Der Dichter Gustav Häcker war in den Gesetzestexten wie im Reich der Poesie gleichermaßen zuhause. Foto:  

Gustav Häcker schuf die erste Bearbeitung der „Weiber von Schorndorf“ und verfasste reizende Naturgedichte. In Esslingen brachte er zusammen mit dem Komponisten Christian Fink das Musikleben zu einer bemerkenswerten Blüte.

Esslingen - Die CD mit Liedern des Esslinger Komponisten Christian Fink war die musikalische Entdeckung des vergangenen Jahres in der Region. Herausgegeben hatte sie der Esslinger Pianist und Musiklehrer Robert Bärwald, der damit nicht nur an die musikalische Blütezeit der Stadt im 19. Jahrhundert erinnerte, sondern auch den Weg ebnete zum Gedenken an einen der besten Dichter, die je in Esslingen gearbeitet haben. Denn Fink vertonte Gedichte nicht nur von Goethe und Heine, sondern auch von einem heute gänzlich unbekannten Mann: von Gustav Häcker.

Der Jurist, der bis 1873 in Esslingen lebte, lieferte etliche Gedichtvorlagen für Finks Vertonungen. Es sind lyrische Meisterwerke, die eine Poesie an der Schwelle zum Realismus zeigen. Gustav Häcker war ein Meister der poetischen Wortfügung, seine Verse strahlen Stille und große Kraft aus, und seine Sätze erfüllen mit einer ruhigen Selbstverständlichkeit ihr Metrum.

So etwa im Schlaflied für seinen Sohn, das er nach einer Melodie von Beethoven geschrieben hat:

Die Vöglein sind nun müde

Vom vielen Singen den ganzen

Tag

Mein Herzenskind ist müde

Vom Springen den ganzen Tag

(. . .)

Und morgen, wenn die Sonne

Uns wieder fröhlich wecken mag,

Da wollen wir wieder singen

Und springen den ganzen Tag.

Häckers Themen sind religiös und naturphilosophisch zugleich, und wer einen Vergleich braucht, der könnte ihn am ehesten zu Conrad Ferdinand Meyer oder zu Eduard Mörike ziehen, so etwa im „Lied des Regens“:

Leise vom Himmel rinnt Regen

nieder,

Rauschet von Bäumchens Blatt

zu Blatt

Singt ihm stille die Himmelslieder,

Die er droben gehöret hat.

Siehe das Bäumchen scheint zu

lauschen,

Innig der Kunde sich zu freu’n

Nicket beglückt im Windesrauschen: –

Himmelsbotschaft muss fröhlich sein.

Gustav Häcker wurde 1822 geboren und erlebte eine Kindheit zwischen Großheppach und Stuttgart. Der Großvater war Müller und Bürgermeister in Großheppach gewesen. Der Vater Gottfried Häcker (1772 bis 1843) war Stadtrat in Stuttgart und Wirt des Petersburger Hofes, einer Gaststätte „mit Billiard-Gerechtigkeit“ in der Eberhardstraße 24.

Der Hof, der wohl mit einigen Umbauten heute noch steht, war eines der besseren Gasthäuser in Stuttgart, wo Häcker die Künstler und Gelehrten seiner Zeit kennenlernte und ebenso Fuhrleute und Dienstboten. Schließlich konnten in den Stallungen 40 Pferde untergebracht werden und im Keller 300 Eimer Wein, wie die „Stuttgarter Allgemeine Zeitung“ 1843 in einem Inserat schrieb. Dazu kamen zwei vollständige Billard-Tische, ein Kaffeehaus, sowie ein Gemüsegarten und ein Blumengarten mit Gartenlaube. Diese Gärten, die von einer Mauer eingefriedet waren, liebte der junge Gustav ganz besonders, wie sein Sohn Otto Häcker berichtete.

Gustav Häcker studierte in Tübingen nicht nur Jura, er nutzte das Angebot der Universität, um sich allseitig zu bilden. Jeden Morgen stand er um 6 Uhr auf, um eine Vorlesung von Theodor Vischer über die Kunst in Italien zu hören.

Sein musisches Herz hieß ihn das Studium unterbrechen und Württemberg verlassen. Er ging nach Berlin, wo er bei Adolf Bernhard Marx Komposition studierte. Bei Wilhelm Grimm, einer der „Brüder Grimm“, der selbst Jurist war, lernte er die Grundzüge der deutschen Sprache und Dichtung kennen. Zurück in Tübingen, blieb er bei der Jurisprudenz. Zumindest im Studium. Privat gründete er den Dichterbund „die Hauffei“, benannt nach dem Kneipenwirt Hauff und der gleichnamigen Gaststätte Hauffei, bei dem sich die jungen Talente trafen und die Tübinger Stiftler einkehrten.

Häcker verfasste beinahe 50 Jahre lang die Protokolle der „Hauffei“. Mit an Bord war der spätere württembergische Innenminister Carl von Scheurlen, der auch als Maler tätig war. Im Nachlass Scheurlens ist wohl ein Teil der Sitzung-Protokolle erhalten.

