In die Schulen kommt wieder Leben – über das „Wie“ wird heftig gestritten. Foto: dpa/Uwe Anspach

Die schrittweise Wiederöffnung der Schulen löst Irritationen aus: SPD, Schulleiter und Elternvertreter werfen der Kultusministerin Planlosigkeit vor. Die CDU-Politikerin verteidigt sich – alles sei ihm Rahmen der Gesetze.

Stuttgart - Kultusministerin Susanne Eisenmann muss für ihr Vorgehen bei der Öffnung der Schulen in der Corona-Phase immer heftigere Vorwürfe einstecken. Besonders ihr Vorgänger in dem Amt, SPD-Fraktionschef Andreas Stoch, lässt sich die Chance nicht entgehen, der CDU-Politikerin Versäumnisse vorzuhalten. Am Dienstag legte er ein Positionspapier für den Wiedereinstieg der Schulen in den Regelbetrieb vor. Die Ministerin hat sich zum neuen Schuljahr noch nicht dezidiert geäußert.

„Wir können im neuen Schuljahr nicht wieder nur auf Sicht fahren und vor uns hinstolpern – wir brauchen ein klares Konzept angesichts einer Pandemie, die Mitte September nicht vorbei sein wird“, sagte Stoch. „Es scheint so zu sein, dass von der politischen Spitze kein Plan existiert, wie das funktionieren soll.“ Eisenmann habe Ankündigungen „herausgeblasen“, mit denen sie einerseits Erwartungshaltungen erzeugt und andererseits die Bildungsinstitutionen vor kaum erfüllbare Aufgaben gestellt habe. Gemeint ist etwa die überraschende Ansage vor einer Woche, dass die Grundschulen bis Ende Juni vollständig aufmachen sollen. Ihn hätten „viele Hilferufe aus der Elternschaft, aber auch aus Schulen erreicht“, so Stoch. „Niemand hat Verlässlichkeit und Planbarkeit.“

Stoch mahnt unterschiedliche Szenarien an

Der SPD-Landeschef fordert Entscheidungen für verschiedene Szenarien je nach Pandemie-Lage. „Es wird voraussichtlich ein Szenario sein, das voraussichtlich keinen vollen Regelbetrieb an den Schulen ermöglicht.“ Man müsse damit rechnen, dass es „irgendwo in der Mitte zwischen Präsenz- und Fernunterricht“ ablaufen kann. Um die Schulen auf alle Eventualitäten vorzubereiten, müssten jetzt die Voraussetzungen geschaffen werden.

Insbesondere müsse so schnell wie möglich ein infektionssicherer Schulbesuch ermöglicht werden. Dazu zählt die Forderung der SPD, dass die Beschäftigten spätestens mit Beginn des neuen Schuljahres regelmäßig im wöchentlichen Abstand auf das Coronavirus getestet werden können. Aus „Fürsorge für die Risikogruppen“ könnten diese auch gezielt in der Kommunikation mit Schülern und Eltern eingesetzt werden. Zugleich müsse rasch Verstärkung organisiert werden: Lehrkräfte, die eventuell im alten Schuljahr keine Stelle bekommen haben oder im neuen keine bekommen werden sowie Referendare müssten über die Sommerpause und danach in die Praxis genommen werden. Es brauche externe Nachhilfekapazitäten und mehr Schulsozialarbeit plus Unterstützung durch Schulpsychologen. Damit kein Kind den Anschluss verliert, sei ein zehn Millionen Euro umfassendes Landesnachhilfeprogramm nötig, in das außerschulische Partner eingebunden werden.

Schulleiterin: Brauchen Plan A und Plan B

Wesentlich ist für Stoch auch der technische Zustand: „Wir haben immer noch Schulen, die nicht über das notwendige Datenvolumen verfügen.“ Daher sei jede Schule bis spätestens Ende 2022 mit einer 1-GB-Leitung und ausreichender W-LAN-Reichweite auszustatten. Dazu müsse bis Ende des Jahres ein mit den Kommunen abgestimmter Ausbauplan vorgelegt werden. Um für den Fall einer zweiten Corona-Welle das Lernen auf Distanz zu intensivieren, dringt auf eine deutliche Aufstockung der Bundesmittel (insgesamt 50 Millionen Euro) zur Ausstattung mit digitalen Endgeräten und ausreichender Internetverbindung.

Renate Opiolla, Schulleiterin der Friedrich-Schelling-Schule in Besigheim, bekräftigte die Forderungen: „Anfang Juli brauchen wir einen Plan A und einen Plan B für die Phase nach den Sommerferien.“ Viele Kollegen seien „an der obersten Kante“ ihrer Leistungsfähigkeit angelangt. „Jede Woche überlegen wir neu, wie retten wir das jetzt.“ Mehr Sicherheit sei notwendig.

Thorsten Papendick, Vorsitzender des Gesamtelternbeirats in Mannheim, monierte: „Bis heute liegt uns Eltern trotz mehrfacher Anfragen beim Kultusministerium kein nachvollziehbares Konzept vor.“ Die Fragen, die sie bewegten, seien unbeantwortet. „Unsere ausgestreckte Hand wird nicht angenommen.“ Seit Beginn der Pandemie sei die Kommunikation „eingeschlafen“.

Gesamtelternbeirat: Holen Sie alle Beteiligten an einen Tisch.

Papendick hat auch – wie fast 20 weitere Elternvertretungen aus dem Südwesten – Ende Mai ein offenes Schreiben des Gesamtelternbeirates der Stadt Stuttgart an die Kultusministerin unterzeichnet. „Bei aller Diversität der Elternschaft in dieser Krise eint uns die Tatsache, dass wir mit Ihrem Krisenmanagement unzufrieden sind“, heißt es darin anklagend. Die geplante Öffnung der Grundschulen bis Ende Juni werfe eine Vielzahl organisatorischer Fragen auf. Aufgrund der Erfahrungen der Vergangenheit gebe es einen dringenden Wunsch: „Holen Sie alle Beteiligten an einen Tisch.“ Informieren solle die Ministerin insbesondere darüber, wie sie die versprochene Sommerschule und die Förderangebote in den Ferien umsetzen wolle. Zudem werden Konzepte zu einer „systematischen Digitalisierung“ der Schulen gefordert für den Fall, dass Einrichtungen wieder geschlossen werden müssen.

Eisenmann: Allen Lehrern werden Tests angeboten

Eisenmann bewertet es als „etwas seltsam, dass die SPD unsere Pläne als eigene Vorschläge darstellt“. Man bewege sich in dem Rahmen, der aufgrund des aktuellen Infektionsgeschehens verantwortbar sei. „Unser Vorgehen bei dem Wiedereinstieg in den Schulbetrieb beruht auf wissenschaftlichen Erkenntnissen.“ Dabei müsse weiterhin Rücksicht auf Risikogruppen genommen werden. „Ziel ist es, den eingesetzten Lehrkräften und Erziehern Testungen zu ermöglichen.“ Noch in dieser Woche stünden Gespräche mit den kommunalen Landesverbänden, den Lehrerverbänden, dem Landesgesundheitsamt sowie den Beratungsgremien des Kultusministeriums an.

Seit längerem würden mit anderen Ländern Konzepte erarbeitet, um eine optimale Verzahnung von Präsenz- und Fernunterricht zu erreichen. Eisenmann verweist zudem darauf, dass das Land das Sofortausstattungsprogramm des Bundes verdoppelt, sodass den Schülern 300 000 digitale Endgeräte als Leihgeräte bereitgestellt werden.