Ein Weißbüschelaffen-Baby klammert sich am im Reptilium Landau (Rheinland-Pfalz) an seine Mutter. Foto: Reptilium Landau

Weihnachtszeit ist Geschenkezeit. Anderen eine Freude zu bereiten ist aber nichts, was den Menschen grundlegend von anderen Lebewesen unterscheidet.

Zürich - Warum nicht einmal jemandem etwas schenken, der gar nicht damit rechnet? Nur, weil der andere sich freut – nicht, weil man sich dazu gedrängt fühlt oder auf eine Gegenleistung spekuliert. Auf diese Idee können nur Menschen kommen. Da waren sich Biologen lange Zeit ziemlich sicher. Zwar gibt es durchaus Tiere, die ihren Artgenossen Leckerbissen oder Gefälligkeiten zukommen lassen. Nur ist das meist eher ein Tauschgeschäft, bei dem der Schenkende ein Ziel verfolgt: Futter gegen Sex, Wellness-Behandlungen gegen Unterstützung in Konflikten. Für selbstlose Gesten scheint auf den ersten Blick kein Platz zu sein, auf den zweiten allerdings schon, denn zumindest bei einigen Arten haben Verhaltensforscher inzwischen einen erstaunlichen Hang zur Großzügigkeit entdeckt.

Es sind aber nicht unsere nächsten Verwandten, die sich in dieser Hinsicht hervortun. Schimpansen leisten zwar viel für ihre Artengenossen: gegenseitige Hilfeleistungen, ausgefeilte Kooperationen, Adoption von fremden Jungtieren – alles kein Problem, aber wenn es ums Fressen geht, scheinen die Menschenaffen auf stur zu schalten. Selbst Jungtiere müssen häufig darum betteln, von ihrer Mutter einen Leckerbissen zu bekommen.

Viel Grips braucht es fürs Schenken nicht

Um herauszufinden, wie großzügig Schimpansen wirklich sind, haben Claudio Tennie von der Universität im britischen Birmingham und seine Kollegen 13 Affen mit einer Futterbox konfrontiert. Die Tiere konnten dabei an einem Holzpflock ziehen – was unterschiedliche Folgen hatte: In sechs Fällen bewirkte es, dass ein Artgenosse im Nachbarkäfig Erdnüsse aus der Box herausschütteln konnte. Dagegen konnten die sieben übrigen Affen ihrem Nachbarn auf diese Weise das Futter sperren.

Bei beiden Varianten betätigten die Tiere den Mechanismus ungefähr gleich oft. Sie hatten also offenbar kein Interesse daran, ob sie ihrem Nachbarn damit etwas Gutes oder Schlechtes tun. Anders sah die Sache aus, wenn sie selbst auch Zugang zu den Leckerbissen bekamen. Nun zogen sie den Pflock zielstrebig heraus, wenn dabei eine Futterlieferung heraussprang. Blockierte er dagegen den Nachschub, ließen sie die Finger davon. Wenn es ums Fressen geht, scheint sich also jeder Schimpanse selbst der Nächste zu sein.

Doch nicht allen Primaten ist das Wohl ihrer Nächsten egal. Vor allem in der Familie der südamerikanischen Krallenaffen haben Forscher selbstlose Futterschenker entdeckt. Zum Beispiel die Weißbüschelaffen, die ein Team um Judith Burkart von der Universität Zürich beobachtet hat. In ihren Versuchen waren vor dem Käfig zwei Tabletts angebracht. Das Tier konnte entscheiden, welches davon es zum Gitter ziehen wollte. Es selbst ging jedes Mal leer aus. Allerdings konnte der Käfignachbar eine Heuschrecke erhalten. Meist ließen die Affen ihrem Artgenossen das kulinarische Geschenk zukommen.

Prosoziales Verhalten nennen Biologen diese seltene Form der spontanen Hilfe, von der man selbst nichts hat und zu der man auch nicht durch Gesten oder Bettelrufe gedrängt wird. Viel Grips braucht man dafür offenbar nicht. „Krallenaffen haben kleine Hirne und sind nicht besonders gescheit“, sagt Judith Burkart. Trotzdem sind sie beim selbstlosen Schenken den intelligenteren Schimpansen überlegen. Was also steckt hinter dieser großzügigen Ader? Darüber streiten Biologen schon lange.

