Trotz Zuwanderung aus der Schweiz ist es dem Luchs bislang noch nicht geglückt, eine neue Population im Schwarzwald zu gründen Foto: imago/Nature Picture Library

Die Rückkehr der Luchse kommt in Deutschland deutlich langsamer voran als die der Wölfe. Forschende untersuchen, warum das so ist – und was dabei helfen könnte, die Luchs-Bestände zu vergrößern.

Freiburg - Ein paar Kilometer in der Nacht auf leisen Pfoten, dann ein heimliches Bad in der Oder: Und schon hat die Bundesrepublik einen eleganten Einwohner mit Pinselohren mehr im Land. Deutschland profitiert derzeit von einem groß angelegten EU-Projekt, das den Luchs in den Westen Polens zurückbringen soll. Erst kürzlich ist ein mit einem Sendehalsband ausgerüstetes Tier von dort nach Brandenburg ausgewandert, ein weiteres tappte Ende vergangenen Jahres in eine Fotofalle im Thüringer Schiefergebirge. Auch in anderen Regionen verzeichnen Wissenschaftler einige Zuwanderer mit geflecktem Fell. So tauchen in Baden-Württemberg immer wieder einzelne männliche Exemplare aus der Schweiz auf.

 

Kann der Luchs bei seiner Rückkehr nach Deutschland also eine ähnliche Erfolgsgeschichte schreiben, wie es der Wolf schon vorgemacht hat? Experten sind durchaus optimistisch, dass auch die großen Katzen hierzulande wieder eine Zukunft haben. Bis sie wieder in größeren Teilen des Landes Fuß gefasst haben, wird es allerdings deutlich länger dauern. Denn Wölfe haben sich einfach als die besseren Kolonisten erwiesen.

Bei Luchsen bewegen sich vor allem die Weibchen ungern weg von ihrem Zuhause

Die Wanderfreude, die sowohl Männchen als auch Weibchen bis zu 1000 Kilometer in die Ferne führen kann, war eine der großen Stärken der Wölfe bei der Wiederbesiedlung Deutschlands. Bei Luchsen dagegen bewegen sich vor allem die Weibchen ungern weit weg von ihrem Zuhause. „Dazu kommt noch, dass Wölfe Teamplayer sind, die andere Familienmitglieder bei der Jungenaufzucht unterstützen“, erklärt Marco Heurich von der Universität Freiburg.

Das führt dazu, dass diese Tiere mit vier bis sechs Welpen pro Wurf nicht nur viel Nachwuchs haben, sondern diesen oft auch erfolgreich durchbringen. Da können die alleinerziehenden Luchsweibchen bei Weitem nicht mithalten. Sie gebären normalerweise ohnehin nur zwei Junge pro Wurf, und von denen stirbt im Schnitt auch noch die Hälfte vor dem ersten Geburtstag. „Das alles führt dazu, dass sich Luchse mit der Wiederbesiedlung von Lebensräumen viel schwerer tun als Wölfe“, resümiert der Wildbiologe Heurich.

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Die drei Luchs-Populationen, die es bislang in Deutschland gibt, gehen daher alle auf Wiederansiedlungsprojekte zurück. Seit den 1980er Jahren streifen die Katzen wieder durch den Bayerischen Wald, zwischen 2000 und 2006 wurden insgesamt 24 Artgenossen im Harz freigelassen, und seit 2015 brachte ein weiteres Projekt 20 Luchse zurück in den Pfälzer Wald. In allen drei Regionen werden regelmäßig Jungtiere geboren.

125 bis 135 erwachsene Luchse waren zuletzt in Deutschland gezählt worden

Die jüngsten Daten, die das Bundesamt für Naturschutz Ende Februar veröffentlicht hat, verzeichnen in der Saison 2019/2020 für ganz Deutschland 125 bis 135 erwachsene Luchse, darunter 32 Weibchen mit Jungtieren. Das sind deutlich mehr als ein Jahr zuvor, als die Bestandsaufnahmen auf 84 bis 88 Tiere und 27 Mütter mit Nachwuchs kamen. Doch bisher ist es den gefleckten Katzen nicht gelungen, aus eigener Kraft neue Populationen zu gründen.

Das liegt wohl auch daran, dass der Mensch ihnen die Rückkehr schwer gemacht hat. Und das nicht nur, weil Verkehrswege und Siedlungen ihre Wanderwege blockieren. Obwohl Luchse deutlich beliebter sind als Wölfe, werden auch sie mitunter illegal getötet. Und da sie sich so langsam vermehren, können sie diese Verluste nur schwer kompensieren. „Im Bayerischen Wald gab es damit ein großes Problem“, weiß Experte Marco Heurich. Obwohl die Tiere dort regelmäßig Nachwuchs bekamen, dümpelte die Population im Grenzgebiet zwischen Bayern, Tschechien und Österreich in den 2000er Jahren bei 50 bis 80 Tieren vor sich hin.

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Den Ursachen dafür sind der Wildtierexperte und seine Kollegen mit einem Computermodell auf die Spur gekommen, in dem sie virtuelle Luchse durch die Region streifen lassen und den Einfluss verschiedener Faktoren auf die Populationsentwicklung simulieren können. Demnach müssen damals jedes Jahr zehn bis 15 Tiere illegal getötet worden sein, um den Bestand am Wachsen zu hindern. Inzwischen aber hat sich die Situation dank intensiver Öffentlichkeitsarbeit verbessert, die Population im Dreiländereck ist immerhin auf mehr als 130 Mitglieder gewachsen.

Wenn die Luchse hier eine Zukunft haben sollen, müssen die Bestände vernetzt werden

Derweil haben sich Artgenossen aus dem Harz bereits nach Nordhessen aufgemacht, einzelne Männchen schafften es sogar bis nach Bayern und Brandenburg. Doch wenn die Pinselohren in Deutschland eine Zukunft haben sollen, darf es nach Einschätzung von Fachleuten nicht bei ein paar kleinen und isolierten Populationen bleiben. Denn sonst könnte zu wenig genetische Vielfalt bei den Rückkehrern zu Gesundheitsproblemen führen.

„Wir müssen die Bestände in ganz Mitteleuropa deshalb besser vernetzen“, verdeutlicht Wildbiologe Marco Heurich. Die beste Möglichkeit dazu sieht er darin, die bestehenden Populationen so gut zu schützen, dass sie sich von selbst wieder ausbreiten. Es könne aber auch sinnvoll sein, den gefleckten Katzen durch weitere gezielte Wiederansiedlungen unter die Pfoten zu greifen.

So ist es den Modell-Luchsen im Computer trotz aller Zuwanderung aus der Schweiz nicht gelungen, einen neuen Bestand im Schwarzwald zu gründen. Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass es doch noch klappt, liegt den Berechnungen zufolge in den nächsten 50 Jahren bei höchstens 36 Prozent. Will man die Erfolgschancen auf 90 Prozent anheben, müsste man dort zusätzlich 12 bis 30 Tiere ansiedeln. „Solche Projekte werden allerdings nur möglich sein, wenn man die Interessen von Landwirten, Jägern und Naturschützern unter einen Hut bringt“, betont Marco Heurich. Doch nach den bisherigen Erfahrungen ist er optimistisch, dass das klappen kann.