Autos und ganze Straßenzüge sind unter Schutt begraben und mit schwerem Gerät wieder freigelegt worden. Foto: dpa

Gesperrte Straßen, Baggerlärm und lauter Provisorien: Gut fünf Wochen nach dem zerstörerischen Unwetter ist der kleine Ort in der Hohenlohe noch immer eine einzige Baustelle. Ein Besuch vor Ort.

Braunsbach - Im Erdgeschoss des Rathauses von Braunsbach brummt der Bautrockner. Wo das Einwohnermeldeamt untergebracht war, riecht es modrig, Handwerker haben den Holzboden herausgerissen. Eine Treppe höher sitzt der Bürgermeister Frank Harsch und kommt mit den Mails nicht mehr hinterher. „Wir sind noch immer im Katastrophenmodus“, sagt der 44-Jährige, der wochenlang nur wenig geschlafen hat, „Straßen sind gesperrt, Abwasserleitungen müssen gespült werden, wir leben mit lauter Provisorien.“ Seit der kleine Ort in Hohenlohe vor gut fünf Wochen von Starkregen geflutet und von Schutt- und Schlammmassen überrollt wurde, ist Harsch vor allem eines: Krisenmanager. „Die Schockphase ist vorbei, es geht voran“, sagt der Bürgermeister. „Aber bis alles saniert ist, wird es drei Jahre dauern und rund 100 Millionen Euro kosten.“

Der Staubschleier nimmt dem Sommer die Farben

An den Lastwagenlärm und den Staubschleier, der dem Sommer die Farben nimmt, haben sich die Braunsbacher gewöhnt. 90 000 Tonnen Geröll mussten aus dem schwer zerstörten Ort bei Schwäbisch Hall abtransportiert werden, 128 Autos landeten auf dem Schrott. „Die 10,6 Millionen Euro Soforthilfe des Landes gehen für Aufräumarbeiten drauf“, sagt Harsch und hofft, dass die Zusagen aus der Politik, Braunsbach zu helfen, eingehalten werden. „Denn wir werden noch viel Geld aus den Fachförderprogrammen des Landes benötigen.“

Vom Rathaus bis zum Marktplatz ist es ein kurzer Fußmarsch. Harsch holt sich am Verkaufsstand der Bäckerei ein Brötchen für die Mittagspause. Der Lebensmittelladen gegenüber ist wie so viele andere Geschäfte noch monatelang eine Baustelle, überall wird gehämmert und geklopft, werden Wände neu gemauert und Fenster eingesetzt. Die Apotheke liefert direkt nach Hause, der Allgemeinmediziner ist auf eine Praxis in einem Teilort ausgewichen. „Es ist wichtig, dass die Versorgung klappt und wir wieder eine gute Infrastruktur haben“, sagt Harsch und erzählt, wie in einer leeren Wohnung eine Art Supermarkt eingerichtet worden ist. Vier Wochen lang verteilten Ehrenamtliche und Azubis des Landratsamts gespendete Ware: von der Limonade bis zur Zahnbürste.

Bierbänke, Sonnenschirme und ein Getränkeautomat für die Mitte

Ein paar Bierbänke vor dem Bäckereiwagen sind der neue Treffpunkt in Braunsbach. Der Bürgermeister Harsch muss gegen Bagger und Bohrmaschinen anschreien, ein Kran hievt ein Toilettenhäuschen an den Rand des Marktplatzes. „Es werden noch mehr Sitzgelegenheiten aufgestellt, Sonnenschirme und ein Getränkeautomat“, kündigt Harsch an und weiß, wie wichtig allen die Ortsmitte ist. Von den Bänken und Bäumen von früher ist nichts mehr da, karg sieht der Platz aus, stellenweise frisch asphaltiert. Gemeinsam mit den Braunsbachern will der Bürgermeister die Neugestaltung angehen. „Die sollen nicht nur mitreden, sondern auch mitmachen.“

Bereits genug zu tun haben all jene, deren Häuser von der Flutwelle getroffen wurden. „Bei uns geht der Schaden in die Millionen“, sagt Robert Philipp vom Gasthof Löwen, er ist erleichtert, dass es keine Probleme mit seiner Versicherung gibt. Glücklicherweise hat er sogar eine Betriebsunterbrechungsversicherung abgeschlossen, er bekommt die Ausfälle in der Wirtschaft und im Hotelbereich bezahlt.

Erst die depressive Phase, dann der Pioniergeist

Der Metzger, der das Geschäft vor ein paar Jahren an seine Tochter abgegeben hat, steht im früheren Schankraum und ist umringt von Planern, Architekten und Kücheneinrichtern. Sie alle wollen Details besprechen, Materialien festlegen. Ist Schweizer Birnbaum passend für die Vertäfelung? Wie sollen die neuen Sprossenfenster aussehen? Es muss vieles in kurzer Zeit entschieden werden, zögern geht da gar nicht. „Bisher wurde nur zurückgebaut“, sagt Philipp, selbst die Decken müssten abgetragen werden, so habe es die Behörde angemahnt. „Mit dem Wasser kam ein Cocktail aus Umweltgiften herein, da findet sich alles vom Spritzmittel bis zum Öl.“ Bis spätestens April 2017 soll der Löwen wieder geöffnet sein, so hofft der Wirt, er ist guter Dinge, dass es auch schon früher klappen könnte.

Nach der Katastrophe seien viele in eine depressive Phase gerutscht, erzählt der 59-Jährige mit den kräftigen Händen und einem Lachen, das ansteckend ist. „Aber jetzt hat sich der Pioniergeist durchgesetzt.“ Phillips Handy klingelt Sturm, auch der Gutachter der Mannheimer Versicherung kommt mit seiner Aktentasche unterm Arm gerade vorbei, er ist längst ein Dauerbesucher. „Wer fast nichts braucht, hat alles“, steht in Kreideschrift an der Wand der ausgeräumten Gaststube. Demnächst werden die Wände neu gestrichen.

Draußen dreht die Kehrmaschine ihre Runden, fünf Stunden jeden Tag, ununterbrochen. „Das ist eine mit Hecksaugwaschanlage und 4000 Liter Wasser“, sagt ihr Fahrer Krisha Balachandran. Er trägt eine orangefarbene Sicherheitsweste, setzt die Sonnenbrille erst zum Feierabend ab. Üblicherweise zieht der gebürtige Inder auf Großbaustellen und Betriebsgeländen in Baden-Württemberg seine Bahnen, seit mehreren Wochen kehrt er Braunsbach sauber. „Eine Kehrmaschine ist im Schwäbischen so wichtig wie ein Krankenwagen“, sagt Balachandran selbstbewusst und fährt weiter.

Der Großputz kommt Elke Schüler entgegen. Die Frau mit gelber Schürze beendet am Nachmittag ihre Schicht im Bäckereiwagen auf dem Marktplatz und freut sich, dass es nicht so staubt. „Es ist so gut, wieder einen Mittelpunkt im Dorf zu haben, einen Ort zum Schwätzen.“ Das sei wichtig für das Miteinander.

Genervt ist die Braunsbacherin nur von den Schaulustigen, die am Wochenende einen Ausflug in den Katastrophenort machen. Die ignorierten das Einfahrtsverbot in den Ort und räumten Absperrungen zur Seite, um näher ans Bachbett zu kommen, ärgert sie sich. Ihr Nachbar habe versucht, aus dem Trubel Profit zu schlagen. „Er hat extra seine Pizzeria sonntags geöffnet, aber die wollten nichts essen, nur gucken.“