Was steckt hinter der großzügigen Ader?

Eine Theorie besagt, dass der Hang zur Großzügigkeit etwas damit zu tun hat, wie man seinen Nachwuchs großzieht. Tatsächlich gibt es dafür einige Indizien. Wie bei Menschen ist Kinderbetreuung bei Krallenaffen nicht nur Sache der Mutter. Kleine Weißbüschelaffen zum Beispiel wachsen in Gruppen auf, in denen neben einem dominanten Elternpaar auch etliche erwachsene Helfer leben. Diese pflanzen sich selbst nicht fort, sind aber eifrige Babysitter: Sie tragen die Kleinen herum und stecken ihnen Leckerbissen zu, ohne dass diese darum betteln müssen. Die männlichen Helfer engagieren sich dabei noch mehr als die weiblichen – und zeigen sich in Versuchen prompt auch als besonders spendabel gegenüber ihren erwachsenen Gefährten.

Werden solche Arten von der Evolution auf generelle Großzügigkeitgetrimmt, die sie dann auch gegenüber anderen erwachsenen Artgenossen zeigen? Um das herauszufinden, haben Judith Burkart und ihre Kollegen 15 Affenarten sowie Menschenkinder zwischen vier und sieben Jahren getestet. Alle bekamen die Gelegenheit, ihren Gefährten kleine Köstlichkeiten zukommen zu lassen, ohne selbst etwas davon abzubekommen. „Menschen und Löwenäffchen handelten dabei sehr altruistisch“, berichtet Judith Burkart. Schimpansen dagegen ermöglichten es anderen Gruppenmitgliedern nur ab und zu, an die Leckerbissen zu gelangen. Varis und Bartmakaken taten das überhaupt nicht. Tatsächlich zeigte sich dabei ein enger Zusammenhang zwischen Großzügigkeit und Familienleben: „Spontanes selbstloses Verhalten findet man nur bei Arten, bei denen Jungtiere nicht nur von der Mutter, sondern auch von anderen Gruppenmitgliedern wie Geschwistern, Vätern, Großmüttern, Tanten und Onkeln betreut werden“, sagt Judith Burkart.

Stehlen statt Schenken? Blau-Elstern halten sich nicht ans Klischee

Gibt es auch bei anderen Tierarten einen Hang zur spontanen Großzügigkeit? Sollte tatsächlich die gemeinschaftliche Betreuung des Nachwuchses entscheidend sein, müsste sich selbstloses Verhalten auch in anderen Tiergruppen finden lassen – bei Vögeln zum Beispiel, wo immerhin jede elfte bekannte Art die Aufzucht der Küken nicht allein der Mutter überlässt.

Tatsächlich ist ein Team um Lisa Horn und Jörg Massen von der Universität Wien auf einen Fall spontaner Futtergeschenke in der Vogelwelt gestoßen, und zwar ausgerechnet bei Elstern, die angeblich ja eher zum Diebstahl als zum Altruismus neigen sollen. Doch die ostasiatischen Blau-Elstern, die das Team getestet hat, hielten sich nicht an das Klischee. Auch diese Vögel ziehen ihre Küken gemeinschaftlich auf. Und sie zeigten sich in den Experimenten durchaus interessiert am leiblichen Wohl ihrer Gefährten.

Im Test bekamen die Vögel die Gelegenheit, ihren Gefährten Leckerbissen wie Mehlwürmer oder Heuschrecken zuzuspielen. Dazu mussten sie auf einer Sitzstange landen. Und das taten sie unermüdlich – obwohl ihr eigener Schnabel leer blieb. In mehr als 95 Prozent aller Durchgänge bekamen die Artgenossen ihren Happen. Für die Forscher ist das ein Indiz dafür, dass gemeinsame Jungenaufzucht nicht nur bei Menschen und Affen die Großzügigkeit fördert. Spontanes Schenken ist im Tierreich wohl verbreiteter als gedacht. Ein Anlass wie Weihnachten ist dafür gar nicht nötig.