Mit aufgeblasenem Luftsack erhöht sich die Chance erheblich, von einer Lawine nicht völlig verschüttet zu werden. Foto: AFP/Jean-Pierre Clatot

Trotz Airbag und Sender sterben immer wieder Skifahrer unter Schneemassen. Wie lässt sich das verhindern?

Lech am Arlberg - Dichtes Schneetreiben herrscht in Lech – wie im vergangenen Januar, als vier Schwaben in den Bergen oberhalb des österreichischen Skiorts abseits der Piste ums Leben kamen. Jüngst trafen sich hier Schneeforscher und Bergführer zur „Snow und Safety Conference“ (SSC), einer jährlichen Tagung, bei der darüber beraten wird, wie sich solche Lawinenunfälle verhindern lassen. Wie in anderen Skigebieten ist das Fahren abseits der Piste auch in Lech nicht per se verpönt, sondern Breitensport und Wirtschaftsfaktor.

Der tödliche Unfall der vier Männer aus Biberach war das Thema, das auf der SSC immer wieder behandelt wurde – insbesondere: Warum haben die Airbag-Rucksäcke, den die Verunfallten allesamt trugen, sie nicht vor dem Lawinentod bewahrt? Der Lawinenairbag ist in einem Rucksack verstaut, den Wintersportler mit sich führen. Anders als der Airbag im Auto muss er vom Benutzer durch Ziehen an einem Griff selbst ausgelöst werden. Je nach System werden durch Explosion oder durch mechanische Wirkung Druckluftbehälter angestochen, die Luftsäcke füllen – oder diese werden durch einen Elektromotor aufgeblasen.

Große Teile landen oben

Jan-Thomas Fischer, der Leiter der Abteilung Schnee und Lawine des österreichischen Bundesforschungszentrums für Wald (BFW), erklärt das Funktionsprinzip des Airbags. Es beruhe auf dem Phänomen der inversen Segregation, auch Paranuss-Effekt genannt. „Jeder kennt es aus der Müsli-Packung – größere Teile landen bei Bewegung oben“, sagt Fischer. „Der Airbag vergrößert die Oberfläche des Wintersportlers und erhöht deshalb die Wahrscheinlichkeit, dass dieser oben landet.“

Was die Airbags bringen, hat der Schweizer Pascal Hägeli, der an der Simon Fraser University in Vancouver zum Thema Lawinenrisiko forscht, untersucht. Zunächst fand er heraus, dass jeder fünfte Airbagbesitzer den Airbag gar nicht auslöste, wenn er in eine Lawine kam. Vor allem Freizeitsportler schafften es oft nicht, den Griff zu ziehen. Bergführer dagegen lösen im Notfall meistens den Airbag aus, die Verunglückten vom letzten Jahr schafften dies auch. Das Fazit der Wissenschaftler: Man sollte den Gebrauch üben, möglichst in Skikleidung mit Handschuhen. „Nur dann schafft man es in der Stresssituation, den Airbag zu ziehen.“

Der Airbag kann Leben retten

Von der Wirksamkeit des Luftkissens ist die Forschung überzeugt. „Der Airbag ist der einzige Ausrüstungsgegenstand, der verhindern kann, dass man verschüttet wird, wenn man in eine Lawine kommt“, sagt Hägeli. „Deshalb hat er enormes Potenzial, Leben zu retten.“ Hägeli untersuchte 61 Lawinenunglücke, bei denen ein Teil der involvierten Personen Airbags und der andere Teil kein solches Sicherheitsequipment trugen. Ergebnis: Der Lawinen-Airbag halbierte die Sterblichkeit, die Überlebensrate stieg von 78 auf 89 Prozent bei ausgelöstem Airbag.

„Der Airbag hilft aber nur in bestimmtem Gelände“, sagt Jan-Thomas Fischer. Er funktioniere nur, solange das Lawinenopfer sich in einer sich bewegenden Lawine befindet. Anders gesagt: Der Airbag hilft vor allem, wenn ein Hang flach ausläuft und man sich mit der Lawine mit bewegt. Wie das aussehen kann, zeigt ein Video des spanischen Profi-Freeriders Aymar Navarro von 2013, der bei Dreharbeiten für einen Werbeclip in eine riesige Lawine kam. Als diese in relativ flachem Gelände zum Stehen kommt, liegt der Skifahrer auf den roten Luftsäcken, kaum verschüttet an der Oberfläche der Lawine.

Ungünstiges Gelände wird zur Falle

„Wenn eine Lawine aber von einem Hang oberhalb auf einen Wintersportler niedergeht, wird sie diesen trotz Airbags eher mit Schnee zudecken, denn der Wintersportler bewegt sich nicht mit“, sagt Benjamin Zweifel vom Institut für Schnee und Lawinenforschung in Davos, der zum Thema forscht. Auch Mulden sind gefährlich. „Wenn man in solchen Geländefallen zu liegen kommt und der Schnee von oben immer weiter auf einen draufgeschoben wird, verhindert der Airbag eine Verschüttung nicht“, sagt Hägeli. Bei dem Unglück im Januar 2019 in Lech war genau das der Fall: Der Hang, in dem die Skifahrer verunglückten, endet in einem Bachbett.

Der Chef der Pistenrettung in Lech, Toni Wilhelm, der mit der Polizei am Unfallort war, sagt: „Der Schnee türmte sich im Tal meterhoch auf den Verschütteten.“

Außerdem sind Lawinen nicht die einzige Gefahr für Skifahrer, die im freien Gelände unterwegs sind. „Viele Wintersportler, die von Lawinen erfasst werden, sterben an Verletzungen durch Felsen, Bäume oder Abstürze über Klippen“, sagt SLF-Forscher Zweifel. „Auch davor kann ein Airbag nicht schützen.“

Macht gute Ausrüstung leichtsinnig?

Alexander Prokop von der Uni Wien zeigte auf der Tagung in Lech ein Geländemodell von dem Hang, an dessen Fuß die Toten gefunden wurden. Er ist sehr steil und mit Felsklippen durchsetzt, über welche die Skifahrer abstürzten. „Die Unfallopfer haben eine gesperrte Piste genutzt und sind dann bei erheblicher Lawinengefahr in Hänge von 35 bis über 40 Grad Neigung oberhalb von Klippen eingefahren“, fasst Prokop zusammen, was die vier Männer falsch gemacht haben.

Bleibt die Frage: Macht der Airbag-Rucksack Wintersportler leichtsinniger? Zwei Studien kommen zu gegenteiligen Ergebnissen. „Aber es ist wichtig, dass sich Benutzer von Airbags bewusst sind, dass sie möglicherweise durch ihren Rucksack mehr riskieren“, sagt Pascal Hägeli. Jan-Thomas Fischers Vortrag in Lech endete mit einer Fotomontage – ein Gehirn inmitten eines aufgeblasenen Airbags. Dieser kann nicht den Verstand ersetzen, bedeutet dies. „Viel wichtiger als der Airbag ist für Wintersportler, die sich abseits der Piste bewegen, eine gute Vorbereitung“, sagt Zweifel. „Wer die Lawine durch eine richtige Beurteilung eines Hanges vermeidet, fährt immer noch am sichersten.“