Verschwörungsgläubige bei einer Demonstration in München. Foto: imago/ZUMA Wire

Eine mächtige Gruppe, ein geheimer Plan, listige Helfer und einen Schuldigen – was Verschwörungserzählungen kennzeichnet und warum sie so attraktiv sind.

Berlin - Jede Verschwörungserzählung ist von einigen klassischen Elementen gekennzeichnet, die immer vorhanden sind. Dazu gehöre stets der Glaube an eine geheime Gruppe oder eine mächtige Einzelperson, die versucht, ein illegitimes oder bösartiges Ziel zu erreichen, sagt der Politikwissenschaftler und Data Scientist Josef Holnburger. Zweites Element ist demnach immer, dass sich die Gruppe eines Machtapparats bedienen kann, zu dem auch die Medien oder die Wissenschaft gehören – also genau die Institutionen, die im Zweifelsfall eine wilde These überprüfen würden. Der Trick ist klar: Sind Medien und Wissenschaft unter Kontrolle der „Mächtigen“ oder der „Elite“, kann ihnen nicht mehr geglaubt werden, ihre Faktenchecks oder Beweise werden als Vertuschungsversuch gebrandmarkt. Damit schaffe man es, eine Verschwörungserzählung zu immunisieren, so Holnburger. Die Existenz vermeintlich weltweiter geheimer Pläne lieferten in der Sicht der Verschwörungsgläubigen eine schlüssige Erklärung dafür, warum Phänomene wie die Pandemie weltweit auftreten. „Ein Mantel wie das Weltwirtschaftsforum oder die UN fügt sich dann in eine weltumspannende Erzählung.“

 

Einen Schuldigen muss es geben

Kennzeichnend für einenVerschwörungsmythos ist auch, dass es immer eine Gruppe gibt, die als Schuldige markiert wird, sagt der baden-württembergische Antisemitismusbeauftragte Michael Blume. „Im Fokus stehen hier schon seit vielen hundert Jahren immer wieder Frauen und Juden als mögliche Sündenböcke.“ Antisemitismus existiert schon seit der Antike in etlichen Kulturen, ein Beispiel für mörderische Frauenfeindlichkeit ist der Hexenwahn. In Krisenzeiten steigt offensichtlich das Bedürfnis, nach Schuldigen zu suchen.

Immer dieselben alten Geschichten

Blume verweist auch darauf, dass man es bei Verschwörungserzählungen mit einem psychologischen Muster zu tun hat, das immer wiederkehrend ist. „Wenn man einmal verstanden hat, dass diese angeblich neuen Erkenntnisse und Thesen nichts anderes sind als das, was schon vor 20, 50 und 100 Jahren immer in neuen Versionen verkündet worden ist, dann hat das eine gewisse Wirkung.“

Ein Beispiel, an dem man dies verdeutlichen kann, ist die Erzählung des Verschwörungskults QAnon, der erst in den USA und dann in Deutschland viele Anhänger gefunden hat. Darin wird behauptet, teils jüdische Eliten würden Kinder in unterirdischen Verließen halten und ihnen Blut abzapfen, um ein Verjüngungsserum namens Adenochrom zu gewinnen. „Da ist sehr nah an der Erzählung aus dem 15. Jahrhundert, wonach Juden und Frauen den Hexensabbat begingen und aus getöteten Kindern Hexensalbe herstellten“, so Blume. Es sind also die immer wieder gleichen Mythen, die hochkommen.

Entlastung für den Einzelnen

Was aber macht solche Gedankengänge trotzdem für so viele Menschen attraktiv? Blume erklärt, wie entlastend solche Mythen für den Einzelnen wirken können, der sich von der gesellschaftlichen Entwicklung mit ihren vielen offenen Fragen überfordert fühlt: Wenn sowohl Klimaschutz als auch Impfungen oder die Gleichstellung Teil eines großen Plans seien, dann müsse sich der Einzelne seinen eigenen Ängsten nicht mehr stellen. Alles werde dann abgeschoben als auf die vermeintliche Verschwörung. „Ich muss nicht mehr überlegen, ob ich weiter Fleisch esse. Ich muss nicht mehr überlegen, ob sich im Verhältnis Mann und Frau was ändern muss. Ich muss nicht mehr überlegen, ob ich mich impfen lasse, weil das ist ja alles nur Verschwörung, was kann.“