Es geht bald wieder zur Sache – und damit steigt das Risiko. Foto: Baumann

Das reduzierte Training und der fehlende Wettkampf in der Corona-Krise schaffen für die Fußballprofis eine neue Risiko-Lage. Beim Turbo-Kaltstart drohen vor allem bei Zweikämpfen Verletzungen.

Stuttgart - Da in diesen Wochen nichts normal ist, lohnt zur Einordnung der Dinge gerade ein Blick in die Normalität. Man nehme also eine normale Sommer-Vorbereitung eines Proficlubs – ohne Virus, ohne Quarantäne, ohne Cyber-Training von daheim aus.

Man macht anfangs einen so genannten Leistungstest, trainiert ein paarmal auf dem Clubgelände, fährt dann ins erste Trainingslager, kehrt zurück, fährt ins zweite Trainingslager, kehrt zurück, und anschließend, nach mehreren Wochen, ja fast mehreren Monaten der Vorbereitung – immer in Mannschaftsstärke – folgt der Saisonstart. Man steigert also langsam die Belastung, arbeitet in aller Ruhe auf den Tag X hin. Kommt in Form. Und ist dann spielbereit, wie das in der Fachsprache heißt.

Spielbereit? Wie soll das gehen?

Und jetzt? Sollen die Teams wieder spielbereit sein. Nur: Wie soll das gehen?

Lesen Sie hier: So trainieren die Bundesligisten in der Corona-Krise

Alles ist anders und neu vor der Wiederaufnahme des Spielbetriebs in der ersten und zweiten Liga an diesem Wochenende. Denn mit dem Coronavirus steigt, wenn man so will, neben der Ansteckungsgefahr wohl auch die Verletzungsgefahr bei den Profis.

Seit nicht einmal einer Woche befinden sich die meisten Profiteams, darunter auch der VfB Stuttgart, wieder im Mannschaftstraining. In ein paar Tagen steigt das erste Ligaspiel nach knapp zwei Monaten Pause. Wie also sollen die Teams in dieser kurzen Zeit fit werden und in Form kommen? Und: Wie hoch ist das Verletzungsrisiko, das mit diesem Turbo-Kaltstart einhergeht?

Christian Kolodziej, von 2004 bis 2011 Konditions- und Rehatrainer beim VfB Stuttgart, ist ein weit gereister Experte auf seinem Feld, er arbeitete nach seiner Stuttgarter Zeit bei Eintracht Frankfurt und beim FC Vaduz. Seit dem vergangenen Sommer nun betreut er die Profis des Schweizer Erstligisten FC Zürich, wo der frühere VfB-Linksverteidiger Ludovic Magnin der Chefcoach ist.

Schnelle Drehbewegungen sind das Problem

Auch Kolodziej, klar, hat so eine Pandemie mit ihren Auswirkungen auf den Profifußball noch nicht erlebt – bei einer Sache ist er sich bei allen Unwägbarkeiten aber sicher: Das Verletzungsrisiko für die Profis steigt in diesen Wochen. „Bei den klassischen Zweikampf-Bewegungen, bei den schnellen, kurzen, reaktiven Drehbewegungen, besteht die größte Gefahr für die Muskulatur“, sagt der Athletik-Trainer.

Was Kolodziej (51) meint: Die Profis und deren Muskulatur sind die Belastung aus intensiven Spielformen und Zweikämpfen seit zwei Monaten nicht mehr gewohnt – müssen genau das aber in knapp eineinhalb Wochen intensiv trainieren in ihrem Alltag, da das erste Pflichtspiel ja jetzt am Wochenende ansteht. Kolodziej hat die so genannte Antriebsmuskulatur im Oberschenkel als besonders anfällig im Blick, und dabei vor allem die Adduktoren.

Die Krux, welche die 36 Profiteams umtreibt, ist die Unwägbarkeit der Belastungssteuerung, die es so noch nie gab. In einer normalen Sommer-Vorbereitung nach mehreren Wochen Pause etwa wären die Clubs jetzt an dem Punkt, an dem nach ein paar Tagen im Team-Training das erste Trainingslager-Testspiel gegen den örtlichen Landesligisten steigen würde, um sich langsam einzuspielen. Jetzt folgt nach ein paar Tagen Training das erste Ligaspiel. Es herrscht eine verkehrte Welt.

Auch die Wettkampfhärte fehlt

Nach der Ansicht Kolodziejs hätten die Spieler in der Corona-Pause zudem nur ein Programm absolviert, das sie normal in der Sommerpause mit auf den Weg bekommen, um nicht ganz außer Form zu kommen. Die Einheiten im Homeoffice waren also in der Regel nicht gerade tauglich dafür, um jetzt wieder topfit auf den Platz zurückzukehren – erst in Kleingruppen, dann in Teamstärke. Denn die bei allen Profis wohl auch nach längeren Pausen noch immer vorhandene Grundfitness ist das eine, die jetzt erforderliche Wettkampfhärte das andere.

Klar ist: Das Fußballspielen wird kein Profi verlernt haben in den vergangenen Wochen, es kam dem Vernehmen nach auch keiner zurück auf den Trainingsplatz mit der Figur des geneigten Kreisliga-Spielmachers, dessen Radius im Mittelkreis endet. Allerdings kann von einer optimalen Vorbereitung aufs erste Ligaspiel nicht die Rede sein.

Wer sich in diesen Tagen umhört in der Bundesligaszene, der findet zwar einige Gesprächspartner bei den Clubs – aber kaum einer will sich dabei öffentlich zitieren lassen. Die Sache mit der Fitness und dem Verletzungsrisiko ist heikel, auch fürs medizinische und athletische Fachpersonal.

Auf die richtige Dosis kommt es an

So kam es offenbar nicht selten vor, dass bei Vereinen schon vor dem Mannschaftstraining bei den ersten geteilten Gruppeneinheiten auf dem Platz selbst bei einfachen Pass-Übungen eine noch nie da gewesene Intensität herrschte. Weil da hoch motivierte Jungs auf dem Platz standen, die wieder von der Leine gelassen wurden. Und weil es in der Trainingssteuerung darauf ankam, möglichst schnell alles aufzuholen. Dass da teils ein bisschen viel an Intensität reingelegt wurde – dieser Gedanke liegt nicht fern.

Was aber sollten die Teams und deren Trainerstäbe jetzt tun mit Blick aufs erste Spiel am Wochenende? Christian Kolodziej sagt, dass jeder Club in dieser Woche einen Spagat leisten müsse: „Einerseits muss man jeden Spieler weiter individuell steuern mit seiner jeweiligen Belastung – andererseits muss auch das Team als Kollektiv in Form kommen.“

Den einen Profi mal draußen lassen beim Trainingsspiel, vom anderen darin vielleicht besonders viel verlangen – das müssen die Trainerteams der Proficlubs leisten und abwägen in der Vorbereitung auf den Tag X, der schon an diesem Wochenende ansteht.