Im Jahr 1843, im Todesjahr seines Vaters, schrieb Häcker als junger Jurastudent in Tübingen zum Andenken an seinen Vater die patriotische Novelle „Die Mühle in Großheppach“ und setzte damit seiner Familie ein Denkmal.

Er erzählt darin die Geschichte der französischen Überfälle im Pfälzischen Erbfolgekrieg und beschreibt die Untaten des Feldherrn Mélac. So schuf er die erste Dichtung über die Weiber von Schorndorf, die ihre Stadt vor Mélac retteten. Das fand in der Literaturgeschichte allerdings keinen Widerhall, weil die Novelle erst 1905 veröffentlicht wurde. Im Zentrum der Geschichte steht ein Müller aus Großheppach, der seine Mühle gegen plündernde Franzosen verteidigt.

Gustav Häcker blieb nach seinem Studium der juristischen Laufbahn treu. Er war erst in Geislingen und in Ellwangen Richter, kam dann in den 1860er Jahren nach Esslingen. Dort lernte er den Komponisten Christian Fink kennen, der 1860 in die Stadt gekommen war und als Musiklehrer des Lehrerseminars arbeitete sowie als Musikdirektor an der Stadtkirche St. Dionys. Mit dem neun Jahre jüngeren Fink brachte er das musikalische Leben Esslingens zur Blüte.

Im Stadtarchiv ist noch ein Teil ihrer Korrespondenz erhalten. Es sind Notenblätter und handgeschriebene Gedichte in gestochen scharfer Schrift. Daneben gibt es Nachrichten, die ausweisen, dass Häcker der Pate von Finks Kindern war. Aus diesen Unterlagen geht auch hervor, dass Häcker möglicherweise den Personaladel trug und mithin Gustav von Häcker zu nennen wäre.

Das Jahr 1873 brachte einen Bruch in Häckers Leben, als er auf Wunsch eines württembergischen Beamten die Intendanz des Stuttgarter Hoftheaters übernahm. Doch das Intermezzo währte nicht lange. Als er nach einem Jahr sein Theaterprogramm fertigstellte, war es für die knausrigen Stuttgarter zu teuer, worauf Häcker die Intendanz verließ und wieder in die Jurisprudenz zurückging. Immerhin blieb er der Musikberichterstatter beim württembergischen Staatsanzeiger.

Mit seinem alten Studienfreund Carl von Scheurlen verfasste er für den Schreiber-Verlag in Esslingen das Bilderbuch „Das zuckerige Haus oder Hansel und Gretel“. Eine Adaption des klassischen Märchens der Brüder Grimm. Möglicherweise verhalf ihm wieder die Freundschaft zu Fink zu diesem Auftrag, denn der hatte Rosa Schreiber geheiratet, die Tochter des Verlagsgründers Jakob Ferdinand Schreiber.

Seine weiteren beruflichen Stationen waren 1879 in Ravensburg als Landgerichtsdirektor, 1881 in Tübingen, wo er Landgerichtspräsident wurde, 1893 trat er in den Ruhestand. Seine Laufbahn zeigt ihn als durchaus ehrgeizigen Juristen, der nach und nach die Karriereleiter nach oben kletterte. Seine Kinder beschreiben Gustav als vielleicht allzu milden Richter, der in den Verbrechern immer auch die Menschen und ihre Schicksale sah. Immer wieder war er zur Kur in Baden-Baden, das ihm so zu einer zweiten Heimat wurde. Immer schrieb er, allerdings nur für die Schublade, obwohl die Kinder und die Gattin auf eine Veröffentlichung drangen. Wunderschöne Liebeslieder schenkte er seiner Frau Rosa – und er scheint auch ein liebevoller Vater gewesen zu sein.

Allein durch Veröffentlichung von Finks Liedern kamen einige von Häckers Gedichte in den Druck. Ein Kriminalroman, der ihm im Katalog der Württembergischen Landesbibliothek zugeschrieben wird, ist allerdings nicht von ihm: Es ist Gustav Höcker, der ihn geschrieben hat.

Im letzten Jahr, als er sich endlich entschloss, sein Lebenswerk zu publizieren, ging es ihm schon nicht mehr gut. Rückblickend schrieb er in dieser Zeit noch einen schwermütigen Vers über den Modus des Lebens:

Leben

Ist nur eben

Das Abschiednehmen von der

Gegenwart.

Wieder war er in seine geliebte Kur-stadt Baden-Baden gefahren, um sich zu erholen, doch er kehrte nicht mehr nach Stuttgart zurück: Am 14. Juni 1896 starb er in Baden-Baden.

Sein Sohn Otto Häcker (geboren 1865 in Esslingen, gestorben 1940 in Ulm) vollendete des Vaters Lebenswerk. Er brachte die Novelle „Die Mühle in Großheppach“ in Druck und die Gedichte unter dem Titel „Aus frühen und späten Tagen“. Ohne den Sohn wüsste man wohl gar nichts über Gustav Häcker. Der Sohn, ebenfalls ein Jurist, schrieb auch, allerdings anderes als der Vater: Er verfasste Beiträge für die Albvereinsblätter und einen Wanderführer über die Schwäbische Alb.