Gedenken nach dem Anschlag von Solingen Foto: dpa/Thomas Banneyer

Nach dem Messerangriff in Solingen wird über Konsequenzen auch für Feste in der Region Stuttgart diskutiert. Um Gefahren zu minimieren, müsse man nicht völlig neu denken – bei einer Messerattacke gebe es nur eines, meint ein Terrorexperte.

Bei dem Messerangriff am Freitagabend auf einem Stadtfest in Solingen starben drei Menschen, acht wurden verletzt. Der mutmaßliche Täter wurde gefasst. Die Polizei spricht von einem Anschlag. Nicht nur die politische Diskussion über die Konsequenzen hat begonnen. Auch von einer Verschärfung des Waffenrechts ist die Rede, Messerverbotszonen stehen im Raum. Davon hält Stephan Gerstens nur bedingt etwas, denn diese müssten auch durchsetzbar sein. „Man muss aufpassen, dass man das Problem nicht wegverwaltet.“ Der 55-Jährige ist Experte für Terrorabwehr, und wurde auf Empfehlung aus Berlin vor einiger Zeit an das Büro der Vereinten Nationen für Terrorismusbekämpfung berufen. Er hat keinen Personenschutz, weshalb er unter einem Pseudonym mit unserer Zeitung spricht.

 

Gerstens hält nichts davon, sich bei einem Angriff dem Täter heldenhaft in den Weg zu stellen. Beim Anblick eines Messerangreifers gebe es nur die Handlungsweise „Schreien, warnen, weglaufen.“ Mit Verweis auf das Grundgesetz fügt Gerstens an: „Das Gewaltmonopol liegt beim Staat.“

Trotz seiner Arbeit für die Vereinten Nationen geht er seiner Tätigkeit als Sachverständiger für Zufahrtsschutz nach wie vor in seinem Büro in der Region nach. Plätze und Straßen ließen sich auch durch Elemente des Städtebaus schützen, sagt er. Durch Synergien ließen sich Kosten sparen – also etwa wenn Stadtplaner, Architekten und Sicherheitsbehörden von Beginn an kooperierten, um nicht teuer nachrüsten zu müssen. Dabei müsse man das Rad nicht neu erfinden, sagt Gerstens. Andere Kommunen und andere Länder stünden vor vergleichbaren Herausforderungen. Die gelte es anzunehmen. Wenn man aufhöre, sich gegen Extremisten zu wehren, ende die aufgeklärte Gesellschaft, meint Gerstens. „Terrorismus, wie wir ihn in jüngst in Solingen gesehen haben, zielt immer auf unsere offene Gesellschaft“, sagt auch Gerlingens Bürgermeister Dirk Oestringer. Die Stadt feiert in gut einer Woche ihr traditionelles Straßenfest. „Das Straßenfest ist Teil dieser offenen Gesellschaft, die wir uns als Stadt Gerlingen nicht nehmen lassen“, meint Oestringer. Die Behörden würden das Möglichste tun, um Sicherheit zu gewährleisten. „Absolute Sicherheit wird es jedoch nicht geben können.“

Das dürfte auch Gerstens so sehen. Er arbeitet daran, die Gefahren zu minimieren. Seine beruflichen Wurzeln liegen im Schutz vor Naturgefahren, wie etwa Steinschlag. Sein Wissen aus der Abwehr dieser Naturgewalten übertrug der Techniker auf den Schutz von Straßen und Plätzen vor Amokfahrten. Heute ist Gerstens Sachverständiger für Zufahrtsschutz. Er berät bundesweit Kommunen. Auf seiner Referenzliste findet sich unter anderem die Stadt Stuttgart. Aber auch Veranstaltungen wie Glemseck 101 oder das DFB-Pokalendspiel in Berlin.

