Ein neues Verfahren zur Prüfung von Qualität in Krankenhäusern wirkt zwar, aber es gibt Erklärungsbedarf.
Stuttgart - Daten von 1084 Krankenhäusern hatte das Institut für Qualität und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTiG) für das Bezugsjahr 2017 ausgewertet. Aus Sicht der Häuser im Südwesten kann sich das Ergebnis, das vergangene Woche für Schlagzeilen sorgte, sehen lassen: Nur sieben Häuser fallen auf mit dem Hinweis „Qualität unzureichend“ für je einen von elf Qualitätsindikatoren aus den Bereichen gynäkologische OPs, Geburtshilfe und Mammachirurgie auf. Bundesweit gibt es Rüffel für 73 Kliniken.
Doch trotz der geringen Zahl von Beanstandungen – Ergebnis und Verfahren der neuen Qualitätsmessung sind erklärungsbedürftig. Schon deshalb, weil Kliniken auch im Land sich zu Unrecht am Pranger sehen. So zum Beispiel das Krankenhaus Herrenberg. Beim Qualitätsindikator 318 für die Geburtshilfe, der die Anwesenheit eines Kinderarztes bei Frühgeburten vorschreibt, wurde das Haus im Gäu schlecht bewertet. Aber warum? Weil bei der einzigen Frühgeburt, die es 2017 überhaupt dort gab, kein Pädiater zugegen war.
Umgehend bezog das Krankenhaus, das im Bezugsjahr 1398 Geburten zählte, Stellung. Die Frühgeburt war demnach ein medizinischer Notfall. Es musst schnell gehen, Mutter und Kind hätten die Überweisung an das Klinikum Böblingen möglicherweise nicht überlebt. Böblingen übernimmt im Klinikverbund Südwest, zu dem Herrenberg gehört, alle Frühgeburten. Dort ist immer ein Kinderarzt anwesend. Im vorliegenden Fall rettete die Abweichung von der Routine wahrscheinlich Menschenleben. Unverständlich, dass es dafür den Stempel „Qualität unzureichend“ gibt.
Klinikvertreter finden die Bewertungen unfair
Aber die Geschichte hat eine Pointe. Versuche der Klinik, sich gegenüber dem IQTiG zu erklären, gingen schief, es gab auch technische Übermittlungsprobleme. Grundsätzlich gibt das Institut allen Kliniken Gelegenheit, Stellung zu beziehen bei statistischen Auffälligkeiten. Herrenberg wäre die schlechte Note erspart geblieben.
Krankenhausverbände sehen sich dennoch bestätigt. Sie kämpfen gegen die Veröffentlichung von Qualitätsdaten für einzelne Kliniken. Ihr Argument: Abläufe und Behandlungen seien zu komplex und mit Hilfe simpler Statistiken nicht fair zu bewerten. Der Fall Herrenberg scheint das zu bestätigen. Aber tut er das wirklich? Der Indikator 318 hebt auf die Qualität von Geburtskliniken ab. Ist kein Kinderarzt anwesend, sinken die Überlebensraten von Frühgeburten. In Häusern, die es sich zutrauen, Frühgeburten zu betreuen, obwohl sie nicht gut genug ausgestattet sind, sterben vielleicht Kinder, die anderswo überlebt hätten. Wohlgemerkt: Herrenberg macht alles richtig, weil es Frühgeburten abgibt. Aber das ist längst nicht überall so.
Gleich vier Kliniken im Südwesten, darunter die Unikliniken Freiburg und Mannheim sowie St. Hedwig und Diakonissen ebenfalls in Mannheim, fallen auf, weil sie 2017 eine bestimmte Untersuchung von Brustgewebe bei Verdacht auf Krebs während der OP vergleichsweise selten durchgeführt haben (Qualitätsindikator 52279). Es handelt sich um die Präparatradiografie und Präparatsonografie bei sonografischer Drahtmarkierung: Der Tumor wird operativ entfernt und sofort per Ultraschall und beziehungsweise oder Röntgen untersucht, um sicherzustellen, dass das Krebsgewebe wirklich komplett entfernt wurde.
Rote Karte für Unikliniken
Erfahrene Brustchirurgen zeigen sich irritiert, dass selbst Unikliniken auf die Qualitätssicherungsmaßnahme verzichtet haben. Es sei richtig, dass es dafür die „rote Karte“ gegeben habe, sagen sie. Das Verfahren gehöre seit mehr als zwei Jahrzehnten zum medizinischen Standard. Allerdings: Namentlich zitieren lassen mag sich mit der Kollegenschelte niemand.
Alle Kliniken haben übrigens reagiert: Die Uniklinik Mannheim setzt die Untersuchung inzwischen seit Mitte 2017 standardmäßig ein, St. Hedwig seit September 2017 und die Uniklinik Freiburg seit April 2018. Das Diakonissen musste nicht nachziehen, es hatte die Untersuchung vorgenommen, aber in vier von 23 Fällen nicht richtig dokumentiert. Die Krankenhäuser Brackenheim und Langenau, die bei gynäkologischen OPs negativ aufgefallen waren, nehmen solche Eingriffe inzwischen nicht mehr vor. Brackenheim wurde bereits im Frühjahr 2017 geschlossen, dort arbeitet nur noch eine geriatrische Rehaklinik.
Die Beispiele belegen, wie die von Berlin vorgegebenen Qualitätsindikatoren wirken. Weil Kliniken namentlich genannt werden, geraten sie unter Erklärungsdruck und müssen reagieren. Weitere Konsequenzen müssen sie bisher nicht fürchten. Das Landessozialministerium will von der gesetzlichen Möglichkeit, aufgefallenen Häusern Kompetenzen zu entziehen und in letzter Konsequenz Abteilungen zu schließen, keinen Gebrauch machen.
Ministerium will keine Konsequenzen
Zwar werde man sich die IQTiG-Daten genau anschauen, erklärt das Ministerium. Deren Zustandekommen sei aber kritisch zu bewerten. Kliniken würden nicht fair behandelt, wie das Beispiel Herrenberg zeige. Man setze stattdessen auf die landeseigene Qualitätssicherungsstelle GeQik (Geschäftsstelle Qualitätssicherung im Krankenhaus), um gegebenenfalls nachzusteuern. Allerdings: GeQiK veröffentlicht seine eigenen Qualitätsdaten nicht.
Krankenkassen begrüßen den eingeschlagenen Weg. Transparenz sei im Interesse der Patienten. Die AOK im Land betont aber auch, das Verfahren müsse sich erst einspielen, bevor daran zu denken sei, Abteilungen zu schließen. Die Techniker Krankenkasse spricht sich auch dafür aus, Kliniken fair einzubinden. Zudem müsse die Darstellung der Qualitätsdaten im Internet patientenfreundlicher werden.