Es gibt unzählige Dinge, die Menschen große Furcht einflößen können. Im Interview erklärt die Freiburger Angstforscherin Katharina Domschke, wie Phobien entstehen und was man dagegen unternehmen kann.
Stuttgart - Prof. Dr. Dr. Katharina Domschke (41) ist seit 2016 Ärztliche Direktorin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Freiburg. Wir haben mit ihr über die Therapie von Angsterkrankungen gesprochen.
– Frau Domschke, viele Menschen haben Angst vor Spinnen oder sehen nicht gern Blut. Wann spricht man von einer Phobie?
Grundsätzlich ist Furcht etwas ganz Normales, weil sie eine Alarmreaktion ist, die uns vor gefährlichen Situationen oder Objekten warnt. Wir sprechen dann von einer Phobie, wenn diese Furcht übermäßig häufig auftritt und sehr ausgeprägt ist, wenn ein Patient deshalb bestimmte Situationen vermeidet und Leidensdruck besteht. Die Spinnenangst einer jungen Dame, die sich nur dann äußert, wenn ihr Freund eine Spinne aus dem Keller holt, ist mit wenig Leidensdruck verbunden, weil sie kaum Einschränkungen in Beruf oder Alltag mit sich bringt. Wenn aber ein Tierpfleger im Zoo eine Spinnenphobie hat, dann wird er berufliche Einschränkungen haben. Ähnlich ist es mit der Flugangst: Wenn jemand ungern fliegt, es aber trotzdem tut und Termine im Ausland wahrnehmen kann, dann ist das noch in Ordnung. Krankhaft wird es, wenn etwa ein Außenhandelskaufmann beruflich nicht mehr fliegen kann.
Welche Phobien sind denn am häufigsten?
Tierängste sind sehr häufig, etwa die Furcht vor Spinnen oder Schlangen. Auch Höhenangst und die Blut-Spritzen-Phobie, bei der Menschen sich nicht gut Blut abnehmen lassen können, sind relativ verbreitet.
Warum ist das so?
Manche Leute sagen, dass Tierphobien phylogenetisch entstanden sind, also, dass sie sich im Zuge der Evolution entwickelt haben. Früher gab es gefährliche Tiere, vor denen es sich zu fürchten lohnte, weil es ums Überleben ging. Man musste Angst haben vor Säbelzahntigern oder giftigen Spinnen. Das gilt in unserer Welt nicht mehr. Dennoch hat sich diese Furcht wahrscheinlich in unser kollektives Gedächtnis eingebrannt.
Worauf beruht dann Flugangst? Liegt es daran, dass viele Menschen nicht nachvollziehen können, dass sich eine so große Maschine in der Luft hält?
Ja, so ein Kontrollverlust spielt oft eine Rolle. Dann gibt es aber auch Menschen, die aufgrund ihrer Höhenangst nicht fliegen wollen. Andere leiden an Klaustrophobie und fliegen ungern, weil es im Flugzeug so eng ist. Und wieder andere haben eine soziale Phobie und wollen nicht ins Flugzeug steigen, weil dort so viele Menschen eng zusammensitzen und zum Beispiel die Gefahr besteht, dass man dem Nachbarn einen Orangensaft auf den Schoß kippt, was peinlich wäre. Flugangst ist ein gutes Beispiel dafür, dass man immer fragen muss: Welche Befürchtung steckt wirklich dahinter?
Entwickeln ältere Erwachsene eher Ängste?
Hier muss man unterscheiden: Es gibt zum Beispiel die generalisierte Angststörung, bei der man sich Sorgen wegen aller möglichen Eventualitäten macht. Diese wird mit dem Alter häufiger. Die Phobien selbst treten dagegen eher bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen auf. In dem Alter sind Neuerkrankungen am häufigsten.
Sind Frauen öfter von Phobien betroffen?
