Der Technologiebeauftragte der Landesregierung, Wilhelm Bauer, mahnt zu höheren Ausgaben für Forschung und Entwicklung. Foto: Fraunhofer Institut

Baden-Württemberg ist technologisch spitze – um das zu bleiben, muss es nach Ansicht seines Technologiebeauftragten aber noch eine Schippe drauflegen.

Stuttgart - Baden-Württemberg läuft Gefahr, sich auf den Meriten seiner forschungsaktiven Wirtschaft auszuruhen und technologisch zurückzufallen. Davor warnt der Technologiebeauftragte der Landesregierung, Wilhelm Bauer, in einem 40-seitigen Impulspapier für den Ministerrat. „Die Lage im Land ist hervorragend“, sagte Bauer am Dienstag angesichts der hohen Ausgaben im Südwesten für Forschung und Entwicklung – 4,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts seien europaweit Spitze. „Aber das betrachtet die Vergangenheit und nicht jene Themen, die in den nächsten Jahren kommen“, sagte der Chef des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation in Stuttgart.

Seine Bestandsaufnahme liest sich denn auch wie ein Blauer Brief an den Klassenbesten: Die Innovationsdynamik stagniere, vor allem der Mittelstand investiere im Vergleich zu großen Unternehmen immer weniger in Forschung und Entwicklung. Die finanzielle Ausstattung der Hochschulen und Forschungseinrichtungen stehe in einem ungünstigen Verhältnis zur gesamten Innovationsleistung, denn die großen Unternehmen leisteten 80 Prozent der hohen Entwicklungsausgaben. Bei öffentlichen Investitionen für diesen Bereich falle der Südwesten hinter andere Ländern zurück, zum Beispiel Sachsen.

Mängel bei Breitband und Mobilfunk

Auch mit den Patentanmeldungen zeigt sich Bauer unzufrieden und nennt als Beispiele die Felder nachwachsende Rohstoffe, neue Mobilitätskonzepte und Brennstoffzellen: Deutschlandweit wachse die Zahl der Patente überdurchschnittlich, in Baden-Württemberg jedoch nicht. Nachholbedarf sieht der Technologiebeauftragte, der von einem Kreis renommierter Wissenschaftler unterstützt wird, auch in den Schulen. Um die Chancen der vierten industriellen Revolution zu ergreifen, müsse das Land schnell und ambitioniert eine „durchgehend digitale Bildung etablieren“. Auch bei der Breitband- und Mobilfunknetz-Infrastruktur gebe es eine Menge zu tun. Sein Fazit: „Baden-Württemberg verlässt sich zu stark auf eine florierende und investitionsfreudige Wirtschaft und agiert für ein Bundesland, das Spitze bleiben will, eher zurückhaltend.“

Damit sich das Land auch künftig an der Spitze hält, rät Bauer dazu, den starken industriellen Kern seiner Wirtschaft kontinuierlich im Sinn der Digitalisierung und der neuen Dienstleistungs- und Geschäftsmodelle weiterzuentwickeln. Als „Ausrüster der Welt“ sei der Südwesten stark in den Kernbereichen Mobilität, Informations- und Kommunikationstechnologie, Gesundheit oder industrieller Prozesstechnologie. Schwächen gebe es jedoch beim Technologietransfer. „Start-up-Unternehmerinnen und Unternehmer, die im ersten Anlauf scheitern, werden zu selten ermutigt, ein weiteres Mal zu gründen“, heißt es in dem Bericht. Stärker aktiv werden sollte das Land auf den Themenfeldern Künstliche Intelligenz, Quantentechnologie, alternative Antriebe und Kraftstoffe sowie Plattform- und Datenökonomie. Lob heimste die Landesregierung für ihre Entscheidung ein, die Herstellung von Batteriezellen im Land anzusiedeln.

Unter dem Strich rät der Technologiebeauftragte der Landesregierung, die öffentlichen Investitionen für Forschung und Entwicklung zu steigern, mehr Start-up-Potenziale zu erschließen, Lern- und Erlebniszentren für Technik und Innovationen einzurichten und Standortfaktoren zu bündeln.

Regierung sucht nach einer Strategie

„Wir sind sehr gut aufgestellt, stehen aber vor sehr, sehr großen Herausforderungen“, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) bei der Präsentation des Impulspapiers. Anfang nächsten Jahres will der Ministerrat auf einer Klausurtagung daraus eine politische Strategie formen. Ressortgrenzen dürften dabei keine Rolle spielen, sagte Kretschmann. Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) sieht sich durch Bauers Empfehlungen in ihrer Politik bestätigt: „Wir konzentrieren uns auf die richtigen Zukunftsfelder, nämlich Digitalisierung und Künstliche Intelligenz, Mobilität und Gesundheit, Ressourceneffizienz und ökologische Modernisierung.“ So investiere das Land bereits jetzt in einem ersten Schritt zehn Millionen Euro für die Stärkung der anwendungsbezogenen Forschung im Bereich der künstlichen Intelligenz. Das Papier sei aber auch ein wichtiger Ansporn.