Angela Merkel und Recep Tayyip Erdogan (hier beim Nato-Gipfel Mitte Juli): die Zeichen stehen auf Annäherung. Foto: dpa

Erst Staatsbesuch – dann Wirtschaftsaustausch: die Bundesregierung versucht offenkundig, die angeschlagenen Beziehungen zur Türkei rasch wieder zu reparieren. Doch ist an eine Normalisierung derzeit nicht zu denken, meint Matthias Schiermeyer.

Stuttgart - Das Signal der Bundesregierung ist unverkennbar: Das zerrüttete Verhältnis zur Türkei soll sich bald wieder normalisieren – darin scheint sich die große Koalition recht einig zu sein. Erst darf Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan Ende September zu einem Staatsbesuch nach Berlin kommen, dann fliegt CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier einen Monat später für zwei Tage an den Bosporus. Es geht um die intensive Pflege der Handelsbeziehungen – immerhin reist der Minister mit einer 80-köpfigen Delegation an.

Diese Lockerungsübungen tun der Führung in Ankara richtig gut, da sich die Spannungen mit den USA gerade verschärfen. Washington will die türkischen Menschenrechtsverletzungen im Allgemeinen sowie die Inhaftierung von US-Pastor Andrew Brunson im Besonderen nicht länger hinnehmen und verhängt Sanktionen gegen zwei türkische Minister. Die Türkei droht zwar mit Gegenmaßnahmen, doch eine konsequente Politik scheint dort besser verstanden zu werden als diplomatische Zurückhaltung.

Die Wirtschaft ist Erdogans Achillesferse

Um in seiner Bevölkerung noch mehr Gegenliebe zu erfahren, hat Erdogan ein vorrangiges Interesse daran, die angeschlagene Wirtschaft auf Trab zu bringen. Sie ist derzeit seine Achillesferse, nachdem er politisch die unumschränkte Macht an sich gerissen hat. Deutschland ist ihm als größter Handelspartner besonders wichtig. Immerhin haben sich mehr als 7100 deutsche Firmen in seinem Land angesiedelt. An der Stelle kommt ihm die Bundesregierung offenkundig weit entgegen. Sie will rasch wieder „Big Business“ machen mit einem Land, dessen Präsident erneut die Wiedereinführung der Todesstrafe erwägt. Er würde nicht zögern, ein entsprechendes Gesetz zu billigen, wenn das türkische Parlament ein solches verabschieden würde, wiederholt Erdogan frühere Aussagen, die man noch als Wahlkampfsprüche abtun konnte. Doch es ist ihm offenkundig ernst. Kann man dies tolerieren? Kaum.

Am Dialog führt kein Weg vorbei

Die Kritik an seinem autokratischen Verhalten, an der Beseitigung von mehr als 150 000 Menschen aus dem Staatsdienst, an der Inhaftierung von mehr als 100 Journalisten, an der völkerrechtswidrigen Drangsalierung der kurdischen Bevölkerung in der nordsyrischen Region Afrin durch protürkische Milizen – all das muss ihm während des Staatsbesuchs in Berlin ungeschminkt vor Augen geführt werden. Am nüchternen Dialog führt daher wohl kein Weg vorbei. Aber an einen Wandel (der Türkei) durch Annäherung mag man momentan noch nicht glauben. Ein Empfang mit großem Pomp, mit Staatsbankett und militärischen Ehren, wäre daher das falsche Zeichen. An einen normalen Umgang mit Erdogan ist derzeit nicht zu denken. Eine Aufwertung im Ausland würde den Demokratie-Verächter in seinem innenpolitischen Kurs nur bestärken.