ökostrom-Offensive stecken aber weniger umweltpolitische Erwägungen als vielmehr handfeste wirtschaftliche Nöte. Um die Versorgung aufrechtzuerhalten, müssen derzeit 70 Prozent der nötigen Energierohstoffe importiert werden. Besonders die Abhängigkeit von russischem Gas ist enorm – und das muss teuer bezahlt werden. Alljährlich fressen die Rohstoffkosten ein riesiges Loch in die Leistungsbilanz des Landes. Bildlich ausgedrückt, muss die Türkei dauerhaft beim Ausland anschreiben. Und die oft kurzfristig vergebenen Kredite machen die Nation verwundbar gegenüber Verwerfungen auf den internationalen Finanzmärkten. Eine heikle Konstellation, die die türkische Lira in regelmäßigen Abständen unter Druck bringt und der Wirtschaft massiv schadet.

Erneuerbare Energien könnten dieses Problem lösen. Anders als Kohle, Gas oder Erdöl aus dem Ausland sind Sonne und Wind heimische Ressourcen und zudem gratis. Und sie sind im Überfluss vorhanden. Die 7000 Kilometer lange Ägäis-Küste der Türkei gilt als Eldorado für Windfarmer, das „bei deutschen Ingenieuren für Appetit“ sorge, wie es EnBW-Chef Mastiaux ausdrückt.

Auch beim EnBW-Chef selbst ist das der Fall. Bis 2020 will sein Unternehmen rund 1,5 Milliarden Euro in den Ausbau des türkischen Geschäfts mit erneuerbaren Energien stecken. Vor allem Windräder sollen in großer Zahl errichtet werden. Zum Vergleich: 14 Milliarden investiert man im gleichen Zeitraum insgesamt.

Wer oben im Windpark von Balabanli steht, weiß auch, warum. Der Wind pfeift hier hart und beständig. Durchschnittlich 3000 Stunden im Jahr kreiseln die 130 Meter hohen Giganten und damit rund 1000 Stunden länger als ihre Vettern im windärmeren Deutschland. Ähnliches gilt für Solarkraftwerke, deren Ausbeute aufgrund der höheren Sonneneinstrahlung viel höher ist. „Die Bedingungen sind hier einfach sehr gut“, sagt EnBW-Chef Mastiaux.

Daher prüft der Konzern nun auch, Solarparks in der Türkei zu errichten, ohne allerdings schon konkrete Pläne zu haben. Auch diese Energieform will die türkische Regierung stark ausbauen. Schon träumt das Land von einem gigantischen 3000-Megawatt-Solarprojekt in Zentralanatolien. Ob die Pläne aber umgesetzt werden, ist unsicher. Klar ist nur so viel: In der Türkei setzen die Badener voll auf Öko. Dafür hat man auch die Rückendeckung des Landes Baden-Württemberg, immerhin einer der Hauptaktionäre des Konzerns. Die Pläne seien „ambitioniert, aber realistisch“, sagt der baden-württembergische Wirtschafts- und Finanzminister, Nils Schmid, bei der Grundsteinlegung der Projekte in Istanbul. Die bisherigen Erfolge zeigten, dass das Engagement Früchte trage.