Ein Wildschwein auf Futtersuche im Schnee. Foto: dpa

Lässt sich Bestand an Wildschweinen im Land überhaupt regulieren? Viele Jäger bezweifeln das.

Stuttgart - Das vergangene Jagdjahr war ein Jahr der Superlative. Es dauerte – wie gewöhnlich – von April 2010 bis März 2011. Doch noch nie in Baden-Württemberg wurden so viele Wildschweine geschossen, um genau zu sein 51.931 Stück, 58 Prozent mehr als im Vorjahr. Auch Rehe (plus drei Prozent) und Füchse (plus vier Prozent) liefen den Jägern vermehrt vor die Flinte.

Mit Erfolgsmeldung dieser Art halten sich die Jäger in diesem Jahr aber zurück. Wenige Monate vor Ablauf des Jagdjahres 2011/2012 sagt Erhard Jauch, Hauptgeschäftsführer des Landesjagdverbands Baden-Württemberg: „Die Jagdstrecke bei den Wildschweinen wird nicht mehr so hoch sein.“

Grund sei unter anderem der milde Winter, der bisher keinen Schnee brachte. „Jeder Jäger freut sich über Schnee“, bekommt man zu hören, wenn man nach der Bedeutung des Schnees fragt. Auf weißem Untergrund sind die Spuren der Wildtiere nun mal besser zu sehen. Außerdem hätten die Wildschweine im vergangenen Herbst ausreichend Nahrung im Wald und auf den Wiesen gefunden, hauptsächlich Bucheckern und Eicheln. Die vollgefressenen Tiere wollten sich deshalb nicht mit Mais anlocken lassen, eine Taktik, die Jäger gerne anwenden.

Wildgewordene Wildschweine

Die Abschusszahlen im Südwesten gleichen einem Auf und Ab, vor allem wenn man die Wildschweine nimmt. Lässt sich ihr Bestand überhaupt kontrollieren? Genaue Zahlen, wie viele im Südwesten leben, gibt es gar nicht. Die Jäger sollten eine klare Antwort darauf haben, schließlich dürfen die Tiere nicht überhandnehmen, Wildschäden sind tunlichst zu vermeiden – so steht es im Bundesjagdgesetz.

Doch immer wieder gibt es Meldungen von wildgewordenen Wildschweinen. Ende Dezember wütete eine ganze Horde auf einem Fußballplatz bei Neuweiler im Kreis Calw. Auf der Suche nach Futter pflügten die Tiere das Feld zur Hälfte um. Dass die Spieler des örtlichen Fußballvereins in die nächsten Monaten woanders trainieren müssen, dürfte nicht gerade die Polizei beschäftigen.

Anders sieht es bei einem Verkehrsunfall auf der A 81 bei Mundelsheim aus, der sich ebenfalls Ende Dezember ereignete. Zwei Wildschweine rannten gegen Mitternacht auf die Autobahn und wurden von einem Lastwagenfahrer überrollt. Der blieb unverletzt. 20.000 Unfälle mit Wildtieren ereignen sich jedes Jahr im Südwesten, und nicht immer gehen sie für die Menschen so glimpflich aus wie auf der A 81.

Können die Jäger ihren gesetzlichen Pflichten also noch nachkommen? „Ja“, antwortet Jauch. Das Problem liege eher woanders. „Landwirtschaft und Jäger müssen zusammenarbeiten.“ In Baden-Baden, erzählt Jauch, hätten sich Jäger, Landwirte und Gemeindevertreter zu einem Runden Tisch getroffen. Sie wollen dort verhandeln, wie sich Wildschäden vermeiden lassen.

Forderung nach mehr Bewegungsjagden

Forderung nach mehr Bewegungsjagden

Stellt man Klaus Maylein dieselbe Frage, den Geschäftsführer des Ökologischen Jagdverbands im Land, erhält man eine komplett andere Antwort. „Nein“, sagt er nur, „wir haben die Bestände der Wildtiere nicht mehr im Griff.“ Vor allem die Zahl der Wildschweine sei kaum noch zu kontrollieren. Der Ökologische Jagdverband spielt mit seinen 325 Mitgliedern im Südwesten eine eher untergeordnete Rolle bei den Jägern – im Gegensatz zum Landesjagdverband, der etwa 29.000 Mitglieder hat.

Und doch propagiert der Ökologische Jagdverband eine nachhaltige Naturnutzung, Wildschäden sollten möglichst überhaupt nicht vorkommen. Die größte Gemeinsamkeit der beiden Verbände: Ihre Mitglieder sind alle Jäger. Das bedeutet, Maylein spricht aus Erfahrung, wenn er fordert: „Es muss mehr Bewegungsjagden geben.“

Dabei stöbern mehrere Jäger das Wild auf und treiben es – auch mit Hilfe von Hunden – vor sich her. Diese Art der Jagd sei wesentlich effizienter und führe öfter zum Erfolg als die sogenannte Ansitzjagd, wenn der Jäger auf seinen Hochsitz steigt und auf Wild wartet. „Man muss an das Wild ran“, sagt er. Viele seiner Kollegen würden nur noch auf ihre Hochsitze gehen und sich dann wundern, dass keine Rehe und Wildschweine vorbeikommen.

Scheu vor Wildschweinen

Das Problem mit den Wildschweinen sei ein besonders großes, sagt Maylein. Denn diese Tiere zeichnen sich durch einen ausgeprägten sozialen Zusammenhalt aus. Viele Jäger würden sich deshalb scheuen, die Tiere zu erlegen. Denn immer stelle sich die Frage: Was passiert mit den übrigen Tieren der Rotte, wenn ich eines erlege? Eine Wildschwein-Rotte besteht aus mehreren Muttertieren und ihren Kindern. „Bei Rehen gibt es kein solches soziales System, das auseinanderbrechen könnte“, sagt Maylein.

Im vergangenen Jagdjahr waren die Jäger von solchen Zweifeln aber kaum geplagt. Die Zahl der geschossenen Wildschweine lag auf Rekordniveau. Doch Nummer eins in der Statistik ist weiterhin das Rehwild mit 164.354 geschossenen Rehen, drei Prozent mehr als im Jahr zuvor. Außerdem liegen die Füchse weit vorne – mit 72.970 abgeschossenen Tieren und einem Plus von vier Prozent.

Auf den weiteren Plätzen folgen nach den Wildschweinen Wildenten (17.742), Dachse (10 161) und Feldhasen (9148). Auch die Neubürger im Tierreich sind weiter auf dem Vormarsch. Die Jäger erlegten 339 Waschbären, das sind 58 Prozent mehr. Der Waschbär ist ein nordamerikanischer Kleinbär, der aus Hessen eingewandert ist. Rückläufig entwickelte sich die Abschusszahl beim Nutria, auch Biberratte genannt, der ursprünglich aus Südamerika stammt und im Südwesten 1350-mal erlegt wurde.