Willi Baumeister im Atelier. Foto: Stiftung

Am 31. August 1955 stirbt der Maler Willi Baumeister während der Arbeit in seinem Atelier in Stuttgart. Die Nachricht erschüttert die europäische Kunstwelt. Was bleibt von Baumeisters Werk? Das ist nun, am Tag des 125. Geburtstags, neu zu fragen.

Am 31. August 1955 stirbt der Maler Willi Baumeister während der Arbeit in seinem Atelier in Stuttgart. Die Nachricht erschüttert die europäische Kunstwelt. Was bleibt von Baumeisters Werk? Das ist nun, am Tag des 125. Geburtstags, neu zu fragen.

Stuttgart - Erstarrt im Gerüst des gebauten Bildes – das war Baumeister gestern, der Baumeister der Wiedererkennbarkeit, der Baumeister, dessen Flagge auf dem Kunstmarkt gehisst bleiben musste. Und nun? Erlebt man die Werke des 1955 gestorbenen Stuttgarter Malers in höchster Bewegung. „Baumeister International“, die aktuelle Sonderschau im Kunstmuseum Stuttgart, gilt zuvorderst dem früh aufgebauten internationalen Beziehungsgeflecht des Malers. Sie markiert aber auch einen anderen Blick auf das Werk, zeigt Baumeisters Welt als eine erst noch und immer wieder neu zu entdeckende.

Damit erinnert dieses Panorama an die Intensität von zwei Ausstellungen, die 2009 und 2012 von der Galerie Schlichtenmaier gezeigt werden konnten. Vor allem die Präsentation von 2009 fegte geradezu durch die Ruhe in der Baumeister-Rezeption.

Deutlich wird seinerzeit: Bei Baumeister tanzen die Linien, stürzen negative Formen in Totalfigurationen, wie sie für die französische Kunst der späten 1940er und frühen 1950er Jahre und die deutsche Kunst der späten 1950er Jahre so wichtig waren. Willi Baumeister, der Landschaft und Figur bei aller Abstraktion doch immer als Bezugsgrößen sichtbar ließ, streift in Bildern um 1950 förmlich über Papier und Leinwand.

In dieser Dichte hatte man bis dahin Werke wie „Orbis pictus“ (1949), „In der Schlucht“ (1951) oder „Figur in Bewegung“ (1952) lange nicht gesehen. Umso wichtiger aber war seinerzeit der Dialog mit herausragenden Werken der 1930er Jahre, der deutlich machte, wie konsequent Baumeister die Entformelung der Bildwelt vorantreibt.

Ist das aber, so muss man immer noch fragen, nicht ein Widerspruch, da Willi Baumeister doch wie kein anderer deutscher Künstler der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Bildformeln definierte? Figur und Landschaft wurden zerlegt, begegneten sich als scheinbar unabhängige Elemente, lernten gar das Schweben – und bildeten doch stets ein lesbares Baumeister-Vokabular. Härter als jenes der französischen Freunde, eleganter als das der Ende der 1940er Jahre neu antretenden jungen deutschen Künstler. Der Widerspruch ist so als ein produktiver zu verstehen – die bewusst gesuchte Reibung am französischen Informel ist nötig, um zuletzt zur Souveränität der „Montaru“-Bilder zu gelangen.

Baumeister treibt das präzis Leichte des Informel bis zu jenem Punkt voran, an dem er sich gänzlich dem Eigenleben der Farbspuren ergeben müsste. Eben dies aber war nie Baumeisters Absicht, und so summiert er die erreichten bildnerischen Qualitäten und nutzt sie für einen durch den viel zu frühen Tod im August 1955 gestoppten triumphalen Neuansatz.

Alle Realität wird Material, alle Bildfindung Experiment

Können die Liniengeflechte wie etwa in einem Werk wie „Figur in Bewegung“ auch als Präzisierung der Lackbild-Experimente in den 1940er Jahren gelten, so sind sie doch auch eine Möglichkeit, die Zerlegung von Figur und Landschaft in ganz anderer Weise zu erproben, als es Baumeister in den „Maschinenbildern“ der 1920er Jahre unternahm. Die jetzt im Kunstmuseum Stuttgart präsentierte Schau „Baumeister International“ setzt zuvorderst auf Baumeister als Kronzeugen grenzüberschreitender Kontakte. Im weiter ausgreifend gedachten Sinn markiert „Baumeister International“ zugleich einen bildnerischen Austausch. Mag man etwa in „Maschine auf Dunkelrot-Olive“ (1924) den Dialog mit Magritte bemerken, in „Horizontal-abstrakt“ (1937) jenen von Baumeister selbst benannten Dialog mit Malewitsch, so gewinnt das Schaffen Ende der 1940er Jahre eine explosive Dynamik, die in unseren Tagen zu Recht eine jüngere Sammlergeneration begeistert (und in Zeichnungen und Siebdrucken auch erreichbar ist) und die Voraussetzung ist für die Souveränität der „Montaru“-Triumphe und die fast konzeptuelle Konzentration der „Han“-Bilder.

Von 1928 bis 1933 schon Professor an der Frankfurter Kunstgewerbeschule, wird Willi Baumeister 1946 an die Stuttgarter Akademie berufen. Stuttgart sucht damit den Anschluss an die eigene Aufbruchszeit, an das abstrakte Erbe Adolf Hölzels. Am 16. März 1946 schreibt der am 31. März 1933 von den Schergen Hitler-Deutschlands aus seinem Frankfurter Lehramt entlassene Baumeister an einen Freund: „In 14 Tagen werden es 13 Jahre, seit ich brüsk verabschiedet wurde. Ich konnte der Meinung sein, nie mehr an die Oberfläche zu kommen. Nun wirkt alles günstig, besonders auch die gelungenen Bilder, die in den finsteren Jahren entstanden. Was wird das Amt bringen? Klasse für ‚Dekorative Malerei‘. Diese Bezeichnung gefällt mir nicht.“

Eine Zeichnung, die im für 2014 erarbeiteten Baumeister-Kalender der Schwäbischen Bank (noch erhältlich in der Bank im Königsbau in Stuttgart) für den Juni gewählt worden ist, verdeutlicht den Vorbehalt des Künstlers: „Sonnenfiguren“ von 1946. Dunkle Ovale aus Kohle und Ölkreide werden geschaffen, um sich durch Durchreibungen sofort wieder zu verwandeln. Es ist ein Tanz, für dessen Produktion Baumeister Alltagsgegenstände nutzbar macht – auch das Badfenster einer 1943 in Urach bewohnten Kammer. Alle Realität wird Material, alle Bildfindung Experiment – das ist die Botschaft, die sich mit dem 125. Geburtstag Willi Baumeisters verbindet.