Szene aus William Forsythes „Catalogue (First Edition)“, interpretiert von Jill Johnson als Gast von Dance On und Christopher Roman Foto: Dorothea Tuch

Tanzen hält jung. Man darf nur nicht damit aufhören. Das beweisen die sechs Protagonisten des Ensembles Dance on bei einem Gastspiel in Ludwigshafen. Die 40-Plusser sind auf der Bühne so attraktiv, dass auch namhafte Choreografen gerne mit ihnen zusammenarbeiten. Wie William Forsythe, der sich nun mit einem Duett für Dance On aus einer kreativen Pause zurückmeldet.

Ludwigshafen - Angesichts einer alternden Gesellschaft sind viele Reaktionen möglich. Man kann beim Blick in Rentenkassen in Panik ausbrechen. Man kann den körperlichen Verfall, den die Jahre mit sich bringen, als bedrohend empfinden und wegretuschieren. Oder man kann sich positiv überraschen lassen von den Potenzialen, die dieser Lebensabschnitt birgt.

Vom Tanz kommen seit der Gründung der ersten Seniorenkompanie, mit der das Nederlands Dans Theater 1991 punktete, wichtige Impulse in der Diskussion um einen anderen Umgang mit dem Alter. Als Katalysator funktioniert der Tanz in solchen Projekten, wie sie zum Beispiel Egon Madsen in Stuttgart mit seinem „Greyhounds“-Abend initiierte, in besonderem Maße: Schließlich bringt er seine Interpreten schon um die vierzig an eine kritische Grenze, weil viele Choreografen in ihren Stücken Ansprüche an eine geradezu akrobatische Virtuosität haben, die nur junge Tänzer einlösen können.

Auch William Forsythe ist für die Stücke, die er für klassische Kompanien schuf, als anspruchsvoll bekannt. Ein Titel wie „The Vertiginous Thrill of Exactitude“ spricht Bände. In Stuttgart, wo der Rebell des neoklassischen Balletts von 1976 bis zu seinem Weggang nach Frankfurt Haus-Choreograf war, sind zuletzt mit „The Second Detail“ und „workwithinwork“ Stücke von ihm ins Repertoire gekommen, die klassisches Bewegungsmaterial klug analysieren, dies aber nur können, weil sie im Anspruch an Präzision und Körperbeherrschung keine Kompromisse machen.

Forsythes Duett ist das vierte Werk im Dance-On-Repertoire

Gespannt durfte man deshalb sein, was William Forsythe bei der Begegnung mit dem Ensemble von Dance On einfallen würde. Dance On ist eine in Berlin beheimatete Seniorenkompanie, die auf eine Initiative von Madeline Ritter, einst mit dem Tanzplan Deutschland beauftragt, zurückgeht. Im Januar hatten sich die sechs 40-Plusser mit ihrer ersten Produktion bei einem Festival in Den Haag vorgestellt. Am Wochenende waren sie im Theater im Pfalzbau in Ludwigshafen zu Gast und vergrößerten dort auf der Hinterbühne ihr Repertoire um ein viertes Werk - Forsythes Duett „Catalogue (First Edition)“.

Dass sich einer wie Forsythe für ein solches Projekt gewinnen ließ, hat mehrere Gründe. Der wichtigste: Mit Christopher Roman hat Dance On einen künstlerischen Leiter und zugleich Tänzer, der viele Jahre lang eng mit dem Choreografen zusammenarbeitete und als sein Assistent Uraufführungen und Einstudierung auf vielen Bühnen betreute. Mit Jone San Martin und Amancio Gonzalez sind zwei weitere Forsythe-Tänzer bei Dance On dabei. Und dann sah sich Forsythe vor drei Jahren selbst an einem Wendepunkt angelangt: Ein Buron-out-Syndrom bewog ihn, zur Notbremse zu greifen und die Leitung der Forsythe Company abzugeben.

