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Der Verband Region Stuttgart stellt 96 Gebiete mit Vorfahrt für Windkraft in allen Landkreisen vor – Auftakt im Kreis Böblingen.

Rutesheim - Thomas Kiwitt hat es schon geahnt. Als Regionalplaner setzt er Beschlüsse von EU, Bundestag, Landtag und der Regionalversammlung um, von Leuten also, die von der Bevölkerung gewählt wurden. Trotzdem fragt ihn eine Frau aus Weil der Stadt (Kreis Böblingen), die sich bald von Windrädern „umzingelt“ wähnt, ob er nicht etwas „für die wunderschöne Landschaft, die verschandelt wird“, tun könne. Kiwitt will sich „gar nicht drum drücken“ und auf Abgeordnete von Stuttgart bis Brüssel verweisen. Der Beamte spricht von Fukushima, vom Atomausstieg und davon, dass „wir hier in diesem industriestarken Raum viel Energie verbrauchen, deren Produktion wir nicht allein der Nordsee überlassen können“.


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Die Dame ist zwar die Einzige, die das regionale Windkraftkonzept grundsätzlich infrage stellt. Bei anderen Wortmeldungen geht es aber vorzugsweise darum, Details zu hinterfragen. Und überall scheint Skepsis durch: Muss die Windkraft ausgerechnet in meiner Umgebung genutzt werden? Hansjörg Jung aus Herrenberg etwa hält die vom Land vorgeschlagenen Mindestwindstärken für nicht wirtschaftlich und verweist auf die Region Freiburg, die den Windatlas beiseite lässt. Außerdem vermisst er Angaben, wie weit der Rotor Eis ins Land schleudern könnte. Eine Dame befürchtet zu viele Windräder an den einzelnen Standorten, ein Herr zu viele insgesamt.

Kiwitt wiegelt ab: Freiburg nutze den Windatlas nur deshalb nicht, weil es über ein eigenes „teures“ System zur Berechnung des Windangebots verfüge; generell seien die Landeswerte nur Anhaltspunkte, wo sich Windkraft lohnen könnte. Wenn jemand an einem Standort in Windkraft investieren wolle und er sich mit dem Grundstückseigentümer einig sei, müsse er ohnehin erst über längere Zeit den Wind messen, sagt Kiwitt: „Wenn nicht genug da ist, gibt es keine staatliche Förderung und auch keinen Kredit von der Bank“, so der Regionalplaner. Und in der Folge kein Windrad. Während das Land mindestens 5,3 Meter pro Sekunde in hundert Meter Höhe für auskömmlich hält, gehen Unternehmen wie die Bremer WPD, die in Bietigheim-Bissingen eine Niederlassung hat, von 5,7 bis 5,8 Metern aus. Ein Wert, der im Kreis Böblingen nirgendwo erreicht wird. Kiwitt verweist darauf, dass sich die Wirtschaftlichkeit über Nacht ändern könnte – etwa, wenn der Bundestag die Einspeisevergütung erhöhe.

Der Planungschef erklärt vor rund 80 Zuhörern am Montagabend im Schulzentrum von Rutesheim, dass die Region mit ihrem Konzept die Nutzung der Windkraft steuern wolle. Jeder Platz muss mindestens 700 Meter vom nächsten Wohnhaus weg sein, mindestens 200 Meter von einem Naturschutzgebiet, außerdem in Distanz zu Landmarken wie Burgen stehen. An jedem geeigneten Platz im Ballungsraum sollen mehrere Windräder hin, dafür müssten die Standorte mindestens drei Kilometer auseinanderliegen: „Damit wir hier keine kilometerlangen Galerien bekommen.“ Man müsse aber von Türmen mit einer Nabenhöhe von mindestens 140 Metern ausgehen – wie dem im Frühjahr in Ingersheim (Kreis Ludwigsburg) in Betrieb genommenen. Der Kreis Böblingen liege allerdings im Windschatten des Schwarzwalds. An den wenigen Stellen mit ordentlichem Wind hätten nur wenige Anlagen Platz, sagt der Mann von der Region mit Blick auf die konfliktträchtigeren Kreise Rems-Murr und Göppingen.

Der Regionalplaner betont, dass das Konzept, auch wenn es Ende dieses, Anfang nächsten Jahres beschlossen wird, niemanden verpflichte, den Standort zu bebauen. Außerdem gehe jedem Bauantrag ein Genehmigungsverfahren voraus, in dem die Kommunen und Landkreise alle Rechte und Pflichten berücksichtigen müssten. Erst dann werde es darum gehen, wie lange der Schatten ist, den ein bestimmter Anlagentyp wirft und wo Eis eventuell landen könnte.

Einwände gegen das Konzept sollen Bürger bis 30. November an den Verband Region Stuttgart schicken: per Post unter dem Stichwort Anhörung Windenergie an Kronenstraße 25, 70174 Stuttgart; per Fax an 07 11 / 2 27 59 70; per E-Mail an windenergie@region-stuttgart.org. Ein Formular findet sich zudem im Internet.