Andere Länder diskutieren seit langem

Auch wenn sich immer mehr Kommunen über Schutzkonzepte Gedanken machten: In anderen Ländern werde das Thema auf allen Ebenen „mit einer anderen Ernsthaftigkeit diskutiert“, beobachtet er. Begründen lasse sich das aus der Historie. „Terrorabwehr machen andere seit Jahrzehnten.“ Er verweist auf die Terrorgruppen IRA in Irland, ETA in Spanien oder einst die Farc in Kolumbien.

Derweil können Kommunen und Veranstalter hierzulande die rechtliche Möglichkeiten nutzen, die ihnen gegeben sind. „Die Polizei in Baden-Württemberg berücksichtigt die aktuellen Erkenntnisse aus der Tat in Solingen im Rahmen der fortlaufenden Gefährdungsbewertung“, heißt es aus dem Polizeipräsidium Ludwigsburg. Dafür stünde sie im engen bundesweiten Austausch, um auf mögliche Entwicklungen unverzüglich reagieren zu können. Die „anhaltend hohe abstrakte Gefahr dschihadistisch motivierter Gewalttaten in Deutschland besteht weiter fort, auch wenn wir in Baden-Württemberg aktuell keine Hinweise darauf haben, die auf eine konkrete Gefährdung hindeuten“, teilt eine Sprecherin des Ludwigsburger Polizeipräsidiums mit.

Die regionalen Polizeipräsidien stünden den Veranstaltern beim Erstellen von Sicherheitskonzepten beratend zur Seite. Sie träfen alle erforderlichen polizeilichen Maßnahmen. „Es besteht daher kein konkreter Anlass auf die Durchführung oder den Besuch von Veranstaltungen zu verzichten.“

Das Gerlinger Straßenfest wird von Vereinen getragen und von einem eigens dafür gegründeten Straßenfestverein geplant und veranstaltet. Für das notwendige Sicherheitskonzept stünden Verein, Stadtverwaltung und Polizei in engem Kontakt, teilt der Bürgermeister mit. Die Stadtverwaltung sei zudem mit der Kreispolizeibehörde der Landkreises in Kontakt. Das Sicherheitskonzept würde jährlich überprüft und fortgeschrieben. Die Erkenntnisse von Solingen flössen in diese Fortschreibung ein.

Wird eine Waffenverbotszone eingerichtet?

Auf dem Straßenfest in Gerlingen werde es eine durchgängig verstärkte Polizeipräsenz geben. Am Abend würde die Polizei durch ein privates Sicherheitsunternehmen verstärkt. Darüber hinaus ist die Mobile Jugendarbeit der Stadt auf dem Straßenfest präsent. „Zum Schutz vor einer potenziellen Amokfahrt ist vor dem Rathausplatz ein Fahrzeug des Baubetriebshofes als Barriere positioniert“, teilt die Stadt mit. Der Erlass einer Waffenverbotszone werde geprüft. Zuständig ist die Kreispolizeibehörde. Die Entscheidung des Landratsamtes steht aus.

Das Gerlinger Straßenfest

Das Fest
Das 43. Gerlinger Straßenfest wird am letzten Ferienwochenende gefeiert. Es beginnt am Samstag, 7. September, um 15 Uhr. Gefeiert wird an diesem Tag bis Mitternacht. Tags darauf, Sonntag, 8. September, sind die Stände in der Zeit von 11 bis 20 Uhr besetzt, laden die Vereine zum Verweilen rund um den Rathausplatz ein.

Das Programm
Programm Am Samstag wird um 13.30 Uhr die Kunstausstellung im Rathaus anlässlich des 60-jährigen Jubiläums der Städtepartnerschaft von Gerlingen mit Vesoul in Frankreich eröffnet. Nach der Eröffnung um 15 Uhr spielt die Stadtkapelle. Am Abend unterhalten die Band Reach – und DJ Ramazotti sowie DJ Rüdi legen auf. Am Sonntag findet um 10 Uhr ein ökumenischer Gottesdienst statt. An diesem Tag sind die Musikvereine Höfingen (Beginn: 11.15 Uhr) und die Jugendkapelle Gerlingen (13.30 Uhr) sowie die Original Gerlinger Turnerbuam (16 Uhr) zu hören.