Ja, alle Angsterkrankungen sind bei Frauen zwei- bis dreimal häufiger als bei Männern. Unsere Urahninnen waren darauf getrimmt, sich um den Nachwuchs zu kümmern und die Kinder vor aller Unbill zu bewahren. Sich vor bestimmten Tieren und Situationen zu fürchten hat das Überleben gesichert. Männer wurden eher darauf gepolt, in den Krieg zu ziehen, auf die Jagd zu gehen und sich den wilden Tieren zu stellen. Da war Angst nicht sinnvoll. Abgesehen davon scheinen Frauen auch andere Genvarianten als Männer zu haben und werden von Hormonen deutlich stärker beeinflusst.
Wer hat ein hohes Risiko, Phobien zu entwickeln?
Kinder, die ängstlich, zurückgezogen und schüchtern sind, haben ein höheres Risiko, später eine soziale Phobie zu entwickeln. Und natürlich kann man Furcht auch lernen: Wenn man Eltern oder Geschwister hat, die Phobien haben, besteht die Gefahr, dass man diese Ängste übernimmt.
Es gibt Phobien, die auf den ersten Blick recht bizarr klingen – etwa die Angst vor Zügen oder davor, Mundgeruch zu haben. Wie kommt es, dass Menschen so ausgefallene Phobien entwickeln?
Meistens handelt es sich um Lernerfahrungen. Man verknüpft eine Erfahrung mit unangenehmen Gefühlen. Mit der Zeit verselbstständigt sich diese Verknüpfung: Das nennt man Konditionierung. Sigmund Freud litt zum Beispiel an einer Zugphobie. Er führte das darauf zurück, dass er als Kind geflohen ist und dabei eine schreckliche Zugfahrt erlebt hat. Diese Erfahrung hat sich später zur Phobie verselbstständigt.
Was kann man tun, damit die Angst nicht zunimmt?
Wenn man eine Angst sozusagen pflegt, kann es passieren, dass sie sich auf weitere Gebiete ausweitet. Insofern empfiehlt man immer eine Exposition: Das heißt, man setzt sich der Situation aus und merkt beim zweiten, dritten oder auch zehnten Mal, dass nichts Schlimmes passiert. Dadurch entkoppelt man die eigentlich neutrale Situation des Aufzugfahrens von der befürchteten katastrophalen Konsequenz. Das ist das Prinzip der Exposition, dass man sich daran gewöhnt, die sogenannte Habituation. Das ist wie mit dem Scheinriesen Tur Tur bei „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“. Er erscheint absolut bedrohlich, je näher man ihm aber kommt, desto kleiner wird er. Genau so muss man sich einer angsteinflößenden Situation nähern, um zu merken, dass sie eigentlich nicht gefährlich ist.
Wie sieht die Behandlung aus?
Man führt eine Expositionstherapie durch. Nehmen wir an, Sie haben eine Spinnenphobie: Dann schauen wir erst mal Bilder von Spinnen an. Nach einer Weile nehmen Sie eine Plüschspinne auf die Hand, dann nähern Sie sich einer Box mit einer echten Spinne. Irgendwann sind Sie so weit, dass Sie die Spinne auf die Hand nehmen und streicheln. Dabei wächst die Angst erst mal massiv und lässt nur langsam wieder nach. Je öfter man die Übung wiederholt, desto weniger stark steigt die Angst an und umso schneller verebbt sie wieder. Der Angst wird sozusagen langweilig. Medikamente kommen bei spezifischen Phobien nicht zum Einsatz, werden aber bei anderen Angsterkrankungen wie zum Beispiel der sozialen Phobie oder der Panikstörung erfolgreich zusätzlich zur Psychotherapie eingesetzt.
Wie gut sind die Erfolge?
Exzellent. Die Behandlungserfolge liegen bei Phobien bei fast hundert Prozent. Die Therapie kann allerdings ein bisschen komplizierter werden, wenn noch eine andere Erkrankung vorliegt: etwa eine Depression, eine Suchterkrankung. Aber auch dann sind die Aussichten hervorragend.