Besonders die Säulentoiletten in der Innenstadt sind umstritten. Viele ältere Menschen benutzen die vollautomatischen WCs nur ungern Foto: Kraufmann

Ein 64 Jahre alter Rentner, der beim Urinieren im Schlossgarten erwischt worden ist, muss eine Geldbuße samt Gerichtskosten bezahlen. Das hat das Amtsgericht am Dienstag entschieden. Die Angabe des Mannes, er habe sich in einer Notlage befunden, griff nicht.

Stuttgart - Jegliche Farbe weicht aus dem Gesicht des Mannes im Gerichtssaal. „Das ist unfassbar“, sagt er betroffen, „ich bin am Boden zerstört, das ist ein Schlag ins Gesicht.“ Soeben hat ihn das Stuttgarter Amtsgericht dazu verurteilt, wegen „vorsätzlichen Urinierens in einer öffentlichen Anlage“ ein Bußgeld an die Stadt zu bezahlen. Der Rentner hatte gegen den Bußgeldbescheid Widerspruch eingelegt.

Seiner Meinung nach befand er sich in einer Notlage, als er sich im August nachmittags im Schlossgarten hinter ein Gebüsch flüchtete. Wegen der Einnahme bestimmter Medikamente leidet der Mann an einer Blasenschwäche. Er habe eine Weile auf seine Frau gewartet und dann dringend eine Toilette gebraucht, gibt er vor Gericht an. Vor dem angesteuerten öffentlichen WC an der Klettpassage habe sich bereits eine Menschentraube gebildet gehabt. Eine andere Toilette habe er nicht mehr erreichen können, deshalb habe er nur den Ausweg in den angrenzenden Schlossgarten gesehen.

Die Polizeimeisterin, die ihn gemeinsam mit ihrem Kollegen dabei ertappt hat, bestreitet, dass der Rentner „diskret“ hinter einem Busch gepinkelt habe: „Der Urinstrahl war aus dem Streifenwagen deutlich zu sehen.“ Weil sich zu dieser Zeit viele Menschen im Schlossgarten befunden hätten, sei nichts anderes übrig geblieben, als den 64-Jährigen anzusprechen. Er habe zwar seine Gesundheitsprobleme angeführt, hätte aber auch andere Möglichkeiten auf öffentlichen WCs gehabt, so die Polizistin. Er sei nicht einsichtig gewesen, als sie ihm das erklärt habe. Das Ordnungsamt verlangt schließlich eine Geldbuße von 35 Euro und bleibt auch nach einem ausführlichen schriftlichen Meinungsaustausch mit dem Betroffenen hart.

Die Richterin folgt dieser Ansicht. Der Mann habe trotz der Nebenwirkungen des Medikaments genug Vorlauf gehabt, eine öffentliche Toilette zu erreichen, begründet sie ihre Entscheidung. „Es ist nicht notwendig, in den Schlossgarten zu pinkeln. Das ist unappetitlich. Dafür habe ich kein Verständnis“, urteilt sie.

Den Einwand des Rentners, es werde mit zweierlei Maß gemessen, weil sich etwa beim Volksfest niemand um die zahlreichen Pinkel-Verstöße schere, lässt sie nicht gelten: „Das ist auch dort nicht in Ordnung. Deshalb bin ich dafür, dass die Polizei einschreitet, wenn sie so etwas sieht.“

Bemerkenswert ist allerdings die weitere Urteilsbegründung der Richterin: „Es gibt in der Stuttgarter Innenstadt anders als in den Außenbezirken zahlreiche und saubere Toiletten.“ Es fänden sich genügend Möglichkeiten im Hauptbahnhof, in Kaufhäusern, Restaurants und Cafés. So habe jeder, auch der 64-Jährige, jederzeit Gelegenheit, eine öffentliche Toilette zu benutzen. Von einem Mangel, wie immer wieder vor allem von älteren Menschen kritisiert wird, kann in den Augen des Gerichts keine Rede sein.

Die Richterin geht sogar noch einen Schritt weiter und wendet sich überraschend an die zahlreich erschienenen Journalisten im Saal: Sie könne nicht nachvollziehen, warum die Medien diesen Fall überhaupt aufgegriffen hätten. „Offenbar herrscht da schon Saure-Gurken-Zeit“, urteilt sie über die jüngste Berichterstattung zur Toilettenproblematik in Stuttgart.

Der Stadtseniorenrat freilich sieht das ganz anders: „Die Toiletten in der Stadt sind ein wichtiges Thema. Da muss sich vieles ändern“, sagt die Vorsitzende Renate Krausnick-Horst dazu. Und der Bezirksbeirat Mitte hat dem 64-Jährigen schriftlich mitgeteilt, man bemühe sich darum, „in der Innenstadt wieder mehr öffentliche Toiletten zu bekommen“.

Der Rentner wird nun Bußgeld und Gerichtskosten bezahlen. Das Angebot des Gerichts, seinen Widerspruch zurückzuziehen und sich damit wenigstens die Verhandlungskosten zu sparen, hat er zuvor ausgeschlagen, weil er ein Urteil will. Rund hundert Euro kostet ihn seine schwache Blase somit. Rechtsmittel, sagt der Mann, wolle er nicht einlegen: „Sonst wird alles nur noch teurer. Das kann ich mir nicht mehr leisten.“