„Catalogue (First Edition)“ ist nach der Ausstellung „The Matter of Fact“ im Frankfurter Museum für Moderne Kunst ein weiterer Logbucheintrag von Forsythes Reise zurück auf die Bühne. Und das neue Stück ist vor allem eine Konzentration aufs Wesentliche und deshalb leicht zugänglich, während es die experimentellen Performances von Forsythes eigener Kompanie dem Zuschauer mit Anspielungen, viel Text- und Bildmaterial schwer machten.

Eine Bilanz, wie sie Forsythe 1995 in seinem „Solo“ zog

Um sich neu zu finden, geht Forsythes Blick zurück ins Jahr 1995 und auf sein „Solo“. Nicht nur die grauen Socken, die die Tänzer tragen (am Samstag sind es Brit Rotemund und Christopher Roman), erinnern an diese Bilanz der eigenen Bewegungsfindungen. Musik braucht es zwei Jahrzehnte später keine mehr. Auch was die Kostüme betrifft, beide treten in bequemen Trainingskleidern an, gibt das Wesentliche den Ton an.

Das Rauschen, das vor Beginn von „Catalogue (First Edition)“ den Raum füllt, verstirbt, als die beiden Tänzer, frontal dem Publikum zugewandt, ihre Hände heben und sich berühren. Von da an hat der Tanz allein das Sagen und man darf das Stück getrost als Katalog der Bewegungen verstehen, die Forsythes Schaffen ansammelte. Erst sind es nur Hände und Arme, die vor den Körpern agieren, die Pausen setzen, als ob sie Fragen stellten und auf Antworten des Gegenübers warteten.

Doch schnell sind die Oberkörper, die Beine im Spiel, nimmt der Tanz an Fahrt auf, ohne den Ort zu wechseln. In Wellen, wie man es von Forsythe gewohnt ist, läuft der Tanz durch die beiden Körper, dreht, verbiegt sie. Weil das nie virtuos, sondern analytisch und aus dem Dialog heraus gedacht ist, ist das Tun der beiden Tänzer von einer solchen Konzentration, dass man als Zuschauer Bewegung fast nachempfindet. Zu spüren ist dann, wie Forsythe Denken und Erkenntnis zum Vorgang macht, der mit Neugierde zu tun hat – sowie mit innerer und äußerer Mobilität.

Sind die Alten die eigentlich jungen?

So kann es aussehen, wenn zum Tanzen der ganze Mensch dazukommt. Um emotionale Tiefe, geistige Beweglichkeit geht es auch im zweiten Teil des Abends, wenn sich in „7 Dialogues“ das Dance-On-Ensemble in kurzen, mit verschiedenen Choreografen erarbeiteten Stücken vorstellt, sehr schräg und eigenwillig begleitet von Matteo Fargion am Flügel.

Sind die Alten die eigentlich jungen? Es scheint so, wenn Jone San Martin Zettelchen mit Fragen aus der engen Hose kramt („Welche Warnung hast du schon ignoriert?“) und zu Grenzüberschreitungen ermuntert. Wenn Amancio Gonzalez im dunklen Ganzkörperanzug das Leben zum gestenreichen Mini-Drama formt und polyglott andeutet, das Verständnis eine schwierige Sache ist - bevor er aufgibt und uns einfach „Ein schönes Leben noch!“ wünscht. Wenn Ami Shulman in fließendem Tanz andeutet, dass Einzigartigkeit auch mit Reife zu tun hat. Wenn Christohper Roman als blondierter Exzentriker den eigenen Tod zur Witznummer macht. Wenn Brit Rotemund jungen Tanz als etwas entlarvt, das wie in einem interaktiven Spiel aus dem Boden herauskommt und den Körper, nicht aber den Kopf bewegt. Wenn Ty Boomershine den weisen Mann gibt, der Gesten wie Orakelsprüche in die Waagschale wirft.

So ist es, dank toller Darsteller, überraschend unterhaltsam, wenn Herz und Hirn in Bewegung sind – und nicht nur Muskeln.