Angelique Kerber braucht sich trotz der Niederlage nicht zu verstecken – ihre Leistungskurve zeigt nach oben. Foto: AFP

Angelique Kerber ist trotz ihrer besten Saisonleistung in Wimbledon ausgeschieden und die Führung in der Weltrangliste los. Das könnte aber auch eine befreiende Wirkung haben.

London - Weil die drückende Hitze über London inzwischen zum festen Bestandteil der 131. All England Championships avanciert ist, haben sich die Organisatoren für ihre Ballmädchen und -jungen etwas Spezielles einfallen lassen. Schließlich zeigt der Engländer beim Sonnenbaden generell nicht die allergrößten Nehmerqualitäten, was in Wimbledon ein Grund für die sogenannten Sun Flap Caps ist. Das sind Mützen mit zusätzlichem Sonnenschutz für die Wangen und den Nacken, die zwar ein wenig an einen Tropenhelm erinnern, einem der Balljungen im Achtelfinalmatch zwischen Angelique Kerber und Garbiñe Muguruza aber auch nicht weiter halfen.

Kerber wirkt fit, aber mental zunehmend gehemmt

Völlig dehydriert erreichte der junge Mann im letzten Moment einen rettenden Stuhl – und wurde wenig später ersetzt. Das war zu einem Zeitpunkt, als Angelique Kerber bereits mehr als eine Stunde den Court Nummer zwei mit ihren flinken Beinen bearbeitete. Von Müdigkeit oder Erschöpfung war bei der Deutschen nichts zu erkennen. Und das blieb auch bis zum Schluss so. Weil aber kämpfen allein in der Weltspitze nicht ausreicht, ist nach 2:20 Stunden Spielzeit in einem engen Match nach dem Balljungen letztlich auch die 29-Jährige in die Knie gegangen. Mit 6:4, 4:6, 4:6 verlor die mental zunehmend gehemmt wirkende Kerber gegen Muguruza auch ihr fünftes Duell in Serie. Die Finalistin des Vorjahres, die sich zwar gesteigert hatte, ihrer Rolle als vermeintliche Königin des weißen Sports aber wieder nicht gerecht werden konnte, ist damit nun auch ihre Spitzenposition in der Weltrangliste los.

„Ich verlasse Wimbledon trotzdem mit einem guten Gefühl“

„Heute haben zwei, drei Punkte den Unterschied ausgemacht. Ich verlasse Wimbledon trotzdem mit einem guten Gefühl, weil ich weiß, dass ich wieder gute Matches spielen kann“, sagte Kerber, die es vielleicht als Erlösung empfindet, wenn am Montag nach dem Ende der Championships die neue Weltrangliste herauskommt. Dann wird nicht die Deutsche, die in diesem Jahr noch kein Match gegen eine Spielerin aus den Top 20 gewinnen konnte, sondern Simona Halep oder Karolina Pliskova als Nummer eins notiert sein. Denn der Vorsprung, mit dem Kerber durch ihre Grand-Slam-Siege von Melbourne und New York in ihrem fantastischen Tennisjahr 2016 ins Rennen ging, der ist aufgebraucht. Und das, obwohl mit der schwangeren Serena Williams die stärkste Konkurrentin gar nicht mehr mitspielt.

„Ich bin enttäuscht, weil es mein bestes Match seit Langem war“, sagte Kerber, die mit leicht wässerigen Augen zur Pressekonferenz erschien und sich gegen Muguruza („Es war ein enges Duell, in dem jede von uns beiden hätte gewinnen können“) in der Tat damit trösten konnte, eine ansehnliche Partie abgeliefert zu haben. Nach einem starken Auftritt im ersten Satz geriet die Deutsche allerdings völlig ohne Not aus der Erfolgsspur – in einem Match, in dem ihre tapfer dagegen haltende Gegnerin 50 eigene Fehler produzierte. Kerber gelangen im dritten Satz zwar zwei Breaks zum 3:1 und 4:2. Doch ohne Selbstvertrauen fehlt eben auch der Killerinstinkt.

Kerber will den Neustart-Knopf drücken

Und so gilt es für die Kielerin, die neben dem Kampfgeist durch ihre Fitness überzeugte, den Neustart-Knopf zu drücken. Längst ist es kein Geheimnis, dass ihr Hauptproblem im psychologischen Bereich liegt. Den Druck, den sich die Linkshänderin selbst auferlegt, dem ist sie seit Langem nicht gewachsen. „Es war definitiv eine neue Erfahrung für mich, hier als Nummer eins zu spielen“, sagte Kerber.

In Wimbledon, wo man in Sachen Gleichberechtigung der Tennisgeschlechter antiquiert daher kommt, hatte man die Deutsche am „Manic Monday“, dem verrückten Montag mit sämtlichen Achtelfinalmatches bei Frauen und Männern, auf den Nebenplatz Nummer zwei verbannt. Dies lag zum einen daran, dass man lieber die Männer auf den beiden großen Show-Courts präsentiert, was bei vielen Spielerinnen Unmut auslöste und auch Kerber „sehr überrascht“ hat. Obendrein aber zählt die Deutsche längst nicht mehr zur Riege der Topfavoritinnen. Diese Tatsache verbunden mit dem Verlust der Nummer eins könnte aber, so komisch es sich anhört, für Kerber eine befreiende Wirkung haben.