Eine Fotoaufnahme aus den Proben: Die Zufriedene (Viktoria Mikhnevich) vor den Milchglas-Scheiben Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Für acht Studenten der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart ist „Sieben Türen – Bagatellen“ die erste große Theaterproduktion. Ein Probenbesuch.

Stuttgart - Ein Nachmittag im Wilhelma Theater zu Bad Cannstatt: Acht Schauspielstudenten proben „Auf der langen Bank“, die letzte Szene in Botho Strauß’ Theaterstück „Sieben Türen – Bagatellen“. Bruder Johann (Mark Ortel, 20), die schwarze Kapuze seiner Kutte bis zum Haaransatz über den Kopf gezogen, tritt aus einer der Türen. Er starrt wie besessen auf ein Foto, das er in seinen Händen hält. „Hier siehst du: Es ging steil hinab. Dort unten gurgeln die Trägen und die Analphabeten im Schlamm. Drumherum standen die Pferde mit den erloschenen Mond-Bläh-Augen.“

Er ruft das dem Kaiser Julian (Ognjen Koldzic) zu, der im Türrahmen neben ihm steht. Bruder Johann reicht das Foto weiter. „Mich kann man noch ärgern mit solchen Bildern“, entgegnet ihm der Kaiser. Kurze Pause. „Mich kann man damit noch in Wut versetzen. Ich bin einer der Letzten, der mit solchen Abbildungen auf Kriegsfuß steht.“

Das Stück besteht aus 13 grotesk-tragischen Szenen

Der Dialog ist Teil der letzten der insgesamt 13 grotesk-tragischen Szenen in „Sieben Türen – Bagatellen“ von Botho Strauß.

Regisseur Niklaus Helbling springt aus seinem Theatersessel, reißt die Arme nach oben – und unterbricht die Probe. „Sehr gut, Mark! Ist das geil!“, jauchzt er, im Graben stehend. Dann beugt sich der Mann mit der dunklen Hornbrille leicht nach vorne, stützt die Arme auf den Bühnenboden – und widmet sich dem Kaiser: „Mir fehlt da noch insgesamt etwas der Höllenstress.“ Anschließend kümmert er sich um die anderen Figuren, die in der Schlussszene vor Bruder Johann und Kaiser Julian dran waren.

Manchmal geht es nur um die Betonung eines einzigen Wortes

Dem Mädchen (Mattea Cavic, 23) zum Beispiel gibt er eine Anregung, als es um die Betonung des Wörtchens „eben“ geht. Bevor die Szene wiederholt wird, richtet sich Helbling noch an alle Schauspielstudierenden: „Habt ein bisschen Bock am Übertreiben!“

Er setzt sich. Das Licht geht aus. Die Schlussszene beginnt von neuem. Die wird an diesem Tag zig Mal geprobt. Zwischen den Durchgängen kritisiert Helbling die Studierenden immer wieder freundlich, aber bestimmt. Die Angesprochenen freuen sich darüber, sagen sie. Cavic: „Es ist jetzt eine wichtige Phase der Produktion. Wir müssen schauen, dass wir diesen Feinschliff hinbekommen.“

Vorbereitungen seit dem 10. August

Seit dem 10. August arbeitet die Gruppe, die an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart Schauspiel studiert, mit Helbling an dem Theaterstück. Die Produktion im Wilhelma Theater ist Teil der Ausbildung. „Es ist die erste große Theaterproduktion, die die Studierenden von Anfang bis Ende erleben“, sagt die Leiterin der Schauspielschule, Franziska Kötz.

Für den Theater-Nachwuchs ist es nicht nur eine neue, sondern vor allem lehrreiche Erfahrung. „Ich hatte nicht erwartet, dass es so anstrengend werden würde“, sagt Cavic. Durch die vielen Durchläufe sei es schwierig, sich alles frisch zu halten. „Man muss sich die Szenen halt immer wieder neu aufregend machen“, fügt Mark Ortel an.

Erfahrener Regisseur aus der Schweiz

Diesmal hat die Schauspielschuldirektorin in Helbling einen Regisseur verpflichtet, der bereits an großen Häusern in Wien und Zürich inszeniert hat. „Ein Regisseur fordert und fördert die Studierenden anders, als wir Dozenten es tun würden“, sagt Kötz, „denn wir kennen sie bereits.“ Und dem Schweizer macht es sichtlich Spaß, mit den jungen Menschen zu arbeiten: „Natürlich haben Studenten weniger Erfahrung, und manchmal kämpfen sie mit Phänomenen, die gestandene Schauspieler längst beherrschen“, sagt der 56-Jährige, „aber man muss niemanden überreden zu spielen.“

Der aktuelle Jahrgang sei außerdem eine „extrem tolle Gruppe“, die sich sehr gut selbst organisieren könne und über viel Energie verfüge. So habe es stets Fortschritte gegeben. Dass einer der ersten Komplettdurchläufe kurz vor dem Probenbesuch nicht rund gelaufen ist, sei nicht schlimm. Das gehöre nun mal zur Ausbildung. Dessen sind sich auch die Studenten bewusst: „Mittlerweile wissen wir, dass nicht immer alles ideal ablaufen kann“, sagt Ortel, „ein schlechter Tag ist immer mal drin.“

Bei der Aufführung helfen die negativen Probenerfahrungen sogar, meint Cavic: „Es ist alles Konzentrationssache. Mal positiv, mal negativ – wenn man alles mal durchlebt hat, kann man damit umgehen und im Ernstfall auch liefern.“ Dieser Ernstfall tritt erstmals an diesem Samstag ein.

Termine und Besetzung

Die Premiere von „Sieben Türen – Bagatellen“ unter der Regie von Niklaus Helbling im Wilhelma Theater ist an diesem Samstag um 20 Uhr.

Es spielen Mattea Cavic, Ognjen Koldzic, Simon Mazouri, Viktoria Mikhnevich, Mark Ortel, Franziska Maria Pößl, Vera Maria Schmidt und Philippe Thelen. Bühne und Kostüme: Anja Hertkorn.

Weitere Vorstellungen sind am 25. und 26. September, 8., 9., 10., 23. und 24. Oktober, 12. und 13. November sowie 3., 4. und 5. Dezember. Karten gibt es unter Telefon 07 11 / 95 48 84 95.